Infektionsgeschehen
Warum die Corona-Lage in anderen Ländern besser ist

Während in Deutschland die 7-Tage-Inzidenz derzeit täglich einen neuen Höchststand erreicht, stechen Portugal, Spanien oder auch Frankreich mit hohen Impfquoten sowie einer moderaten Ansteckungsrate hervor. Was machen diese Länder anders?

12.11.2021
    Ein Impfzentrum in Lissabon (Portugal)
    Ein Impfzentrum in Lissabon. Impfskeptiker gibt es in Portugal kaum, auch keine größeren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung. (picture alliance/dpa | Paulo Mumia)
    Fast 264 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner, die Quote der vollständig Geimpften dümpelt zugleich bei bescheidenen 67 Prozent: Dass die vierte Infektionswelle Deutschland stark erwischt hat, wird in diesen Tagen mehr um mehr deutlich.

    Der Status quo in Deutschland

    Das Ende der kostenlosen Corona-Tests (für Menschen ab zwölf Jahren) hat den Druck auf die Impfbereitschaft nicht ausreichend erhöht – für eine Herdenimmunität müssten 85 Prozent der Menschen in Deutschland vollständig geimpft sein (bislang 67,4 Prozent). 3G-Regelung hier, die strengere 2G-Variante dort: Uneinheitlichkeit der Systeme und gefühlt wenige Kontrollen erschweren die Situation zusätzlich.
    Karnevals-Eröffnung am 11.11.2021 in Köln: Menschen feiern im 2G-Bereich um den Zülpicher Platz und der Zülpicher Strase.
    Karnevals-Eröffnung am 11.11.2021 in Köln: Menschen feiern im 2G-Bereich um den Zülpicher Platz und der Zülpicher Strase. ( picture alliance/dpa | Thomas Banneyer)
    Und dennoch geht das Leben mancherorts erstaunlich sorglos und normal vonstatten – vielleicht zu normal? Zum Auftakt der Session wurde in den Karnevalshochburgen zwar meist unter 2G-Auflagen gefeiert – aber gefeiert wurde teilweise eng an eng.
    Der Ruf von Fachleuten nach sofortigem Handeln wird indes immer lauter. "Wir sind in einer so ernsten Lage, dass man jetzt alle Faktoren – Impfen, Maske, Kontaktreduzierung, Testen – wirken lassen muss. Wir müssen nicht mehr diskutieren, welche Maßnahme am wirksamsten ist, sondern alles muss gleichzeitig passieren", sagte der Physiker und Modellierer Dirk Brockmann im Deutschlandfunk.
    Modellierer Brockmann: „Alles muss gleichzeitig passieren“

    Die Lage in Frankreich

    Bei unseren französischen Nachbarn liegt die Zahl der Neuinfektionen zumindest in der aktuellen Welle deutlich unter der in Deutschland. Mit Stand 11.11.2021. beträgt die Inzidenz 99,0 – vollständig geimpft sind 77,6 Prozent der Bevölkerung*.
    Berücksichtigt man ausschließlich jene Personengruppe, die sich bislang impfen lassen darf – ab dem Mindestalter von zwölf Jahren –, dann liegt diese Impfquote sogar bei 87 Prozent – also wirklich hoch.
    Ursache für die höhere Impfquote in Frankreich liegt vor allem an einem Ereignis: Am 12. Juli hatte Präsident Emmanuel Macron die Einführung des sogenannten Gesundheitspasses angekündigt: der Nachweis, dass eine Person geimpft, negativ getestet oder genesen ist. Dieser Ausweis ist in Frankreich Pflicht für den Besuch sämtlicher Freizeit- und Kulturstätten: von Restaurants über Fitnessstudios bis hin zu Museen und längeren Zugreisen.
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    Womöglich anders als in Deutschland: Dass dieser Nachweis nicht kontrolliert werde, komme in Frankreich allenfalls sehr selten vor. Korrespondentin Kaess: "Das hat den Druck enorm erhöht. Denn ohne diesen Gesundheitspass kann man eigentlich kein komplett normales Leben mehr führen."

