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Indische Ragas und Werke der europäischen Klassik

Thema ist eine neue Aufnahme mit sozusagen grenzüberschreitender Kammermusik. Es wird heute nur um eine einzige CD gehen, die freilich ihre zwei Seiten hat, obwohl die Scheibe ja, ganz wie der Ball, im Prinzip rund ist. Der Doppelaspekt findet sich bereits im Titel "East Meets West", worin das alte Motto "West Meets East" anklingt, unter dem vor Jahrzehnten der Geiger Yehudi Menuhin und der Sitarvirtuose Ravi Shankar ihre großen, zumal von den Blumenkindern heftig beklatschten Reunions-Ereignisse stattfinden ließen. Und tatsächlich: der Geiger Daniel Hope setzt mit dieser CD, die bei Warner Classic erschien, zunächst einmal seinem Lehrer Yehudi Menuhin ein Denkmal. Der Osten trifft wirklich den Westen: Anfang und Ende der CD werden von zwei Ragas von Ravi Shankar markiert, die dieser In memoriam Yehudi Menuhin komponiert hat, und Daniel Hope ist da zusammen mit dem Sitarspieler Gaurav Mazumdar und dem Tablaspieler Asok Chakraborty zu hören. Mit beiden war er vor knapp zwei Jahren beim Kammermusikfestival in Heimbach. Die Zusammenarbeit, die auf Ravi Shankar zurückgeht, währt schon einige Zeit, und Hope, der sich sowohl von Shankar als auch von dessen Meisterschüler Mazumdar in die Welt und vor allem den Geist des rága hat einführen lassen, ist dieser Musik inzwischen wohl näher gekommen als sein Lehrer Menuhin. Der Beginn des raga Piloo In memoriam Yehudi Menuhin:

Von Norbert Ely |
    * Musikbeispiel: Ravi Shankar - "Raga Piloo" (Ausschnitt)

    Soweit ein Ausschnitt vom Anfang des Raga Piloo von Ravi Shankar. Auf seiner neuen CD "East Meets West" ist der Geigers Daniel Hope da zusammen mit dem Sitarspieler Gaurav Mazumdar und dem Tablaspieler Asok Chakraborty zu hören. Wie gesagt: Hope scheint weiter in die Welt des raga eingedrungen als sein Lehrer Yehudi Menuhin. Und doch handelt es sich in mehrfacher Hinsicht zugleich um eine sehr westliche Adaption des raga. Westlich vor allem im "timing", wie man das vielleicht nennen darf. Dass die Ausführung eines raga einschließlich der voraufgehenden Fantasie nur gut 16 Minuten in Anspruch nimmt, erscheint vor dem Hintergrund indischer musikalischer Tradition zumindest ungewöhnlich. Hier wird der raga ohne weiteres europäischen Hörgewohnheiten unterworfen. Aber die Sache scheint dennoch von hohem Reiz, nicht zuletzt deswegen, weil Hope in der Tonbildung bis hin zum Vibrato dem Klang der Sitar überraschend nahe kommt, ohne den besonderen Charakter der europäischen Violine vergessen zu machen. Und an diesem Punkt stößt man womöglich auf den eigentlichen Kern dieses Unternehmens. Hope ist vehement dabei, die Ausdrucksvielfalt der Violine nach Möglichkeit zu erweitern. Auch seine Interpretationen geläufiger Werke der Klassik sind alles andere als geläufig, und es kann schon mal passieren, dass man ihm im Livekonzert bei Gelegenheit einer Beethoven-Sonate ohne weiteres abnimmt, dass er ein Verehrer von Sting ist. Und so entpuppt sich auch der Titel dieser neuen CD "East Meets West" eher als ein Vehikel, das nur halbwegs tauglich scheint. Denn neben den beiden ragas findet sich zum Beispiel Ravels "Tzigane" hier in einer Aufnahme, bei der Hopes langjähriger Klavierpartner Sebastian Knauer ein "luthéal" spielt. Ein was? Darüber allein ließe sich eine Doktorarbeit schreiben, wenn nicht gar eine Antrittsvorlesung halten. Es handelt sich, sehr stark vereinfacht, um Klavier plus eine ganze Menge, und dieses luthéal hatte Ravel ursprünglich für seinen "Tzigane" vorgesehen, weil es im Klang dem Cimbalóm viel näher kam als der Konzertflügel. Knauer spielte bei den Aufnahmen zu dieser CD ein wie auch immer rekonstruiertes Exemplar dieses Mammuts aus der Zwischeneiszeit, und Hope seinerseits klingt so, als habe er zwischen den Lektionen bei Ravi Shankar noch ein paar Stunden bei einem Primas eingelegt - erneut gibt er sich mit der mitteleuropäischen Tradition des Violinspiels nicht zufrieden. Das luthéal setzt natürlich erst nach knapp fünf Minuten ein - so viel Zeit muss sein.

    * Musikbeispiel: Maurice Ravel - Tzigane (Ausschnitt)

    Daniel Hope und sein Klavierpartner Sebastian Knauer sind freilich nicht nur bei Ravels "Tzigane" in der überraschenden Kombination Violine/luthéal zu hören. Sie spielen auch die Suite espagnol von Manuel de Falla nach dessen Siete canciones populares espanolas in einem Arrangement von Paul Kochanski in dieser Besetzung und dazu noch - same procedure - eine Auswahl aus Bartóks Rumänischen Volkstänzen in einem Arrangement von Zoltán Székely. Bei de Falla brilliert Hope übrigens unter anderem mit Spiccati, dass mancher Gitarrist blass werden kann. Damit wär’s eigentlich genug. Aber dann findet man auch noch Alfred Schnittkes posthum entdeckte Violinsonate von 1955 auf dieser CD, die Daniel Hope auf besonderen Wunsch von Schnittkes Witwe Irina vor einiger Zeit zum ersten Mal aufführte und die hier nun zum ersten Mal als Tondokument veröffentlicht wird. Dieses gut viertelstündige zweisätzige Werke stellt eine besondere Kostbarkeit der CD dar, und spätestens da fragt man sich, warum die CD eigentlich den Titel "East Meets West" trägt und nicht einfach überschrieben wird mit "Die Gedanken des Daniel Hope", denn die klugen Texte im Booklet hat er schließlich auch geschrieben. Der Mann hat freilich Stil, und das understatement gehörte immer schon zu jenen britischen Tugenden, die man auch dann bewahrt, wenn man zufällig in Amsterdam wohnt. Stil hat Hope selbstverständlich auch bei Schnittke - da ist es ein ungewöhnlich warmer und warmherziger Ton von jener selbstverständlichen Sicherheit, die Hope bei Zakhar Bron gelernt hat.

    * Musikbeispiel: Alfred Schnittke - 2. Satz (Andante) aus der Violinsonate (1955)

    Daniel Hope - East Meets West
    Daniel Hope, Violine
    weitere Solisten:
    Gaurav Mazumdar, Sitar
    Asok Chakraborty, Tabla
    Gilda Sebastian, Tanpura
    Sebastian Knauer, Klavier
    Label: WARNER CLASSICS
    Bestell-Nr.: 2564 61329-2