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Inhaftierte türkische Schriftsteller
"Wir müssen einen unhöflicheren Widerstand leisten"

Am heutigen Tag des inhaftierten Schriftstellers rückt der internationale Autorenverband PEN das Schicksal türkischer Autoren in den Fokus."Die Türkei ist ein Krisenland, dem wir uns sehr intensiv widmen müssen", sagte PEN-Vizepräsident Sascha Feuchert im DLF. Er kritisierte, dass die deutsche Politik zu spät auf die dortigen Einschränkungen der Meinungsfreiheit reagiert habe.

PEN-Vizepräsident Sascha Feuchert im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
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    "Die meisten Autoren auf der Welt sind im Augenblick in der Türkei in Haft", sagte PEN-Vizepräsident Sascha Feuchert im DLF. (picture alliance / dpa / Vassil Donev)
    Maja Ellmenreich: Asli Erdogans Schicksal ist eines von fünf, den der internationale PEN am heutigen "Tag des inhaftierten Schriftstellers" in den Fokus rückt, um auf die weltweiten Repressionen aufmerksam zu machen, unter denen Schriftsteller und Journalisten, Verleger und Blogger leiden. Sascha Feuchert ist Vizepräsident des deutschen PEN und Writers-in-Prison beziehungsweise Writers-at-Risk-Beauftragter. - Herr Feuchert, macht Ihnen die Türkei zur Zeit am meisten Sorgen?
    Sascha Feuchert: Ja, ganz sicher macht sie uns die meisten Sorgen. Denn man muss einfach feststellen, dass die meisten Autoren auf der Welt im Augenblick in der Türkei in Haft sind und insofern ist es ein Krisenland, dem wir uns im Augenblick sehr, sehr intensiv widmen müssen.
    Ellmenreich: Moritz Rinke sprach ja gerade von einem höflichen Widerstand. Ist zum Beispiel dieser deutsche Gastlandauftritt der richtige Weg Ihrer Meinung nach?
    Feuchert: Höflicher Widerstand funktioniert meines Erachtens nur in der Türkei selber, wenn man dort als Gast hinkommt. Ich halte das, was die Kolleginnen und Kollegen dort gemacht haben, für absolut richtig. Ich halte auch die Entscheidung für richtig, dort hinzugehen und diesen höflichen Widerstand zu leisten.
    Ich glaube, außerhalb der Türkei müssen wir einen etwas akzentuierteren, einen etwas unhöflicheren Widerstand leisten, um die Menschen dort zu unterstützen, die in der Türkei immer noch darum kämpfen, dass es keine Autokratie oder keine Diktatur wird. Ich glaube, hier müssen wir sehr, sehr deutliche Worte finden.
    "Ich hätte mir früher eine eindeutigere Positionierung der Bundesregierung gewünscht"
    Ellmenreich: Wie genau kann das passieren? Heute ist ja Frank-Walter Steinmeier in Ankara und hat sich heute auch schon zu Wort gemeldet. Ist die türkische Politik, der türkische Präsident Erdogan zum Beispiel der eigentliche Adressat? Aber der wird ja sicherlich keine allzu große Aufmerksamkeit Ihrem Aktionstag heute schenken.
    Feuchert: Erdogan ist ganz sicher einer der Adressaten beziehungsweise seine Regierung, Administration. Aber selbstverständlich ist das auch ein Zeichen für die in der Türkei, die sich gegen Erdogan stellen, um ihnen auch deutlich zu machen, ihr seid nicht alleine. Can Dündar, der ehemalige Chefredakteur der "Cumhuriyet", der jetzt in Deutschland im Exil lebt, der fordert auch genau das, dass wir die Kollegen, die dort kämpfen, deutlich unterstützen.
    Wenn Sie nach der Politik fragen: Ich hätte mir früher eine eindeutigere Positionierung der Bundesregierung gewünscht. Frau Merkel hat sich sehr, sehr lange Zeit gelassen, um die Einschränkung der Pressefreiheit und Meinungsfreiheit in der Türkei offen und deutlich zu kritisieren.
    "Literatur macht Hoffnung"
    Ellmenreich: Asli Erdogan, die hat ja vor einigen Wochen eine Botschaft aus dem Gefängnis schmuggeln können, aus dem Gefängnis, vor dem jetzt die Mahnwache stattgefunden hat in Istanbul. Und diese Botschaft, die ist dann im Rahmen der Frankfurter Buchmesse verlesen worden. Darin schrieb sie: "Auch wenn ich nicht weiß, wie, aber die Literatur hat es immer geschafft, Diktaturen zu überwinden." Herr Feuchert, können Sie uns erklären, wie Literatur das schafft, Diktaturen zu überwinden?
    Feuchert: Ich glaube, alleine dadurch, dass man Partei nimmt, dass man das ausdrückt, dass man sein Recht auf Meinungsfreiheit wahrnimmt, schlägt man die Bresche im System. Und ich glaube, Literatur - das können wir ja verfolgen, wenn wir uns Diktaturen anschauen -, Literatur spielt eine immense Rolle in diesen Ländern. Sie gibt Hoffnung, sie macht es möglich, dass trotzdem angesprochen wird, was nicht in Ordnung ist, und insofern ist sie eine große, große Kraft.
    Ellmenreich: Diese große Kraft, die ist ja vielleicht gleichzusetzen mit einer Reaktion wie "jetzt erst recht". Das kann man ja auch heute aus dieser Erklärung der "Cumhuriyet"-Redaktion herauslesen. Beobachten Sie aber vielleicht auch, dass Stimmen verstummen in solchen Ländern wie in der Türkei, in denen die Meinungsfreiheit in Gefahr ist? Zeigt die Inhaftierung vielleicht auch manchmal ihre Wirkung ganz im Sinne der Diktatoren?
    Feuchert: Natürlich passiert das, nicht nur in der Türkei, sondern natürlich auch in China und in anderen Ländern, und das ist natürlich auch verständlich. Menschen werden zum Teil massiv unter Druck gesetzt, sie werden mit dem Tode bedroht, manche Kolleginnen und Kollegen bezahlen ihr Engagement ja auch mit dem Leben. Insofern ist es leider normal, dass einige der Stimmen auch verstummen, und wir merken das auch im Dialog mit unseren türkischen Kollegen im Moment, dass einige sehr vorsichtig werden und ich habe großes Verständnis auch dafür.
    "Diese Lobby-Arbeit darf nicht enden"
    Ellmenreich: Can Dündar ist ja einer, der aus der Türkei ausgereist, geflohen ist und jetzt in Deutschland ist, und den zeichnen Sie am Donnerstag mit dem Hermann-Kesten-Preis aus, und er wird ab Januar ein Jahr lang Fellow des Writers at Risk Programms des deutschen PEN sein. Ist das ein Beispiel dafür, dass nach der Inhaftierung die Unterstützung und die Lobby-Arbeit nicht enden darf?
    Feuchert: Ja, das glaube ich ganz bestimmt. Ich will nur ganz kurz ergänzen, dass neben Can Dündar auch Erdim Gül, der noch in der Türkei ist, den Kesten-Preis erhält. Gül ist der Hauptstadtbüro-Leiter der "Cumhuriyet". Diese Lobby-Arbeit darf nicht enden und ich finde es bewundernswert, mit welchem Engagement Can Dündar von Deutschland aus seine Kolleginnen und Kollegen in der Türkei unterstützt und wie er ihnen auch ein Forum verschafft. Er war gerade ja in "Aspekte" und hat dort Texte seiner Kolleginnen und Kollegen vorgelesen. Das ist eine ganz, ganz großartige Sache.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.