    Impfpflicht für Pflegeberufe

    In seiner Ansprache im Juli hatte Präsident Macron ebenfalls angekündigt, eine Impfpflicht für Mitarbeitende im Pflegebereich einzuführen, die seit dem 15. September in Kraft ist. Bis Mitte Oktober hatte diese Personengruppe Zeit, das Impfschema vollständig abzuschließen. "Danach konnten diejenigen, die sich dann noch immer nicht impfen lassen wollten, ohne Lohn suspendiert werden – oder sie konnten sich eine Bedenkzeit von ein paar Wochen ausbedingen. Anschließend können sie entlassen werden, wenn sie sich jetzt weiter gegen die Impfung entscheiden", erläutert Christiane Kaess.
    Auch in Deutschland wurde und wird eine solche Impfplicht in den Pflegeberufen diskutiert. Ein Grund dafür, dass es sie hier bislang nicht gibt, dürfte die Angst vor massenhafter Abwanderung der Kräfte aus ihrem Beruf sein.
    In Frankreich gebe es tatsächlich viele, die aus ihrem Pflege-Job herausgehen, sagte Kaess – allerdings hauptsächlich aufgrund generell schlechter Arbeitsbedingungen. Alleine wegen der eingeführten Impfpflicht habe im dem Zweig nahezu keine Abwanderung stattgefunden.
    Um mehr Akzeptanz für die Maßnahme zu erreichen, wurde in Frankreich nicht selten mit dem Berufsethos der Betroffenen argumentiert. Kaess: "Also dass man gesagt hat: Wenn man in diesen Beruf geht, hat man auch die Pflicht, Kranke und Schwache, um die man sich kümmert, zu schützen."
    Der Eingang zur Covid-19-Station, einem Bereich der Operativen Intensivstation vom Universitätsklinikum Leipzig. 
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    Es sei noch zu früh, die "epidemische Lage" auslaufen zu lassen, sagte der Intensivmediziner Christian Karagiannidis im Dlf. Er rechne mit einem stetigen Anstieg der Coronazahlen und einer Belastung für die Intensivstationen.
    Wie viele Pflegebedienstete haben letztendlich harte Konsequenzen aus der eingeführten Impfpflicht gezogen? Sehr wenige. Mitte Oktober hatte Frankreichs Gesundheitsminister angegeben, dass nur 15.000 der mehr als zwei Millionen Betroffenen noch nicht geimpft sind. Wiederum 0,1 Prozent dieser 15.000 Menschen sind bereit, den Schritt der Kündigung zu wählen.
    Trotz allgemein guter Lage deutet auch in Frankreich die Ansteckungsdynamik nach oben. Deshalb hat Präsident Macron weitere Verschärfungen angekündigt: Bis zum 15. Dezember müssen Menschen ab 65 Jahre eine Auffrischung (Booster) der Impfung nachweisen. Ansonsten verliert der Gesundheitspass seine Gültigkeit.
    Macron hat ebenfalls angekündigt, dass die Impfkampagne für die Auffrischung bei den 50- bis 64-Jährigen im Dezember beginnen wird.

