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Ingelheim
Abschiebezentrum wider Willen

Die jüngsten Urteile von EuGH und BGH bedeuten künftig weniger Flüchtlinge in Abschiebehaft. Denn die Praxis soll humaner werden, Asylbewerber dürfen wegen Fluchtgefahr nicht in Haft genommen werden. Doch könnte ausgerechnet ein Abschiebegefängnis in Ingelheim eine Art regionales Abschiebezentrum für ganz Südwestdeutschland werden.

Von Ludger Fittkau | 24.07.2014
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim.
    Das einzige rheinland-pfälzische Abschiebegefängnis in Ingelheim. (picture alliance / dpa - Fredrik von Erichsen)
    Es ist wie an der Pforte jedes modernen Gefängnisgebäudes: Ein Justizbeamter sitzt hinter Panzerglas, das ihm den Blick auf das Vorfeld der gut acht Meter hohen Betonmauer freigibt, hinter der Menschen eingesperrt sind. In der Eingangschleuse legt man seinen Ausweis in die Schublade, die der Beamte zu sich in den Kontrollraum zieht. Dann das Warten in der Schleuse, bis jemand kommt. Immerhin: keine Leibesvisitation, wie normalerweise in der Justizvollzugsanstalt. Stattdessen ein Handschlag von Stefan Mollner, dem Leiter der rheinland-pfälzischen Gewahrsameinrichtung für Ausreisepflichtige, wie der Ingelheimer Abschiebeknast offiziell heißt. Auf dem Weg in den Gefängnishof erklärt Mollner, wie sich die Einrichtung von einem normalen Gefängnis unterscheidet:
    "Die Unterschiede sind in erster Linie darin, dass in der Gewahrsamseinrichtung ein hohes Augenmerk auf die soziale Betreuung gelegt wird. Das auf Außenkontakte wert gelegt wird, anders als in einer JVA. Außenkontakte in der Form, dass die Besuchsregelungen deutlich großzügiger gehalten werden als in der Justiz. Dass Schriftverkehr, ein und ausgehender Schriftverkehr deutlich großzügiger gehalten wird. Dass die Menschen hier bei der Unterbringung die Mobiltelefone mit in den Haftbereich nehmen können. Das sind schon die wesentlichen Unterschiede."
    Stefan Mollner geht voran in einen Trakt mit leerstehenden Gefängniszellen. Das seit 2011 von einer Grünen-Politikerin geführte Integrationsministerium in Mainz hat dafür gesorgt, dass Zellen nicht mehr doppelt mit Flüchtlingen belegt werden, die abgeschoben werden sollen.
    "Das ist jetzt der neue Raum mit einem Bett, Spind für eine Person, Tisch, Stuhl, Fernseher, Wasserkocher und hier die Nasszelle, WC und Waschbecken."
    Regionales Abschiebegefängnis für den Süd-Westen?
    70 Flüchtlinge können im Ingelheimer Abschiebegefängnis eingesperrt werden - zurzeit sind hier weniger als 20 Personen inhaftiert, die hier in der Regel einen knappen Monat auf ihre Abschiebung warten müssen. Auch Baden-Württemberg und Hessen haben hier Flüchtlinge untergebracht, mit dem Saarland besteht sogar ein langfristiger Vertrag. Diese Länder verfügen nicht über ein Abschiebegefängnis, das den Kriterien des Europäischen Gerichtshofs entspricht. Siegfried Pick, Leiter des Ausländerpfarramtes des evangelischen Kirche im Rheinland in nahegelegenen Bad Kreuznach befürchtet deshalb, das Ingelheim ein regionales Abschiebegefängnis für den gesamten süd-westdeutschen Raum werden könnte. Und das, obwohl die Grünen in der rheinland-pfälzischen Landesregierung die Abschiebehaft eigentlich ganz abschafften wollten:
    "Wir kommen jetzt in eine Entwicklung, dass Ingelheim so eine Art Regionalknast wird. Es sind jetzt schon Flüchtlinge aus mehreren Bundesländern dort. Derzeit sind es 15 Personen nach meinen Informationen. Auch aus Baden-Württemberg, auch aus Hessen. Und wir sehen die Gefahr, dass auf einmal die Plätze in Ingelheim von den Nachbarbundesländern belegt werden und wir haben dann auf einmal einen Knast, der plötzlich wieder voll ist. Wohingegen die Ministerin gesagt hat: Ingelheim muss geschlossen werden."
    Integrationsministerin will Abschiebehaft vermeiden
    Die Integrationsministerin heißt Irene Alt und ist eine erfahrene Politikerin der Grünen. Sie sagt, sie habe sich im Bund bisher nicht mit ihrer Forderung durchsetzten zu können, die Abschiebehaft in Deutschland abzuschaffen. Deshalb habe sie auch den Abschiebeknast in Ingelheim bisher nicht schließen können, wie sie es vorgehabt habe:
    "Ich bin bundesweit die einzige Integrationsministerin, die auch die ausländerrechtlichen Fragen - die Flüchtlinge - mit im Aufgabengebiet hat, sodass ich hier federführend tätig sein kann. Ich werde in jedem Fall in Berlin weiter für die Abschaffung der Abschiebehaft kämpfen. Ich werde dann, wenn es mir nicht gelingt, weil es mir an den nötigen Mehrheiten fehlt, probieren, die Abschiebehaft möglichst zu vermeiden. Dafür haben wir einen Haftvermeidungserlass erlassen, damit wir das möglichst auf ein Minimum beschränken. Und die wenigen Fälle, die dann noch in Abschiebehaft kommen, die wollen wir so humanitär wie möglich unterbringen."
    Irene Alt will jetzt den Abschiebeknast in Ingelheim verkleinern. Je 15 Haft-Plätze sollen künftig für das Saarland und für Rheinland-Pfalz zur Verfügung stehen, zehn weitere Plätze stünden dann zumindest zeitweise auch für Hessen und für Baden-Württemberg bereit.
    "Ingelheim muss geschlossen werden"
    Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz ist ein Zusammenschluss von Flüchtlingsinitiativen, für den der evangelische Ausländerpfarrer Siegfried Pick spricht.
    "Der Arbeitskreis Asyl Rheinland-Pfalz findet diese kosmetischen Veränderungen - na ja, das sind kleine Schritte, die man begrüßen kann. Aber das ist nicht das, was wir wollen. Wir haben gesagt: Abschiebehaft ist eine falsche Entwicklung und Ingelheim muss geschlossen werden. Das sagen wir auch heute noch."