Digitale und umfassende Nachverfolgung von Infektionsketten wurde schon früh als Alternative zu Lockdowns diskutiert, doch in Deutschland bisher nicht umgesetzt. Jetzt soll die Corona-Warn-App des Bundes zusätzliche Funktionen erhalten. Die für Nutzer kostenlose Smartphone-App "Luca" bietet schon länger mehr Optionen zur Nachverfolgung. Einige Gesundheitsämter setzen sie auch schon ein. Was kann die App und wie funktioniert sie?
Mit der "Luca-App" vom Entwickler Nexenio können Nutzer QR-Codes scannen und sich so an Orten mit dem Smartphone ein- und auschecken – zum Beispiel in Restaurants oder im Einzelhandel. Das Auschecken, kann die App durch die sogenannte "Geofencing"-Technolgoie auch automatisiert übernehmen.
Auch für private Treffen kann die "Luca-App" genutzt werden. Dazu generiert die App QR-Codes, die mit denen von Freunden und Familie verknüpft werden.
Im Falle einer Infektion kann das Gesundheitsamt die Nutzerinnen und Nutzer dann um die Freigabe ihrer Daten bitten. Anhand der Aufenthaltsorte der letzten 14 Tage kontaktiert das Gesundheitsamt die Veranstaltungsorte und bittet auch sie um eine Freigabe der verknüpften Datensätze. So hat das Gesundheitsamt die Möglichkeit, alle anderen Nutzer zu warnen, die etwa zusammen mit einem Infizierten ein Restaurant besucht haben.
Bei der Warn-App des Bundes werden Nutzer nur allgemein über ein Risiko informiert. Der Kontakt-Ort wird nicht angegeben. Eine Warnung wird ausgelöst, wenn sich Nutzer in der Nähe einer Person aufgehalten haben, die positiv getestet wurde und dieses Testergebnis in die App eingetragen hat. Die App nutzt dabei Bluetooth-Signale, um die Dauer und den Abstand der Begegnungen abzuschätzen.
Die Corona-Warn-App ist ein dezentrales System, das heißt, dass die Daten nirgends zentral zusammen laufen. Anders die "Luca-App": Hier haben die Gesundheitsämter Zugriff.
Für die Corona-Warn-App sind Erweiterungen angedacht, die den Funktionen der "Luca-App" ähneln. Darunter ist auch eine Funktion für Event-Registrierungen, die über das Scannen von QR-Codes funktionieren soll. Kritiker werfen der Regierung vor, die rechtzeitige Weiterentwichlung der App in diesem Bereich verschlafen zu haben.
Anders als die Corona-Warn-App sei "Luca" in der Lage, das sogenannte Backtracing – also die Rückverfolgung – zu leisten, sagte der Journalist und Digitalexperte Jörg Schieb in Deutschlandfunk Kultur. Beim Nachverfolgen der Infektionsketten könne sie daher "eine ganz große, sinnvolle Hilfe" sein. Per Backtracing könne man identifizieren, wo möglicherweise ein Superspreader unterwegs war, den man isolieren müsse.
Die Gesundheitsämter in Mecklenburg-Vorpommern sind seit dem 12. März an das System der "Luca-App" angeschlossen. Mecklenburg-Vorpommern ist das erste Bundesland, das die App flächendeckend einsetzt. Für die Lizenzierung des Systems für ein Jahr und die technische Anbindung an die Gesundheitsämter hat das Land 440.000 Euro investiert.
Bislang gibt es keine bundesweite Einigung auf eine Check-in-App. Auf einen Konsens auf Bundesebene wollen einige Länderchefs nicht warten. Nach Angaben des Betreibers Culture4life wird die "Luca"-App in Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, das Saarland, Rheinland-Pfalz, Hessen, Brandenburg, Baden-Württemberg,Schleswig-Holstein und Bayern eingesetzt.
Rostock testet die "Luca"-App:
Um die zusätzlichen Funktionen im Vergleich zur Corona-Warn-App anbieten zu können, braucht die "Luca-App" Daten. Nach dem Herunterladen melden sich Nutzer mit Namen und Adresse an, die Telefonnummer wird über einen SMS-Code verifiziert. Die Daten werden nach Angaben der Entwickler anonym und verschlüsselt gespeichert. Von Betreibern und Veranstaltern können sie nicht eingesehen werden.