    Die Lage in Portugal und Spanien

    Auf der Iberischen Halbinsel galt die Corona-Lage zuletzt als vergleichsweise entspannt. Die Impfquoten sind mit die höchsten in Europa und auch weltweit, die Infektionszahlen deutlich niedriger als in Deutschland. Portugal kratzt derzeit an einer Impfquote von 90 Prozent (7-Tage-Inzidenz: 81,4 Prozent) und präsentiert sich als Vorzeigeland in Sachen Covid-Prävention. Mit "nur" 80 Prozent liegt die Impfquote in Spanien zwar darunter, die 7-Tage-Inzidenz liegt dort hingegen bei dem verhältnismäßig niedrigen Wert von 42,8. (Stand 12.11.2021)
    "Vielleicht gibt es in diesen Ländern noch etwas mehr Solidaritätsgedanken. Hier wird die Freiheit der Entscheidung hochgehängt", sagte Susanne Johna, Vorsitzende des Ärzteverbundes Marburger Bund, im Dlf.
    "Freiheit bedeutet aber nicht, dass jeder immer das tun kann was er will, sondern die Freiheit des einzelnen endet – und das hat Immanuel Kant gesagt –, dort, wo die Freiheit des anderen beginnt. Uns allen ginge es besser, wenn wir deutlich höhere Impfquoten hätten, und wir könnten auch wieder zu viel mehr Freiheit im Leben zurückkommen", so Johna weiter.
    Marburger Bund fordert bundesweite 2G-Regelung
    Die Vorsitzende des Marburger Bundes, Susanne Johna, hält die Einführung einer bundesweiten 2G-Regel für nötig, um Freiheiten für Geimpfte und Genesene sicherzustellen. Auch einen Lockdown für Ungeimpfte hält sie für denkbar.
    Übrigens: In Portugal hat ein Vize-Admiral die Impfkampagne organisiert. Das ganze Land kennt ihn, denn Henrique de Gouveia e Melo hat sich immer wieder im Kampfanzug vor die Fernsehkameras gestellt: Portugal führe eben einen Krieg gegen das Coronavirus, so seine deutlichen Worte.
    Der Vize-Admiral Henrique de Gouveia e Melo fungierte in Portugal als nationaler Koordinator der Corona-Impfungen. Mittlerweile betrachtet er seinen Auftrag als erfüllt.
    Der Vize-Admiral Henrique de Gouveia e Melo fungierte in Portugal als nationaler Koordinator der Corona-Impfungen. Mittlerweile betrachtet er seinen Auftrag als erfüllt. (picture alliance / NurPhoto | Rita Franca)
    Dass sich so viele Menschen gegen Corona impfen lassen, dürfte aber auch mit dem Einschlag der Pandemie zusammenhängen: Portugal war zeitweise das am härtesten getroffene Land in Europa, das Gesundheitssystem konnte die vielen Erkrankten nicht mehr versorgen. Das wollen die Portugiesen natürlich nicht noch einmal erleben und stecken auch deshalb ihre Hoffnung in die Impfung.
    Hinzu kommt: Impfskeptiker gibt es in Portugal kaum, auch keine größeren Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung.
    Reinhard Spiegelhauer, ARD-Korrespondent in Madrid, betrachtet auch das immer noch gute Wetter als ein Grund für die niedrigen Verbreitungswerte in Spanien. "Die Leute sind draußen, noch nicht in den Innenräumen", sagte Spiegelhauer im Dlf-Podcast "Deutschlandfunk - Der Tag".
    Fast Herdenimmunität in Spanien
    Die Familie ist immer noch heilig in Spanien, und der Schock über den radikalen Lockdown vergangenes Jahr sitzt bei vielen Spanierinnen und Spaniern auch tief. Politik und Gesellschaft haben daraus gelernt. Die Infektionszahlen sind beeindruckend niedrig.
    Zudem trügen noch immer viele Menschen draußen freiwillig Maske. Ein weiterer Faktor, so Spiegelhauer: "Die Spanierinnen und Spanier haben wirklich sehr viel Vertrauen in moderne Medizin. Das sieht man einfach auch als große Errungenschaft der Post-Franko-Zeit. Wir haben ja noch nicht so lange eine Demokratie hier, und danach ist das öffentliche Gesundheitswesen wirklich ganz stark nach vorne gebracht worden." Deswegen sei die spanische Bevölkerung nach wie vor sehr stolz auf ihre öffentliches Gesundheitssystem.
    "Die Leute haben sehr, sehr viel Vertrauen in moderne Medizin insgesamt - und auch in Impfungen. Es gibt hier überhaupt keine Debatte, ob man sich gegen Corona impfen lässt oder nicht", so Spiegelhauer.
    Überdies sei die enge Familienbande in Spanien stärker ausgeprägt als in Deutschland. Deshalb sei das Bewusstsein für den Schutz gerade älterer Personen dort vielleicht präsenter.
    Einen weiteren Vorteil sieht Spiegelhauer in der spanischen Impf-Planung. Diese sei "einfach, stringent, und gut - und von Anfang an klar" organisiert gewesen. Anhand eines Impfkalenders bekamen die Leute einen Termin zugeschickt, an dem sie sich impfen lassen konnten und sollten. Ähnlich gut organisiert laufe es nun bei den Booster-Impfungen, schildert Spiegelhauer.
    *Abweichende Zahlen zwischen Angaben zu Impfquoten im Fließtext und entsprechenden Angaben in den eingebetteten Grafiken resultieren zum einen aus der Verwendung unterschiedlicher Quellen und andererseits daraus, dass zugrundeliegende Daten der Johns Hopkins University zu unterschiedlichen Zeitpunkten aktualisiert werden.
    Quellen: Christiane Kaess, Oliver Neuroth, Johns Hopkins University, Our World in Data, Statista/Bloomberg, jma