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Initiative der Landesmedienanstalten
Medien-Aufseher gehen gegen rechte Online-Medien vor

Erstmals müssen bestimmte Online-Medien ihre Arbeit gegenüber den Landesmedienanstalten rechtfertigen: Die Aufsichtsbehörden werfen unter anderem KenFM oder dem AfD-nahen "Deutschland-Kurier" vor, gegen journalistische Grundsätze verstoßen zu haben. Den Angeboten drohen deshalb Sanktionen.

Von Christoph Sterz |
Ein Computerbildschirm, der die Seite von Ken Jebsen zeigt
"Gates kapert Deutschland!" - ein Video von Ken Jebsen, das millionenfach angeschaut wurde und das eine klassische Verschwörungserzählung verbreitet (Deutschlandfunk / Michael Borgers)
Ken Jebsen war mal Radiomoderator beim öffentlich-rechtlichen RBB. Seit Jahren macht er aber etwas anderes: Videos voller Geraune und Verschwörungserzählungen. Videos, die vor allem bei YouTube zum Teil millionenfach angeschaut wurden – zum Beispiel dieses Video von Anfang Mai 2020:
"Ob Sie Ihren Beruf ausüben können, ob Sie sich einem anderen Menschen im öffentlichen Raum näher als 1,50 nähern können, ob Sie eine Maske tragen ja oder nein, das bestimmt aktuell Bill und Melinda Gates. Die sogenannte Gates Foundation. Diese beiden Menschen haben sich über die WHO in die Weltdemokratien hineingehackt und bestimmen aktuell das, was man Normalität nennt."
Eine klassische Verschwörungserzählung - garniert mit zum Teil falschen Zahlen. Wohl auch deswegen hat YouTube Ken Jebsens Kanal vor wenigen Wochen endgültig gesperrt. Und nun geht nach Informationen des Deutschlandfunks auch die Medienanstalt Berlin-Brandenburg gegen Jebsen vor, also die staatsfern organisierte Medienaufsicht, die bisher vor allem für private Fernseh- und Radiosender zuständig war. Es geht um den Anfangsverdacht, dass journalistische Grundsätze nicht eingehalten wurden und gegen journalistische Sorgfaltspflichten verstoßen wurde.
Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen auf dem Canstatter Wasen in Stuttgart
Eine Demonstration gegen die Corona-Beschränkungen in Stuttgart im Mai 2020 - wo Ken Jebsen eine Rede gehalten hat (imago/Marc Gruber)
Neben der Medienanstalt Berlin-Brandenburg haben am Montagmittag auch die Landesmedienanstalten Nordrhein-Westfalen, Saarland und Hamburg/Schleswig-Holstein insgesamt 13 sogenannte Hinweisschreiben an Online-Medien, die nicht Mitglieder des Presserats sind, verschickt. Tobias Schmid, Chef der Landesanstalt für Medien NRW:
"Dabei gucken wir nicht auf die Frage, ob uns der Inhalt gefällt oder nicht gefällt. Das ist ganz ausdrücklich nicht unsere Aufgabe, um nicht zu sagen, der Meinungsfreiheit verpflichtet, sondern wir gucken schwerpunktmäßig, ob es sozusagen handwerkliche Fehler gibt, Quellen nicht klar gekennzeichnet sind, ob Zitate nicht als solche gekennzeichnet sind, ob Recherchepflichten nicht erfüllt worden sind und ob dadurch möglicherweise ein Eindruck erzeugt wird, der in der öffentlichen Wahrnehmung manipulativ sein kann, ob absichtlich oder versehentlich."

FlinkFeed: Dankbar für Hinweise

Online-Medien, die sich nicht freiwillig dem Presserat angeschlossen haben, waren bisher weitgehend unreguliert, was das Einhalten journalistischer Grundsätze angeht. Das bedeutete, dass es kaum möglich war, Angebote im Netz einzuschränken, die journalistisch anmuten, aber Halbwahrheiten und Verschwörungsmythen verbreiten. Das hat sich geändert, seit der neue Medienstaatsvertrag in Kraft ist. Dieser gibt den Landesmedienanstalten die Möglichkeit, bei Verstößen gegen einzelne Inhalte von journalistisch-redaktionellen Online-Medien vorzugehen. Die Landesmedienanstalten wollen sich nicht dazu äußern, wer genau zu den Empfängern der Hinweisschreiben gehört; nach Informationen des Deutschlandfunks zählt neben KenFM aber auch die Facebook-Seite des "Deutschland-Kuriers" dazu.
"Schönen guten Tag an die Leser des 'Deutschland-Kurier'. Normalerweise berichte ich hier immer über Verteidigungspolitik, aber heute reden wir mal über Meinungsfreiheit. Denn im Zuge der Corona-Krise hat man ja wirklich den Eindruck, dass es immer schlimmer wird, vernünftige Debatten sind gar nicht mehr möglich."
Videos wie dieses Statement vom AfD-Bundestagsabgeordneten Jan Nolte veröffentlicht der "Deutschland-Kurier" regelmäßig bei Facebook. Die Inhalte des mehrmals als Print-Magazin erschienenen Angebots gelten als AfD-nah; auf der Online-Seite des Magazins werden mehrere AfD-Mitglieder und -Abgeordnete als Gastautoren benannt.
Und auch eine andere Seite, die AfD-nahe Positionen verbreitet, hat nach Informationen des Deutschlandfunks ein Hinweisschreiben bekommen: Flinkfeed, zu Beginn als Fritzfeed gestartet - ein Portal, das für eine junge Zielgruppe überwiegend rechte Inhalte veröffentlicht. Laut NRW-Innenminister Herbert Reul hielt der NRW-Verfassungsschutz Inhalte des Vorgängers Fritzfeed teilweise für rechtsextrem.
Interview zu Medienbildung
Jochen Fasco ist der erste Beauftragte für Medienkompetenz der Landesmedienanstalten. Mit dem neuen Posten wolle man sich vernetzen, aber auch andere überzeugen, mehr im Bereich Medienbildung tun, sagte Fasco im Dlf.
FlinkFeed teilt auf Anfrage mit, es sei für Hinweise auf mögliche Form- oder Sachfehler dankbar. Die wenigen genannten Fälle würden sorgfältig geprüft und eventuell fehlende Quellenangaben nachgeliefert. Der Deutschlandfunk hat auch die anderen beiden Redaktionen um Stellungnahme gegeben, innerhalb einer dreistündigen Frist war zunächst keine Antwort zu erhalten.

