Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Ministerpräsidenten der Bundesländer haben sich darauf geeinigt, die seit Anfang November geltenden Einschränkungen zur Eindämmung des Corona-Infektionsgeschehens zu verlängern. Zudem wurden Kontaktbeschränkungen verschärft, die Maskenpflicht ausgeweitet und auch die Vorgaben für Schulen teilweise verschärft. Clemens Wendtner, Chefarzt der Infektiologie und Leiter der Spezialeinheit für hochansteckende lebensbedrohliche Infektionen an der München Klinik Schwabing, begrüßte die Entscheidungen von Bund und Ländern. Auch die geplanten Maßnahmen zum Schutz vulnerablen Gruppen seien ein wichtiger Schritt, sagte der Infektiologe.
Lennart Pyritz: Reichen die überarbeiteten Lockdown-Maßnahmen aus, um die Lage in Deutschlans zu entschärfen?
Clemens Wendtner: Ich denke, es war ein wichtiger Schritt, dass der Lockdown noch mal verlängert wurde, aus infektiologischer Sicht haben wir nämlich noch nicht eine vollständige Trendwende erreichen können. Wir haben auch heute noch über 20.000 Neuinfektionen, auch die Todesfälle sind immer noch sehr, sehr hoch, pro 24 Stunden knapp 400 Menschen sterben pro Tag in Deutschland noch an COVID-19. Man wird sehen, ob die Maßnahmen reichen bis zum 20. Dezember oder man nicht doch noch weiter im neuen Jahr auch die Restriktionen verlängern muss.
Pyritz: Sie haben jetzt gerade schon die hohen Zahlen bei den Todesfällen angesprochen, die Deutsche Krankenhausgesellschaft warnt vor einer angespannten Situation mit 5.000 bis 6.000 Corona-Intensivpatientinnen und -patienten im Laufe des Dezembers. Das hängt offenbar damit zusammen, dass die Zahl der sehr alten Menschen, die sich infizieren, zuletzt deutlich zugenommen hat. Wenn wir auf diese Bevölkerungsgruppe schauen, taugt da das aktuelle Maßnahmenpaket zum Schutz dieser Menschen, zum Beispiel in den Senioren- und Pflegeheimen?
Wendtner: Es ist zumindest mit im Fokus gewesen. Es ist geplant, dass auch Antigen-Schnelltests insbesondere in Alten- und Pflegeheimen zum Einsatz kommen, entsprechende Testkapazitäten werden dann auch gestellt. Ich glaube, das ist ein wichtiger Schritt, um auch das Hineintragen von Infektionen in diese sehr vulnerablen Gruppen möglichst zu verhindern. Auch da muss natürlich kritisch nachgeguckt werden und eventuell auch justiert werden, dass eben diese Menschen nicht besonders betroffen werden, weil wir wissen, sie haben ein sehr, sehr hohes Risiko, letztendlich auf der Intensivstation auch zu landen, und haben natürlich entsprechend auch ein hohes Risiko, dort zu versterben.
Intensivstationen weiterhin am Limit
Pyritz: Ein wesentliches Ziel des Lockdowns ist ja gerade, die Gesundheitssysteme nicht zu überlasten, eben dazu zu führen, dass nicht so viele Menschen auf den Intensivstationen landen. Sie spüren praktisch in Ihrer Klinik ja direkt, wie gut das funktioniert. Wie hat sich die Belegung mit Corona-Patientinnen und -Patienten bei Ihnen in den letzten Wochen denn verändert?
Wendtner: Ja, wir hatten vor drei, vier Wochen eine Konferenz gehabt, dort hatten wir alle noch relativ wenig Patienten, das waren so 25, 30 Patienten und wenige Patienten auf Intensivstationen. Ich kann Ihnen sagen, dass wir jetzt Stand heute 200 COVID-Patienten hier in München in der Klinik, in der ich tätig bin, betreuen, und davon sind knapp 40 Prozent auf der Intensivstation. Also Sie sehen, innerhalb weniger Wochen ist das Infektgeschehen absolut angerollt, und es besteht eben auch das Risiko, dass Intensivstationen weiterhin am Limit gefahren werden. Eine klare Folge ist schon, dass Elektivprogramme, also planbare Operationen, aufgeschoben wurden.
Pyritz: In dieser Woche wurde ja auch eine neue Leitlinie zur stationären Behandlung von COVID-19-Infizierten veröffentlicht. Kann die im Klinikalltag dabei helfen, die Behandlung tatsächlich zu verbessern?
Wendtner: Es handelt sich hier um die Leitlinie der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften, denke ich. Hier wird einfach ein sehr guter Standard formuliert und zusammengefasst für alle Kliniken in Deutschland, eben auch über die COVID-Zentren hinaus. Das ist eine sehr gute Orientierung, und da sind eben auch Maßgaben drin, wie Patienten auf Intensivstationen beatmet werden sollten, mit welchen Beatmungsgeräten gefahren werden soll, welche Medikamente zum Einsatz kommen. Das ist, glaube ich, schon wichtig, noch mal einen Standard zu formulieren, dass eben auch deutschlandweit COVID-19-Patienten in ähnlicher Form behandelt werden.
"Wir setzen Remdesivir unverändert ein"
Pyritz: Stichwort Medikamente haben Sie gerade schon genannt: Das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Remdesivir galt ja lange als Hoffnungsträger, ist auch in den USA und durch die EMA auch in Europa zur Behandlung von frühen COVID-19-Fällen zugelassen. Vor einigen Tagen hat jetzt ein Expertengremium der WHO eher davon abgeraten, Remdesivir bei Corona einzusetzen. Nutzen Sie es trotzdem weiterhin bei Ihnen in der Klinik?
Wendtner: Ja, man muss sagen, die Empfehlung der WHO basiert auf dem sogenannten Solidarity Trial, das ist eine globale Studie gewesen, die weltweit Remdesivir zum Einsatz gebracht hat. Man muss immer bedenken, die Gesundheitssysteme in Südamerika sind vielleicht nicht mit Gesundheitssystemen in Westeuropa vergleichbar, von daher sind die Daten immer mit Vorsicht zu interpretieren, und, ganz wichtig, es gibt noch keine Vollpublikation. Das heißt, wir haben noch nicht detaillierte Daten gesehen.
Deswegen hat auch die erwähnte Leitlinie klar gesagt, entsprechend der Zulassung von Remdesivir kann das Medikament auch unverändert eingesetzt werden bei hospitalisierten COVID-19-Patienten, also die im Krankenhaus sind, die nicht invasiv beatmet werden, also nicht an der Maschine hängen, und die eine Lungenentzündung haben und einen Sauerstoffbedarf haben. Wichtig: Remdesivir wirkt in der Frühphase, also bis zum Tag zehn nach Symptombeginn, darüber hinaus macht es wenig Sinn, Remdesivir einzusetzen. Wenn man sich daran hält, glaube ich, ist es in meiner Erfahrung ein gutes Medikament. Konkrete Antwort auf Ihre Frage: Ja, wir setzen es auch hier in München in meiner Klinik unverändert ein.
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