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"Industrielle Moderne" geht auch ohne Atomkraft

Um eine Energiewende in Deutschland zu erreichen, sei es wichtig, die richtigen Rahmenbedingungen zu schaffen, so Detlef Wetzel von der IG Metall. Das sei aber nicht möglich, solange in Berlin Lobbypolitik gemacht werde. Auf diesem Niveau sei keine "handwerklich vernünftige Politik" zu machen.

Detlef Wetzel im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 28.05.2011
    Jürgen Zurheide: Allerdings, er ist sicherlich Lobbyist in eigener Sache. Wie sieht es denn eigentlich aus, und was braucht die Industrie, was brauchen die Arbeitnehmer, jene, die noch in der Industrie arbeiten? Über dieses Thema wollen wir reden. Dazu begrüße ich Detlef Wetzel, den stellvertretenden Vorsitzenden der IG Metall. Guten Morgen, Herr Wetzel!

    Detlef Wetzel: Ja, schönen guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Wetzel, zunächst einmal: Fühlen Sie sich als Industriegewerkschaft eigentlich genügend eingebunden in die Gespräche, die da auch in Berlin – meistens übrigens ja hinter verschlossenen Türen – stattfinden?

    Wetzel: Nein, absolut nicht, weil wir sind natürlich eine Industrie, die 40 Prozent des ganzen Stroms verbraucht, der in Deutschland verbraucht wird, und da ist natürlich diese Energiewende für uns eine ganz zentrale Frage, und wir fühlen uns nicht eingebunden, wir fühlen sowieso, dass es keine vernünftige Diskussion in dieser Gesellschaft gibt, wir haben ja richtige Geschütze, mit denen wir uns auseinandersetzen müssen, von den Atombefürwortern. Da geht es ja um fehlende Kapazitäten, Blackouts, hohe Preise. Ich glaube, auf diesem Niveau kann man keine vernünftige handwerkliche Politik machen. Wenn ich das mal sagen darf: Die Politik muss jetzt eigentlich den richtigen Rahmen schaffen, damit diese Energiewende wirklich zu einem nachhaltigen Innovationsprojekt für die – na ja, sage ich mal – industrielle Moderne wird, und da wird mittlerweile sehr viel Politik gemacht, Lobbyismus gemacht. Wir brauchen eine Energiewende in Deutschland, auch für die deutsche Industrie. Das ist ja eine große Innovationschance, auch eine Chance für das entstehen von vielen Arbeitsplätzen, und da wird momentan aus meiner Sicht keine gute Politik in Berlin gemacht.

    Zurheide: Wir werden gleich noch mal über die Inhalte reden, die Sie da gerade ansprechen. Ich will noch mal fragen, ob Sie denn glauben, dass zum Beispiel so eine Ethik-Kommission, die an diesem Wochenende tagt, wo ja auch mindestens ein Vertreter der Industriegewerkschaften, nämlich Chemie, dabei ist, ob denn so eine Ethik-Kommission eigentlich legitimieren kann, was dann innerhalb von vier Wochen durch das Parlament gepeitscht wird. So muss man das ja wohl bezeichnen.

    Wetzel: Also, ich glaube nicht, dass das ein vernünftiger Weg ist. In Deutschland hat ein Parlament die Verantwortung, eine Regierung hat die Verantwortung, und man kann nicht eine Ethik-Kommission, die recht willkürlich zusammengesetzt worden ist, beauftragen, sozusagen eine Schicksalsentscheidung für die deutsche Wirtschaft, für die deutsche Gesellschaft zu treffen, das ist ja – ähnlich wie damals die Hartz-Kommission – nur ein Instrument, damit sich Politik vor der Verantwortung drücken kann.

    Zurheide: Jetzt kommen wir mal zu Ihrer Haltung für oder gegen Atomkraft. Jetzt gibt es Atom-Betriebsräte, also Betriebsräte aus den betroffenen Firmen, die haben einen Brandbrief an Angela Merkel geschickt, das müsste Ihnen jetzt nahe sein, weil Sie auch Gewerkschafter sind. Auf der anderen Seite ist natürlich die Frage im Raum: Wollen Sie weiter Atomkraft?

    Wetzel: Nein, wir machen uns absolut stark für eine nachhaltige ökologische und soziale Umgestaltung unserer deutschen Gesellschaft. Dazu gehört es natürlich, einen möglichst schnellen Ausstieg aus der Atomenergie zu organisieren, und eine schnelle Förderung der regenerativen Energien – Wind-, Solar- und ähnliche Energien –, das ist eine klare Position von uns als IG Metall. Allerdings müssen die Rahmenbedingungen so gestaltet sein, dass wir natürlich neben der ökologischen Nachhaltigkeit hin zu einer erneuerbaren Energie in Deutschland natürlich auch das Thema Versorgungssicherheit und das Thema wettbewerbsfähige Preise nicht aus dem Auge verlieren.

