Am Ufer einer der kleinen Inseln, die der Hafenstadt Makassar auf Sulawesi vorgelagert sind, hat ein eigentümliches Boot festgemacht. Es sieht aus wie die anderen Fischerboote, aber es ist mit Büchern beladen. Die schwimmende Bibliothek, die Platz hat für 3.000 Titel, gibt es seit April. In den schwer zugänglichen Gebirgsregionen Zentraljavas kommt bereits seit dem vergangenen Jahr eine sogenannte Pferdebibliothek in die entlegenen Dörfer. Der ungewöhnliche Büchertransport hier wie dort verdankt sich einer privaten Initiative, deren Ziel es ist, auch die Menschen in der indonesischen Provinz, wo es in der Regel keine Buchläden gibt, mit Lesestoff zu versorgen. Leicht ist das nicht, das weit ausgedehnt im Meer liegende Indonesien zählt gut 17.500 Inseln - es ist der größte Archipel der Erde. Die Tour des Bibliotheksbootes und seines Kapitäns Muhammad Ridwan Alimuddin dauert zwei Monate:
"Im August und September sind wir an der Küste Sulawesis unterwegs. Wir umrunden die Insel und machen an möglichst vielen Orten Halt. Vor allem die Kinder, für die unsere Bücher hauptsächlich bestimmt sind, kommen zu uns, sobald das Boot angelegt hat. In der Regel bleiben wir drei Tage an einem Ort, während der Zeit können alle Interessierten die Bücher hier bei uns an Bord lesen. Wenn wir viele Exemplare dabei haben, dürfen sie die Bücher manchmal auch behalten. Am beliebtesten sind Comics."
"Wir lesen einfach nicht viel"
Aber nicht allein der Zugang zu Büchern ist - abgesehen von den großen Städten, wo es ein Netz von Bibliotheken und eine Reihe von herausgeputzten Buchhandlungen in schicken Malls gibt - schwierig. Hinzu kommt: Die Indonesier lesen nicht gern. Die Gründe dafür sind vielfältig. Zum einen ist die indonesische Gesellschaft traditionell keine Lese-, sondern eine Hörgesellschaft. Zum anderen wurde der Literatur- und Leseunterricht an den Schulen lange Zeit vernachlässigt. Das soll sich jetzt rasch und nachdrücklich ändern, verspricht der Kulturminister des Landes Anies Baswedan bei einem Treffen in seinem Amtssitz in Jakarta:
"Wir starten zum neuen Schuljahr ein Programm, das die Schüler dazu verpflichtet, jeden Morgen 15 bis 30 Minuten zu lesen. Denn nach einer Untersuchung rangieren wir hinsichtlich des Bücherkonsums weltweit auf einem der letzten Plätze, wir lesen einfach nicht viel. Aber ich möchte zu bedenken geben: Im Jahr unserer Unabhängigkeit 1945 lag die Analphabetenrate bei 95 Prozent, die Leute haben den Koran verstanden, aber keine Romane. Heute liegt diese Rate bei 4 bis 6 Prozent. Nicht viele Nationen, die so groß sind wie Indonesien, haben das geschafft - einen Wandel vom nahezu kompletten Analphabetentum zum Gegenteil. Unsere Herausforderung ist es nun, dafür zu sorgen, dass jeder, der lesen und schreiben kann, auch ausreichend viel liest und so genügend Informationen aufnimmt. Der nächste Schritt ist es dann, ausreichend viel zu schreiben."
Schriftsteller können von ihrem Job kaum leben
Die energische Lily Yulianty Farid will jedoch nicht erst auf eine neue Generation von Lesern warten. Die Journalistin organisiert seit fünf Jahren eines der größten Literaturfestivals im Land. Alljährlich lädt sie in- und ausländische Autoren und andere Künstler nach Makassar in das malerisch unmittelbar am Meer gelegene und von hohen Mauern umgebene alte Fort Rotterdam. Es ist längst Nacht in Makassar, aber die Festivalbühnen sind noch immer hell erleuchtet.
"Es ist uns gelungen, ein neues Publikum heranzubilden. Aber wir müssen weitermachen. Deswegen präsentieren wir derartige Abendprogramme, mit viel Musik und Tanz, wir integrieren die Dichtung, erzählen von den Lesungen, die tagsüber stattgefunden haben, und versuchen so, das Interesse der Leute zu wecken. Es geht darum, die Leute zu erziehen und für Bücher und Autoren zu werben, die Freude an Literatur zu vermitteln. Buchhandlungen werden in Indonesien nach wie vor kaum besucht. Aber bei einem Festival wie diesem können die Menschen mit Gleichgesinnten zusammenzukommen, und genau das schätzen sie. Sie treffen Autoren und plaudern mit ihnen, sie hören sich Diskussionen an, und am Ende kaufen sie vielleicht auch die Bücher. Wir hoffen, dass sie diese Gewohnheit beibehalten, sich am Lesen erfreuen und es zu einem Teil ihres Lebens wird."
