Inflation
Ist das Schlimmste überstanden?

Rekordpreise beim Heizen und im Supermarkt: Im Schnitt haben Haushalte durch die Inflation seit der Pandemie knapp ein Fünftel an Kaufkraft verloren. Es gibt zwar auch Lohnerhöhungen und staatliche Entlastungen, doch davon profitieren nicht alle.

Von Katja Scherer |
    Kunden warten in einem Supermarkt an der Kasse.
    Die Preise für Lebensmittel sind durch die Inflation in den vergangenen Jahren zum Teil stark gestiegen. Die Kaufkraft vieler Kunden ist hingegen gesunken. (picture alliance / dpa / Markus Scholz)
    Die Inflation begleitet uns seit der Coronapandemie. Ende 2021 lag die monatliche Inflationsrate bei über fünf Prozent. Als Russland dann im Februar 2022 die Ukraine angriff und die Energiekrise folgte, stieg die Inflationsrate auf zeitweise mehr als zehn Prozent.
    Inzwischen steigen die Preise wieder langsamer. Doch das Leben in Deutschland bleibt teuer. 57 Prozent der Menschen bereitet das Sorgen, wie eine aktuelle Umfrage der R+V Versicherung zeigt. Sie haben Angst vor weiter steigenden Lebenshaltungskosten.
    Wie hat sich die Inflation 2024 entwickelt? Ist es gelungen, einen Teil der Kaufkraftverluste auszugleichen? Und was erwartet uns 2025?

    Inhalt

    So hat sich die Inflation 2024 entwickelt

    Die Rekordinflation ist vorbei. In diesem Jahr war der Preisanstieg insgesamt moderat. Die Preise stiegen im Januar noch um 2,9 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Bis September fiel die monatliche Teuerungsrate dann auf 1,6 Prozent – also sogar unter das Ziel von zwei Prozent, das die Europäische Zentralbank vorgibt. Zuletzt sind die Verbraucherpreise wieder etwas stärker gestiegen: um 2,2 Prozent im November im Vorjahresvergleich.
    Grafik-Diagramm: "Die Verbraucherpreise im November"
    Die Entwicklung der Verbraucherpreise bis November 2024 (dpa / dpa-infografik)
    Das klingt auf den ersten Blick, als wäre die Inflation kein großes Problem mehr. Aber das stimmt nicht. Denn die Preissteigerungen der vergangenen Jahre haben sich aufsummiert. Dadurch bleibt das Leben teuer. Im Schnitt können sich Haushalte in Deutschland ein Fünftel weniger leisten als noch vor drei Jahren, sagt Volker Wieland, Professor für Monetäre Ökonomie an der Goethe-Universität Frankfurt.

    Wie lange werden wir die Folgen der Inflation noch spüren?

    Die Preise werden voraussichtlich weiter hoch bleiben. Vereinzelt sinken Preise zwar auch mal. Im November war das zum Beispiel bei Zucker der Fall. Der wurde in dem Monat fast ein Viertel billiger, zeigen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. In Summe sind fallende Preise – also eine Deflation – in einer Volkswirtschaft aber gar nicht wünschenswert. Denn wenn Unternehmen insgesamt weniger einnehmen, sinken mittelfristig auch die Löhne und es kann zu Entlassungen kommen.
    Jetzt müssten die Löhne nachziehen, sagt der Frankfurter Volkswirt Volker Wieland. Also dass die Preise hoch bleiben, die Löhne aber auch steigen, sodass Verbraucher perspektivisch nicht schlechter gestellt sind als vorher. Aus Sicht der Arbeitnehmer sollten diese Lohnsteigerungen natürlich möglichst zeitnah erfolgen. Daher war 2024 von harten Tarifverhandlungen geprägt.
    Insgesamt handelten Gewerkschaften 2024 Tarifabschlüsse für etwa 12,6 Millionen Beschäftigte aus. Das zeigen Auswertungen des Tarifarchivs im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. Neue Abschlüsse gab es unter anderem im Baugewerbe, in der Chemiebranche und in der Metall- und Elektroindustrie.
    Der Reallohnindex ist in der Volkswirtschaftslehre das Verhältnis von Nominallohn und Preisniveau beziehungsweise von Nominallohnindex und Preisindex. Er nimmt zu, wenn der Nominallohn rascher steigt als die Güterpreise.
    Die Reallöhne sind in Deutschland im zweiten Quartal 2024 erneut angestiegen. Das war der fünfte Anstieg in Folge. (statista)
    Bundesweit sind die Löhne in diesem Jahr im Schnitt stärker gestiegen als die Inflation, nach Zahlen des Statistischen Bundesamts um voraussichtlich etwa drei Prozent. Für einen vollen Ausgleich der Kaufkraftverluste reicht das aber noch nicht. Außerdem ist das ein Durchschnittswert. Wie stark Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sich tatsächlich über Lohnsteigerungen freuen konnten, variiert von Branche zu Branche und Unternehmen zu Unternehmen.

