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Informatik-Studium
Was IT-Nerds von Philosophen lernen können

Auch Informatiker brauchen eine Art hippokratischen Eid: Nicht alles, was mit den Mitteln moderner IT möglich ist - Menschen zu überwachen, auszuspähen, zu manipulieren - ist auch ethisch vertretbar. Die Vorlesung "Ethik für Nerds" an der Universität des Saarlandes soll das Bewusstsein dafür stärken.

Von Tonia Koch |
Ausschnitte eines größeren Computerprogramms liegen übereinander.
Algorithmen sind nicht einfach nur eine "rein technische" Angelegenheit - sie können die Gesellschaft verändern (picture-alliance / Maximilian Schönherr / dpa)
Sarah Sterz hat Informatik und Philosophie studiert. Ihr Schwerpunkt ist die Philosophie. Im kleinen Hörsaal der Informatiker hält sie vor etwa 30 Studierenden die Vorlesung: Ethik für Nerds.
"Wir versuchen die philosophischen Methoden hier in die Köpfe der Informatikerinnen und Informatiker reinzubekommen und auch auf eine Art und Weise, dass sie später anwendungsbereit sind. Weil wenn die jetzt einmal eine Klausur schreiben und sie ganz toll aufschreiben können, was der Utilitarismus genau sagt oder was Kant genau gesagt hat, aber das am Ende keinen Einfluss auf ihre Arbeit hat, dann ist unser Ziel auch nicht erreicht."
Filterblasen und soziale Medien machen Politik
Es geht um methodische Genauigkeit, um Rüstzeug, das den angehenden Informatikern an die Hand gegeben werden kann, damit sie die Wirkung ihres Tuns auch einschätzen können, erläutert Kevin Baum. Der Computer-Philosoph hat gemeinsam mit dem Informatik-Professor Holger Hermans, die "Ethics for Nerds" – Vorlesung vor vier Jahren konzipiert:
"Es gilt mittlerweile als Allgemeinplatz, dass Donald Trump seine Wahl unter anderem den bösen Filterblasen und Echokammern in sozialen Medien verdankt. Fragen Sie die Leute, die darüber am Kaffeetisch diskutieren mal: was genau ist eine Filterblase und was genau eine Echokammer und wie könnten wir das abstellen? Wie könnten wir das so machen, dass diese Filteralgorithmen, die wir brauchen angesichts der Menge an Informationen, immer noch als Filteralgorithmen funktionieren, aber ohne die schädlichen Einflüsse? Dafür muss ich verstehen, was meine ich mit Filterblase und was ist der schädliche Einfluss davon."
Programmierer haben soziale Verantwortung
Erstmals läuft der Kurs in einer Blockveranstaltung, die - weil sie in den Semesterferien stattfindet – auch zu Hause verfolgt werden kann. Aber es lohne sich, persönlich vorbeizuschauen, sagt Sarah Sterz:
"Es ist natürlich schön, wenn die Leute vorbeikommen, denn dann lernen sie mehr."
Die, die anwesend sind, sind sich einig: Je mehr die Gesellschaft auf digitale Anwendungen zurückgreift und auf künstliche Intelligenz zur Unterstützung im Alltag, desto größer ist die Verantwortung all jener, die solche Systeme programmieren, findet Informatik-Studentin Özlam:
"All das, was wir als Computerspezialisten künftig entwickeln werden, wird die Gesellschaft wesentlich beeinflussen. Die ethische Perspektive frühzeitig im Blick zu haben, ist daher ungeheuer wichtig."
"Mehr als nur Buzzword-Bingo"
Aus den gleichen Gründen wie Özlam haben sich auch Sebastian und Richard für den Kurs angemeldet:
"In den Medien wird häufig Informatik und Ethik eigentlich immer nur mit denselben Buzzwords genannt, mit AI und mit Big Data. Ja genau, und die Veranstaltung hat halt mehr versprochen als ein Buzzword-Bingo. Was der ausschlaggebende Punkt für mich war, dass ich gemerkt habe, dass gerade auch Politiker zum Teil anfangen, sich durch Technik rauszureden, und wenn dann niemand mehr da ist, der quasi die Ethik dahinter sieht und das Technische, dann wird es ganz schwierig."
Problembewusstsein im Informatik-Mainstream angekommen
Zwar folgten auch die Informatiker einer gewissen Selbstverpflichtung, damit sie mit ihren Methoden und Datenarrangements der Gesellschaft keinen Schaden zufügen. Doch die vielfach missbräuchliche Verwendung von Daten zeige, dass die ethischen Maßstäbe durchaus ausbaufähig seien, meint Kevin Baum.
"Es gibt das geflügelte Wort von ‚not my department‘. Es ist nicht so, dass nicht diskutiert wird, aber es wird nicht als die eigene Aufgabe verstanden. Erst mit der Zeit, wo man jetzt gesehen hat, dass man die Gesellschaft maßgeblich verändert, ist man sich nach und nach der eigenen Verantwortung bewusst geworden. Es gab diese Minderheit ja immer schon, Leute aus dem Umfeld des Chaos-Computerclub - aber der akademischen Informatik war diese Art zu denken erst mal relativ fremd. Das ist jetzt aber nach und nach mehr Mainstream geworden, und da sind wir auch glücklich."
Die sogenannte Vertiefungsveranstaltung, für die sechs "Credit Points" veranschlagt sind, wird gut nachgefragt. Zumindest ein Teil der Informatik-Studierenden interessiert sich für die ethischen Dimensionen ihres Faches und ist gewillt, über den Tellerrand hinaus zu schauen.