Selektives und einseitiges Vorgehen?

Auch wenn die Landesmedienanstalten nicht nur gegen rechtsgerichtete Angebote vorgehen: KenFM, "Deutschland-Kurier" und Flinkfeed haben die größte Prominenz unter den 13 angeschriebenen Internetplattformen. Deshalb hält Thomas Fuchs, Direktor der Medienanstalt Hamburg/Schleswig Holstein es nicht für unwahrscheinlich, dass den Landesmedienanstalten in den nächsten Tagen vorgeworfen wird, selektiv und einseitig gegen bestimmte Medien vorzugehen:
"Ich kann den Vorwurf nachvollziehen. Das hat sicherlich einen Grund darin, dass zurzeit besonders viele Inhalte durch den Corona-Kontext hochgespült werden und dass viele aus unserer Sicht nicht gut recherchierte Informationen im Kontext mit Corona-Leugnung, mit Impfen und Ähnlichem verbreitet werden. Und deswegen ist es, glaube ich, zurzeit einfach die Tatsache, dass die meisten problematischen Inhalte aus diesem Spektrum kommen. Das kann aber auch sich mal wieder ändern, wenn andere politische Themen Oberhand gewinnen."
Bei ihrem Vorgehen orientieren sich die Landesmedienanstalten vor allem am Pressekodex und an den bisherigen Entscheidungen des Deutschen Presserates, dem in Deutschland etliche Medienhäuser freiwillig angehören. Es geht also nicht um die Einschränkung der Meinungsfreiheit, sondern um das Schließen einer Lücke – und um die Anwendung fest etablierter journalistischer Regeln.
Neue Regeln für Medien
Längst gehören zur Medienlandschaft auch Online-Nachrichtenportale, Videoplattformen und die sogenannten Sozialen Medien. Mit dem Medienstaatsvertrag von 2019 soll der gesetzliche Rahmen angepasst werden.
Im Gegensatz zum Presserat können die Landesmedienanstalten von sich aus tätig werden und müssen nicht erst auf Beschwerden reagieren. Die Medienaufseher können außerdem als schärfste Sanktion anordnen, die monierten Inhalte aus dem Netz zu nehmen.

Expertin: Transparenz ist wichtig

Eine solche Sanktionsmöglichkeit hat der Presserat nicht. Gerade deswegen ist es wichtig, dass die Landesmedienanstalten transparent handeln, sagt die Journalistikprofessorin und Medienethikerin Marlis Prinzing von der Hochschule Macromedia - auch um das grundsätzlich notwendige und begrüßenswerte Vorgehen gegenüber der Öffentlichkeit ausreichend zu legitimieren.
"Mich würde interessieren, wer genau die Entscheidung trifft, welche Online-Medien angeschrieben werden. Mich würde interessieren, wie genau die Kriterien sind. Ich finde außerdem wichtig zu wissen, wer sich denn da eigentlich gegebenenfalls an diese Regulierungs-Einrichtung dann wenden kann. Also ist es etwas, wo auch an eine Publikums Instanz gedacht ist. Und das heißt also unterm Strich vom Prinzip her finde ich diese Richtung sehr wichtig und sehr notwendig. Aber ich wüsste gerne mehr dazu."
Solche Informationen sind bis jetzt allerdings nicht öffentlich zugänglich. Die Landesmedienanstalten verweisen auf den Medienstaatsvertrag, den Deutschen Presserat und den Pressekodex. Eine Veröffentlichung interner Maßgaben sei aktuell nicht geboten und auch nicht sehr sinnvoll. Vielleicht ändert sich das aber bei den nächsten Hinweisschreiben – denn diese wird es aller Wahrscheinlichkeit in den nächsten Monaten geben.