    Staatliche Hilfen gegen die Inflation 2024

    Haushalte haben in diesem Jahr von mehreren gesetzlich festgelegten Entlastungen profitiert. Zum Jahresstart trat unter anderem die zweite Stufe des Inflationsausgleichsgesetzes in Kraft. Dadurch stieg der steuerliche Grundfreibetrag – also das Einkommen, bis zu dem keine Einkommensteuer gezahlt werden muss. Außerdem hat die Bundesregierung den Einkommensteuertarif verändert, sodass Löhne und Gehälter nicht höher besteuert, wenn ihr Anstieg lediglich die höheren Preise ausgleicht.
    Insgesamt hätten 48 Millionen Menschen von der zweiten Stufe des Inflationsausgleichsgesetzes profitiert, schreibt die Regierung. Sie nennt auch ein konkretes Beispiel: Eine Familie mit doppeltem Gehalt und zwei Kindern spare 2024 insgesamt 410 Euro Steuern bei einem monatlichen Bruttoarbeitslohn von 4.667 Euro.
    Darüber hinaus sind in diesem Jahr weitere Entlastungen speziell für Haushalte mit weniger Geld in Kraft getreten. Unter anderem stieg zum Januar das Bürgergeld: Alleinstehende Erwachsene beispielsweise erhalten nun 563 Euro im Monat – 61 Euro mehr als bisher.
    Und erwerbstätige Eltern, deren Einkommen nicht oder nur knapp ausreicht, um ihre Familie zu versorgen, bekommen seit Januar einen höheren Kinderzuschlag: statt maximal 250 Euro sind es 292 Euro pro Monat und Kind. Der Zuschlag wird zusätzlich zum Kindergeld ausgezahlt. Außerdem ist der Mindestlohn 2024 weiter gestiegen, auf 12,41 Euro pro Stunde.
    Die ehemalige Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP plant darüber hinaus weitere Hilfen für Haushalte im kommenden Jahr. Weitere steuerliche Entlastungen und eine Kindergelderhöhung sollen noch vor der Bundestagswahl auf den Weg gebracht werden.

    Hat die Inflation zu mehr Ungleichheit geführt?

    Tendenziell schon, weil das anhaltend hohe Preisniveau vor allem für Familien mit weniger Geld schwer zu stemmen ist. Haushalte mit weniger Einkommen und mehreren Kindern geben überdurchschnittlich viel für Energie und Lebensmittel aus – Güter also, die besonders stark im Preis gestiegen sind. Dadurch haben diese Haushalte im Schnitt rund drei Prozentpunkte mehr an Kaufkraft verloren als beispielsweise gut verdienende Singles, sagt der Volkswirt Sebastian Dullien vom Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung.
    Allerdings habe die Bundesregierung Haushalte mit weniger Geld auch stärker entlastet – zum Beispiel durch das gestiegene Bürgergeld, die steuerlichen Verbesserungen und den höheren Kinderzuschlag. Haushalte mit einem sehr niedrigen Jahreseinkommen von bis zu 20.000 Euro seien dadurch im Schnitt finanziell sogar etwas besser gestellt als noch vor der Rekordinflation, sagt Sebastian Dullien. Auch der Mindestlohn sei seit 2021 stärker gestiegen als die Inflation.
    Finanziell schlechter gehe es dagegen Beschäftigten, die knapp über dem Mindestlohn arbeiten. Diese seien „voll getroffen von dieser Inflation und die Lohnerhöhungen in diesem Bereich haben nicht ganz mitgehalten“, sagt der Volkswirt.
    Kritisch ist das insbesondere, weil sich Haushalte mit weniger Einkommen nur schwer an das hohe Preisniveau anpassen können. Anders als Besserverdiener haben sie kaum Möglichkeiten, im Alltag Geld zu sparen. Das heißt im Klartext: Für Haushalte mit höherem Einkommen ist die Inflation lästig, aber verkraftbar. Für Haushalte mit wenig Geld ist sie eine enorme Belastung.

    Wie entwickelt sich die Inflation 2025?

    Die Deutsche Bundesbank rechnet damit, dass die Teuerung im kommenden Jahr nicht wieder anzieht. Sie kalkuliert 2025 mit einer Inflationsrate von 2,4 Prozent im Jahresdurchschnitt. Ab 2026 werde die Inflationsrate in Deutschland dann voraussichtlich wieder die von der Europäischen Zentralbank angestrebten zwei Prozent erreichen, sagte Bundesbankpräsident Joachim Nagel Mitte Dezember.
    Dafür zu sorgen ist vor allem Aufgabe der Europäischen Zentralbank (EZB). Die Währungshüter haben in den Jahren 2022 und 2023 den Leitzins stark erhöht – von 0 auf 4,5 Prozent in nur 14 Monaten. Das dämpfte wie gewünscht die Inflation. Es hat aber auch die Wirtschaft stark ausgebremst. Wenn die Zinsen stark steigen, investieren Unternehmen weniger.
    Im Sommer hat die Europäische Zentralbank daher eine Zinswende eingeleitet und den Leitzins wieder gesenkt – im Dezember zum vierten Mal. Der Leitzins liegt nun bei drei Prozent. Die Abkehr von den hohen Zinsen sei vom Timing her grundsätzlich „okay“ gewesen, sagt der Frankfurter Volkswirt Volker Wieland. Die Währungshüter sollten aber vor weiteren Zinssenkungen genau hinsehen, rät er.
    Wichtig findet er zudem, dass die weiteren Lohnsteigerungen, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber 2025 aushandeln, nicht zu stark ausfallen. Denn höhere Löhne führten zu höheren Preisen, argumentiert er. Das könne die Inflation dann auch wieder anheizen.