    Zurheide: Was heißt das denn konkret? Das heißt, Sie brauchen dann Kohlekraftwerke und keine Emissionshandelsrechte, oder was verlangen Sie?

    Wetzel: Also, wir gehen davon aus, dass wir jetzt, im Laufe dieses Jahres, das EEG, das Einspeisgesetz für erneuerbare Energien, neu verändern in Deutschland, dass hoffentlich die erneuerbaren Energien nachhaltig gefördert werden, dass wir wirklich zu einem schnellen Ausbau kommen, und damit auch Atomkraftwerke abschalten können und natürlich: Die entstehende Stromlücke muss gefüllt werden, durch die Inbetriebnahme der bisher im Bau befindlichen und in Modernisierung befindlichen Kohlekraftwerke, aber die wirkliche Energielücke muss geschlossen werden durch den Bau von zusätzlichen Gaskraftwerken.

    Zurheide: Ist denn die Warnung der Industrie vor einem Blackout, ist das Propaganda, ist das Politik mit Panik und mit Angst, oder sagen Sie: Na ja, da ist eine reale Gefahr, auch gerade für die Industrie?

    Wetzel: Ich sehe diese reale Gefahr nur, wenn weiterhin so handwerklich schlecht in Berlin Politik gemacht wird. Wir sind fest überzeugt, dass es ein vernünftiges Konzept geben kann für einen schnellen Ausstieg aus der Atomenergie, aber da sind natürlich etliche Rahmenbedingungen zu bedenken. Zum Beispiel wird natürlich ein Elektrostahlwerk nie mit Windenergie zu heutigen Preisen wettbewerbsfähig Schrott einschmelzen können.

    Wir haben aber zum Beispiel von 17 von 27 EU-Ländern eine Obergrenze für Strom, und deswegen führen wir zurzeit auch Gespräche für eine entsprechende Strompreiskompensation, das ist auch vorgesehen in EU-Gesetzen, wo einfach sichergestellt werden muss durch politisches Tun, dass diejenigen, die unmittelbar zwingend hohe Strommengen benötigen, dies auch zu wettbewerbsfähigen Bedingungen machen können.

    Mein Fazit ist ganz klar: Dieser schnelle Atomausstieg ist möglich, es muss nur sichergestellt werden, dass die Lobbyistengruppen, die RWEs, die E.ONs, die Vattenfalls – dass es nicht eine politische Grundsatzentscheidung wird zwischen CDU, FDP, SPD und Grünen. Mit anderen Worten, wenn man vernunftbegabt dieses Thema macht, es nicht eben einer Ethik-Kommission überlässt, sondern die handelnden Akteure tatsächlich an einen Tisch bringen würde, dann würde man auch ein vernunftbegabtes Konzept hinbekommen mit ökologischer Nachhaltigkeit, regenerativen Industrien, wettbewerbsfähigen Preisen und einer angemessenen Versorgungssicherheit.

    Zurheide: Wenn ich Sie jetzt höre, dann frage ich mich: Was haben wir eigentlich für eine Bundesregierung? Wir haben eine schwarz-gelbe Bundesregierung, die doch eigentlich der Industrie nahe stehen sollte! Wenn ich Ihnen zuhöre, habe ich das Gefühl, Industriepolitik findet nicht statt. Ist mein Eindruck falsch?

    Wetzel: Ihr Eindruck ist absolut richtig! Industriepolitik findet nicht statt, in Berlin findet Lobbypolitik statt, wo sich einzelne Interessensgruppen, kleine Klientele, Gehör verschaffen. In den letzten zwei Jahren hat ja die Bundesregierung eine Politik nicht für die Industrie gemacht, sondern für die vier großen Stromkonzerne. Dieses Konzept ist nicht aufgegangen. Nein, in Berlin wird handwerklich extrem schlechte Politik gemacht, und das ist das Einzige, was mich ein wenig graust bei diesem Atomausstieg, wenn ich denke, welche handelnden Personen dafür letztendlich die Verantwortung tragen.

    Zurheide: Das war Detlef Wetzel, stellvertretender Vorsitzender der IG Metall, zum Atomausstieg und den aus seiner Sicht drohenden Gefahren. Danke schön, Herr Wetzel für das Gespräch, danke schön!

    Wetzel: Ich danke Ihnen auch.