"... Ich dachte, oh, das ist es jetzt, wovon du immer geträumt hast. Das war etwas, was ich nie zu hoffen gewagt hatte, dass ich irgendwann so an ganz vorderster Stelle vielleicht irgendwann etwas mittun könnte für die DDR."
Ungetrübt ist die Erinnerung einer heute Fünfzigjährigen an ihre erste Reaktion auf das Ansinnen der Staatssicherheit, sie für eine inoffizielle Mitarbeit zu gewinnen. Als überzeugte Verfechterin des real existierenden Sozialismus der DDR fühlte sie sich geehrt, auserwählt und leistete dem MfS dann auch zehn Jahre lang treue Dienste – sie wurde Mitarbeiterin des Auslandsgeheimdienstes HVA. Bis heute verheimlicht sie selbst ihren Kindern ihre einstige Nebentätigkeit, bis heute kultiviert sie ein idealisiertes Bild der DDR, und bis heute rechtfertigt sie ihr eigenes Tun ebenso, wie sie die Unterdrückungsmechanismen der DDR insgesamt verharmlost und sich von der bundesrepublikanischen Gesellschaft missverstanden fühlt. So ungerührt die einstige Spionin ihre verräterischen Akte von damals auch beschreibt – immerhin kann sie darüber lachen, dass ihr 007-Talent nicht eben ausgeprägt war: Aus Angst davor, enttarnt zu werden, habe sie bei konspirativen Aufenthalten im Westen nicht einmal gewagt, Bananen zu kaufen.
So wie diese vormalige SED-Funktionärin treten viele Inoffizielle Mitarbeiter heute auf. Prototypisch erscheint ihre Geschichte, aber eindimensional und glatt – verglichen mit den übrigen Erinnerungen, die die beiden Psychoanalytiker Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers in ihrem Band "Verräter oder Verführte" zusammengetragen und analysiert haben. Zwanzig vormaligen IM sind die Wissenschaftler vom Sigmund Freud Institut in Frankfurt am Main begegnet, haben sich die verschiedenen Familien-, Lebens-, aber auch Leidensgeschichten angehört und natürlich die Details der Stasitätigkeit ihrer Zeitzeugen erfragt. Anders als Historiker bedienen sie sich der Methoden der Psychoanalyse, um den Motiven für Verrat oder Verführbarkeit auf die Spur zu kommen.
Herausgekommen ist keine Apologie wie so oft, wenn Schuldige das Wort ergreifen und ihr verwerfliches Tun erklären dürfen. Hier wird nichts beschönigt, das sei vorab ausdrücklich bemerkt. Aber hier werden psychische Dispositionen, Gefühlslagen, Traumatisierungen und Schwächen erläutert, die von der Staatssicherheit perfide genutzt wurden, um Menschen gefügig zu machen. Wer sich gezwungenermaßen oder auch freiwillig unlauter und verräterisch gegenüber seinen Mitmenschen verhält, hat schließlich ein Motiv – oft verborgen in seinem Unterbewusstsein. Indem sie dieses aufspüren, erhellen die Psychoanalytiker die persönlichen Geschichten, aber auch die Perfidie der Diktatur: individuelles Handeln, das ja von den IM vielfach gar nicht als problematisch erkannt wurde, unterlag in der verlogenen und stark am Ideal des Kollektivs orientierten Gesellschaft der DDR oft nicht mehr der individuellen Kontrolle.
Die Autoren nähern sich ihren – als Probanden anonymisiert auftretenden – Gesprächspartnern mit einer anderen Haltung als Historiker oder Journalisten, anders natürlich auch als Arbeitgeber oder Anwälte oder gar die Opfer von einst. Und obwohl die beiden Psychoanalytiker weder Anklage noch Vorwurf erheben, entdecken oder wecken sie bei vielen Ex-IM Schuldgefühle: Beim Erzählen, so scheint es, kommt das vor Jahren beim MfS abgegebene schlechte Gewissen, im besten Fall auch die gesunde Urteilskraft zurück. Ausgenommen bei jenen, die reine Überzeugungstäter oder von ihrer Unschuld überzeugt sind, versteht sich. In solchen Fällen verdeckt die Schmach, die für sie in der Kategorisierung als IM steckt, offenbar die Fähigkeit, Schuld einzugestehen und sich Erleichterung zu verschaffen.