Bei der Entwicklung der Corona-Warn-App wurde viel Wert auf ein dezentrales System gesetzt. Die Daten, die mit der App des Bundes gesammelt werden, laufen also nirgends zusammen, das sollte auch das Vertrauen in die Sicherheit der App stärken. "Luca" setzt hingegen nun auf ein zentrales System, bei dem die Daten verschlüsselt gespeichert werden. Nur die Gesundheitsämter könnten die Daten entschlüsseln, betont das Unternehmen. Das lässt sich bislang nicht überprüfen, so die Technik-Journalistin Eva Wolfangel im Dlf. Die zentrale Architektur der App sei der Knackpunkt - aus ihrer Sicht ist sie unsicher und sogar gefährlich. Aus Erfahrung würde zentrale Speicherung Daten Begehrlichkeiten wecken: "Wenn viele spannende Daten an einem Ort sind, investieren Spione und Kriminelle auch sehr, sehr viel Energie, um die freizubekommen und sich diese Daten zu holen."
Die "Luca-App" muss wissen, wer wann wo war, um Rückverfolgung anbieten zu können. Das Datenschutzproblem verschärfe sich daher zwar im Vergleich zur Corona-Warn-App, sagte Digitalexperte Jörg Schieb in Deutschlandfunk Kultur, gleichzeitig sei Luca in dieser Hinsicht aber sicherer als Papierlisten, auf denen man sich zur Kontaktnachverfolgung bisher eintragen muss: "Da ist die Luca-App viel besser. Weil: Niemand kann reinschauen. Auf die Papierliste kann jeder draufgucken."
Wer einen Ort wieder verlässt, kann sich über die "Luca-App" auschecken – oder sich automatisch auschecken lassen. Das funktioniert aber nur, wenn Nutzer dieser Funktion ausdrücklich zustimmen. Die App nutzt dazu "Geofencing" und erfasst dabei automatisiert Standortdaten. Verlässt der Nutzer einen definierten Bereich, checkt die App ihn aus. Datenschützer sehen die "Geofencing" mehrheitlich sehr kritisch.
Störaktion von Böhmermann
Neben anderen Nutzer und Nutzerinnen auf Twitter hat auch der Satiriker Jan Böhmermann einen bestimmten Schwachpunkt der App öffentlichkeitswirksam aufgezeigt. Der ZDF-Moderator forderte via Twitter in der Nacht zu Mittwoch (7. April) auf, sich per QR-Code im Zoo Osnabrück einzuchecken. Der Zoo hatte den dazu benötigten QR-Code selbst als Foto veröffentlicht. Das Ergebnis: Mehr als 100 Personen befanden sich laut "Luca" in der Nacht im Zoo. Das stelle auch die Sinnhaftigkeit der App in Frage, sagte Technik-Journalistin Eva Wolfangel im Dlf. Die Störaktion zeige, dass Gesundheitsämter mit Datenmüll überschüttet würden. "In diesem Datenwust werden die wenigen realen Kontakte, die relevant für die Kontaktverfolgung sind, untergehen." Die Journalistin berichtete auch, sie stünde im Austausch mit Gesundheitsämtern, die das System der "Luca-App" überprüft und festgestellt hätten, dass sie mit den Daten aus der App nichts anfangen könnten.
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass der Quellcode nur teilweise veröffentlicht wurde und nicht sauber mit den den Lizenzen von verwendeten Open-Source-Komponenten umgegangen wurde.
Insgesamt haben inzwischen über 3,1 Millionen Menschen die Anwendung auf ihr Smartphone heruntergeladen (Stand 8. April).
Wie bei der Corona-Warn-App des Bundes gilt auch für die "Luca-App": Je mehr Menschen sie nutzen, desto effektiver wird sie für die Kontaktverfolgung. Das heißt, auch wer die App nutzt und kein Infektionsrisiko angezeigt bekommt, könnte trotzdem Kontakt zu einer infizierten Person gehabt haben, die die App nicht nutzt.
Für die "Luca-App" hat in mehreren Talkshows der Rapper Smudo von den "Fantastischen Vier" als digitales Tool gegen die Corona-Pandemie geworben. Der Künstler selbst hat in die App investiert. Nach einem seiner Auftritte Anfang März in der Talkshow "Anne Will" meldeten sich so viele neue Nutzer an, dass die App dem Andrang kurzzeitig nicht gewachsen war und nicht mehr funktionierte.
(Quelle: dpa, Eva Wolfangel)