Das wünschen sich wohl am meisten die Schriftseller in Indonesien selbst. Von den spärlichen Einnahmen für ihre meist in kleiner Auflage verkauften Bücher können gerade die besten unter ihnen kaum leben. Die Mehrzahl verdient mit anderen Jobs ihren Lebensunterhalt. Nicht wenige arbeiten als Journalisten. Der Lyriker Agus R. Sarjono hat gleich ein ganzes Bündel von Jobs:
"Ich bin vor allem Dichter und schreibe Verse. Aber ich brauche Geld. Weil ich ohnehin gern ins Kino oder ins Theater gehe, verfasse ich Theater- und Filmkritiken, um Geld zu verdienen. Und als mir angeboten wurde, an der Kunsthochschule Bandung zu unterrichten, habe ich ohne lange zu zögern zugesagt. Ich bin auch Verleger und Übersetzer. Aber all diese Arbeiten lassen mir weiterhin Zeit für mein Schreiben, das ist entscheidend und zugleich habe ich so ein monatliches Einkommen. Anders kann man als Autor nicht existieren in Indonesien. Es ist sehr hart."
"Es ist einige Zeit nötig, um einander zu verstehen"
An interessanten Büchern und Autoren mangelt es zum Glück trotzdem nicht in dem aufstrebenden, sich rasch verändernden Land. Irgendwie managen die Schriftsteller ihr Leben. Doch auf der Frankfurter Buchmesse wird in deutscher Übersetzung nur ein kleiner Ausschnitt der indonesischen Literatur sichtbar sein. Es sind wichtige Bücher, die ins Deutsche übertragen wurden, aber es ist eine sehr überschaubare Zahl an Titeln, die zudem vor allem in kleinen Verlagen erscheinen. Und es gibt bedauerliche Lücken: Der bedeutendste Autor des Landes, Pramoedya Ananta Toer, etwa lässt sich nach wie vor nur in veralteten Übersetzungen kennenlernen. Der Leiter des Gastlandauftritts, der Dichter und Journalist Goenawan Mohamad, nennt verschiedene Gründe für die alles andere als reich bestückte indonesische Bücherschau auf der bevorstehenden Frankfurter Buchmesse:
"Es ist sehr schwierig, einen deutschen Übersetzer für indonesische Literatur zu finden. Indonesisch ist in Europa keine bekannte Sprache, anders als Chinesisch oder Japanisch. Das ist das eine. Hinzu kommt, lange Jahre hatten die Indonesier überhaupt kein Interesse daran, ihre Bücher ins Ausland zu verkaufen. Indonesien ist ein großes Land. Es ist einfach einige Zeit nötig, um einander zu verstehen. Wir schauen deshalb sehr auf uns selbst und weniger auf die anderen Länder um uns herum. Übersetzungen implizieren aber ein Interesse für die übrige Welt. Uns geht das weitestgehend ab. Der dritte Faktor ist unsere Bürokratie, die ist schlichtweg eine Katastrophe. Wir haben den Vertrag mit der Frankfurter Buchmesse 2013 unterzeichnet, aber das hätte drei Jahre früher geschehen müssen. Daher hatten wir nicht viel Zeit und können nur eine sehr kleine Zahl übersetzter Bücher präsentieren. Aber es ist immerhin besser, als wir erwartet haben."
Der agile Organisator blickt trotzdem mit Vorfreude auf die Buchmesse. Der 74-jährige Goenawan Mohamad, der noch während der Zeit der Suharto-Diktatur das wichtigste politische Magazin des Landes, "Tempo", begründete, ist es gewohnt, mit Enttäuschungen und Rückschlägen umzugehen. Er hat gelernt, nie aufzugeben. Sisyphos ist sein Vorbild. Und seine Ambitionen sind gewaltig:
"Wir gehen nicht nur wegen der Bücher nach Frankfurt. Unser Ziel ist ein neues Branding von Indonesien. Wir präsentieren unsere Literatur, aber auch die bildenden und darstellenden Künste. Das ist nicht das Ende unserer Reise."