Denn obwohl die Gespräche keinen therapeutischen Zweck verfolgen, fühlen sich einige Inoffizielle Mitarbeiter anschließend erleichtert. Zum Beispiel der "Herr Voss" genannte Proband, der 1991 seinen Arbeitgeber bewusst belogen hat, in dem er seine Stasi-Tätigkeit verschwieg, weil er – wie er sagt – solange wie möglich einer sinnvollen Arbeit nachgehen wollte und erwartungsgemäß später aufgeflogen ist. Die Analytikerin schreibt über ihn:
Dankbar sagt er am Ende des Interviews, dass er bisher noch mit niemandem in dieser Form über seine IM-Tätigkeit habe sprechen können; erstmals hat er den Eindruck, nicht stark sein zu müssen, sondern auch seine Schwächen, wie die frühere Alkoholabhängigkeit, seine Depression und die Verführbarkeit durch das MfS, zeigen zu können.
Herrn Voß hatte das MfS als Wissenschaftler mit einem interessanten Forschungsprojekt geködert. Zuverlässig und dankbar für die Möglichkeit, sich endlich in seinem Beruf profilieren zu können, lieferte er seinen beiden Führungsoffizieren Informationen über angeblich staatsfeindliche Personen, über einen Arbeitskollegen, dessen Vertrauen er sich eigens erwarb, um ihn zu verraten.
Das Repertoire der vielfach psychologisch geschulten hauptamtlichen Mitarbeiter war groß, ihre Anwerbungsmethoden ausgereift – und die Autoren zeigen, wie giftig die Mischung aus äußeren Beweggründen und unbewussten inneren Anlagen, kindlichen Sehnsüchten oder Traumatisierungen schließlich wirkte – bis heute, wie es scheint. Die Intellektuelle "Frau Pohl", eine überzeugte Kommunistin, der man das Parteibuch verweigerte:
Die Stasi erschien mir nie wie ein Geheimdienst, also das war für mich eigentlich der verdeckte Arm der Partei. Die Partei will mich nicht, dann gehe ich eben zum anderen Teil der Partei. Und alles, worüber ich auch sonst redete, erzählte ich nun denen auch.
Um überhaupt Kontakt zu einstigen Mitarbeitern der Stasi zu finden und deren biographische Geschichten mit Hinterlassenschaften aus den Akten des MfS zu vergleichen, waren die beiden Psychoanalytiker auf die Zusammenarbeit mit Historikern der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen angewiesen. So hat Helmut Müller-Enbergs Fälle herausgesucht, den Kontakt zu den IM angebahnt und schließlich auch die Stasiakten der Probanden – soweit vorhanden – gelesen und für den Band kurz zusammengefasst. Den Analytikern wurde es auf diese Weise möglich, den Wahrheitsgehalt der Zeitzeugengespräche zu verifizieren. Und auch der Leser erhält einen Eindruck von der Aktenlage. Bedauerlicherweise bedient sich der Historiker Müller-Enbergs in seinen kurzen Berichten über die Berichte einer Sprache, die vom jahrelangen Aktenstudium verdorben ist.
Das schmälert den Wert der Untersuchung indes nicht. Denn indem Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers auf die Polarisierung zwischen Opfer und Täter zunächst verzichten, ist es ihnen gelungen, die Motive der IM und einen ganzen Strauß von Prägungen aus der Kindheit, Verletzungen, Verlust- und Versagensängsten zusammengetragen. Bestimmte Handlungen – unterwürfiges, renitentes oder geltungssüchtiges Verhalten – erscheinen fast zwangsläufig in ihrer DDR-spezifischen Ausprägung. Und so lautet schließlich das Resümee der Autoren:
Aus psychodynamischer Sicht war die DDR erfüllt von einer paranoiden Atmosphäre: Der Feind, der das System zum Einsturz bringen konnte, schien überall zu lauern, und forderte Überwachung in einem sich ständig steigernden Ausmaß. Dieses Misstrauen entsprang einer vom System selbst vorgenommenen Spaltung zwischen der Selbstdefinition als gut, sozial und fortschrittlich und der Definition jeglicher Form von Opposition als böse, unsozial und reaktionär und deren Zuschreibung an das so genannte imperialistische Ausland. Die grundlegende Unfähigkeit anzuerkennen, dass unmittelbare Übereinstimmung zwischen Menschen eher die Ausnahme als die Regel ist, gab diesem Staat seinen totalitären Charakter. Es war der Versuch, eine Gesellschaft zu realisieren, in der keine Konflikte existierten und ausgetragen werden durften. Dies gab der DDR ihren kollektiv regressiven Charakter, entmündigte ihre Bürger, aber auch die Machthaber.
Verräter oder Verführte. Eine psychoanalytische Untersuchung Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Herausgegeben von Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers im Christoph Links Verlag Berlin. 250 Seiten, 19 Euro und 90 Cent.
Ungetrübt ist die Erinnerung einer heute Fünfzigjährigen an ihre erste Reaktion auf das Ansinnen der Staatssicherheit, sie für eine inoffizielle Mitarbeit zu gewinnen. Als überzeugte Verfechterin des real existierenden Sozialismus der DDR fühlte sie sich geehrt, auserwählt und leistete dem MfS dann auch zehn Jahre lang treue Dienste – sie wurde Mitarbeiterin des Auslandsgeheimdienstes HVA. Bis heute verheimlicht sie selbst ihren Kindern ihre einstige Nebentätigkeit, bis heute kultiviert sie ein idealisiertes Bild der DDR, und bis heute rechtfertigt sie ihr eigenes Tun ebenso, wie sie die Unterdrückungsmechanismen der DDR insgesamt verharmlost und sich von der bundesrepublikanischen Gesellschaft missverstanden fühlt. So ungerührt die einstige Spionin ihre verräterischen Akte von damals auch beschreibt – immerhin kann sie darüber lachen, dass ihr 007-Talent nicht eben ausgeprägt war: Aus Angst davor, enttarnt zu werden, habe sie bei konspirativen Aufenthalten im Westen nicht einmal gewagt, Bananen zu kaufen.
So wie diese vormalige SED-Funktionärin treten viele Inoffizielle Mitarbeiter heute auf. Prototypisch erscheint ihre Geschichte, aber eindimensional und glatt – verglichen mit den übrigen Erinnerungen, die die beiden Psychoanalytiker Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers in ihrem Band "Verräter oder Verführte" zusammengetragen und analysiert haben. Zwanzig vormaligen IM sind die Wissenschaftler vom Sigmund Freud Institut in Frankfurt am Main begegnet, haben sich die verschiedenen Familien-, Lebens-, aber auch Leidensgeschichten angehört und natürlich die Details der Stasitätigkeit ihrer Zeitzeugen erfragt. Anders als Historiker bedienen sie sich der Methoden der Psychoanalyse, um den Motiven für Verrat oder Verführbarkeit auf die Spur zu kommen.
Herausgekommen ist keine Apologie wie so oft, wenn Schuldige das Wort ergreifen und ihr verwerfliches Tun erklären dürfen. Hier wird nichts beschönigt, das sei vorab ausdrücklich bemerkt. Aber hier werden psychische Dispositionen, Gefühlslagen, Traumatisierungen und Schwächen erläutert, die von der Staatssicherheit perfide genutzt wurden, um Menschen gefügig zu machen. Wer sich gezwungenermaßen oder auch freiwillig unlauter und verräterisch gegenüber seinen Mitmenschen verhält, hat schließlich ein Motiv – oft verborgen in seinem Unterbewusstsein. Indem sie dieses aufspüren, erhellen die Psychoanalytiker die persönlichen Geschichten, aber auch die Perfidie der Diktatur: individuelles Handeln, das ja von den IM vielfach gar nicht als problematisch erkannt wurde, unterlag in der verlogenen und stark am Ideal des Kollektivs orientierten Gesellschaft der DDR oft nicht mehr der individuellen Kontrolle.
Die Autoren nähern sich ihren – als Probanden anonymisiert auftretenden – Gesprächspartnern mit einer anderen Haltung als Historiker oder Journalisten, anders natürlich auch als Arbeitgeber oder Anwälte oder gar die Opfer von einst. Und obwohl die beiden Psychoanalytiker weder Anklage noch Vorwurf erheben, entdecken oder wecken sie bei vielen Ex-IM Schuldgefühle: Beim Erzählen, so scheint es, kommt das vor Jahren beim MfS abgegebene schlechte Gewissen, im besten Fall auch die gesunde Urteilskraft zurück. Ausgenommen bei jenen, die reine Überzeugungstäter oder von ihrer Unschuld überzeugt sind, versteht sich. In solchen Fällen verdeckt die Schmach, die für sie in der Kategorisierung als IM steckt, offenbar die Fähigkeit, Schuld einzugestehen und sich Erleichterung zu verschaffen.
Denn obwohl die Gespräche keinen therapeutischen Zweck verfolgen, fühlen sich einige Inoffizielle Mitarbeiter anschließend erleichtert. Zum Beispiel der "Herr Voss" genannte Proband, der 1991 seinen Arbeitgeber bewusst belogen hat, in dem er seine Stasi-Tätigkeit verschwieg, weil er – wie er sagt – solange wie möglich einer sinnvollen Arbeit nachgehen wollte und erwartungsgemäß später aufgeflogen ist. Die Analytikerin schreibt über ihn:
Dankbar sagt er am Ende des Interviews, dass er bisher noch mit niemandem in dieser Form über seine IM-Tätigkeit habe sprechen können; erstmals hat er den Eindruck, nicht stark sein zu müssen, sondern auch seine Schwächen, wie die frühere Alkoholabhängigkeit, seine Depression und die Verführbarkeit durch das MfS, zeigen zu können.
Herrn Voß hatte das MfS als Wissenschaftler mit einem interessanten Forschungsprojekt geködert. Zuverlässig und dankbar für die Möglichkeit, sich endlich in seinem Beruf profilieren zu können, lieferte er seinen beiden Führungsoffizieren Informationen über angeblich staatsfeindliche Personen, über einen Arbeitskollegen, dessen Vertrauen er sich eigens erwarb, um ihn zu verraten.
Das Repertoire der vielfach psychologisch geschulten hauptamtlichen Mitarbeiter war groß, ihre Anwerbungsmethoden ausgereift – und die Autoren zeigen, wie giftig die Mischung aus äußeren Beweggründen und unbewussten inneren Anlagen, kindlichen Sehnsüchten oder Traumatisierungen schließlich wirkte – bis heute, wie es scheint. Die Intellektuelle "Frau Pohl", eine überzeugte Kommunistin, der man das Parteibuch verweigerte:
Die Stasi erschien mir nie wie ein Geheimdienst, also das war für mich eigentlich der verdeckte Arm der Partei. Die Partei will mich nicht, dann gehe ich eben zum anderen Teil der Partei. Und alles, worüber ich auch sonst redete, erzählte ich nun denen auch.
Um überhaupt Kontakt zu einstigen Mitarbeitern der Stasi zu finden und deren biographische Geschichten mit Hinterlassenschaften aus den Akten des MfS zu vergleichen, waren die beiden Psychoanalytiker auf die Zusammenarbeit mit Historikern der Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen angewiesen. So hat Helmut Müller-Enbergs Fälle herausgesucht, den Kontakt zu den IM angebahnt und schließlich auch die Stasiakten der Probanden – soweit vorhanden – gelesen und für den Band kurz zusammengefasst. Den Analytikern wurde es auf diese Weise möglich, den Wahrheitsgehalt der Zeitzeugengespräche zu verifizieren. Und auch der Leser erhält einen Eindruck von der Aktenlage. Bedauerlicherweise bedient sich der Historiker Müller-Enbergs in seinen kurzen Berichten über die Berichte einer Sprache, die vom jahrelangen Aktenstudium verdorben ist.
Das schmälert den Wert der Untersuchung indes nicht. Denn indem Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers auf die Polarisierung zwischen Opfer und Täter zunächst verzichten, ist es ihnen gelungen, die Motive der IM und einen ganzen Strauß von Prägungen aus der Kindheit, Verletzungen, Verlust- und Versagensängsten zusammengetragen. Bestimmte Handlungen – unterwürfiges, renitentes oder geltungssüchtiges Verhalten – erscheinen fast zwangsläufig in ihrer DDR-spezifischen Ausprägung. Und so lautet schließlich das Resümee der Autoren:
Aus psychodynamischer Sicht war die DDR erfüllt von einer paranoiden Atmosphäre: Der Feind, der das System zum Einsturz bringen konnte, schien überall zu lauern, und forderte Überwachung in einem sich ständig steigernden Ausmaß. Dieses Misstrauen entsprang einer vom System selbst vorgenommenen Spaltung zwischen der Selbstdefinition als gut, sozial und fortschrittlich und der Definition jeglicher Form von Opposition als böse, unsozial und reaktionär und deren Zuschreibung an das so genannte imperialistische Ausland. Die grundlegende Unfähigkeit anzuerkennen, dass unmittelbare Übereinstimmung zwischen Menschen eher die Ausnahme als die Regel ist, gab diesem Staat seinen totalitären Charakter. Es war der Versuch, eine Gesellschaft zu realisieren, in der keine Konflikte existierten und ausgetragen werden durften. Dies gab der DDR ihren kollektiv regressiven Charakter, entmündigte ihre Bürger, aber auch die Machthaber.
Verräter oder Verführte. Eine psychoanalytische Untersuchung Inoffizieller Mitarbeiter der Stasi. Herausgegeben von Ingrid Kerz-Rühling und Tomas Plänkers im Christoph Links Verlag Berlin. 250 Seiten, 19 Euro und 90 Cent.