Lange war Stefan Brink der einzige Landesschutzbeauftragte mit eigenem Twitter-Profil. Rund 5400 Menschen waren ihm dort zuletzt gefolgt. Doch Ende 2019 war damit Schluss, der Jurist verabschiedete sich von der Plattform. Twittern sei "nicht mit seiner Tätigkeit als Datenschützer vereinbar", begründete er die Entscheidung.
Hintergrund war ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs zu Facebook, das vom Bundesverwaltungsgericht in deutsches Recht übertragen wurde. Demnach seien nicht nur soziale Netzwerke wie Facebook und Twitter, sondern auch Nutzer mitverantwortlich für Datenschutzverstöße.
Brink löste mit seiner Konsequenz aus dem Urteil eine bundesweite Debatte aus – und stieß in seinem Bundesland, Baden-Württemberg, einen Prozess an, der bis heute andauert. "Wir müssen über eure Social-Media-Auftritte reden", habe er damals zu seiner Landesregierung gesagt, erinnert sich Brink gegenüber dem Deutschlandfunk. Und seitdem habe man "eine ganze Reihe von Ministerien in den ‚hellen Teil‘ der Social-Media-Welt gezogen".
"Das Entscheidende ist Wahlmöglichkeit"
Konkret bedeutet das: Die Landesregierung selbst und viele seiner Ministerien sind zwar noch immer auf Facebook, Twitter und Co. aktiv. Doch viele nutzen inzwischen auch andere Wege, um zu informieren. "Das Entscheidende aus unserer Sicht ist, dass die Bürgerinnen und Bürger eine Wahlmöglichkeit haben, und nicht darauf angewiesen sind, Informationen einer öffentlichen Stelle bei einem privaten Social-Media-Betreiber abzuholen, sondern dass die Informationen auch anders zu erlangen sind", betont Brink.
Ein alternativer Informationsweg, den auch einige Landesbehörden in Baden-Württemberg inzwischen nutzen, heißt Mastodon. "Im Prinzip ein Eins-zu-eins-Pendant zu Twitter", erklärt der Datenschutzbeauftragte. Der entscheidende Unterschied: Mastodon verstößt nicht gegen europäische Regeln.
Ebenfalls bereits auf dieser dezentralen Social-Media-Plattform unterwegs ist Ulrich Kelber, der Datenschutzbeauftragte des Bundes. Dort machte der SPD-Politiker nun auch sein Schreiben an die Bundesministerien und die obersten Bundesbehörden öffentlich. Kelber fordert darin die Schließung aller Facebook-Fanseiten (der Bundesregierung, ihrer Ministerien und der obersten Bundesbehörden), und auch er beruft sich dabei auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs.
Kelber: Internet ist möglich, ohne ausspioniert zu werden
Bereits 2018 habe die Konferenz der unabhängigen Datenschutzbehörden des Bundes und der Länder festgestellt, "dass die Rechtsgrundlage für Facebook-Fanpages nicht gegeben waren", sagte Kelber im Deutschlandfunk. "Das heißt insbesondere, dass die betreibenden Behörden nicht sicherstellen konnten, welche Daten erhoben, bearbeitet und transferiert wurden."
Und daran habe sich bis heute nichts geändert, so Kelber. Ein weiteres, das Schrems II-Urteil des Europäischen Gerichtshofs im vergangenen Jahr, mache zudem deutlich, "dass die Übertragung solcher Daten in Länder wie die USA, wo nicht das gleiche Rechtsniveau für solche Daten ist, nicht rechtsgültig ist".
Man sei bewusst nicht gegen die während der Corona-Pandemie "eifrig genutzten" Facebook-Kanäle vorgegangen, erklärt Kelber, warum man erst jetzt Konsequenzen aus dem Urteil zieht. "Aber auf Dauer kann so etwas natürlich nicht ohne Einhaltung der gültigen Rechtsvorgaben existieren."
Es sei möglich, das Internet zu nutzen, ohne ausspioniert zu werden. "Wir lassen uns schon viel zu lange einreden, dass wir damit bezahlen müssen, dass andere wissen: Wann habe ich was gemacht? Wie oft habe ich bestimmte Dinge gemacht?"
Eine "Gesellschaft, die laufend ausspioniert" werde, sei "keine freiheitliche, demokratische Gesellschaft" mehr, so Kelber.
Kelber könnte Accounts schließen
Stefan Brink begrüßt Kelbers Initiative nun. "Das stärkt unsere Position." Dass Kelber der Bundesregierung und den Behörden Zeit bis Ende des Jahres einräume, sei "vernünftig". Grundsätzlich habe Kelber sogar das Recht, die Accounts selbst zu schließen. "Aber man muss sich ja auch verhältnismäßig verhalten", so Brink.
Als Datenschützer dürfe man "nicht übers Ziel hinausschießen". Deshalb habe man sich in Baden-Württemberg auch für einen "vermittelnden Weg" entschlossen.
Aus eigener Erfahrung wisse er aber, dass Kelber Widerstand erwarten dürfte.
Regierung will Empfehlungen "nun prüfen"
Auf eine Deutschlandfunk-Anfrage an alle 14 Bundesministerien und das Bundespresseamt, antwortete ein Sprecher der Bundesregierung; stellvertretend auch für die einzelnen Ministerien, wie er später noch telefonisch ergänzte.
In der schriftlichen Stellungnahme heißt es, man könne "das Schreiben des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit bestätigen". Die Bundesregierung habe die mitgeteilten "Einschätzungen und Empfehlungen" zur Kenntnis genommen und werde sie nun prüfen.
Alleine die zentrale Seite der Bundesregierung hat auf Facebook 870.000 Fans und über eine Million Abonnenten. Mit einem Abschalten der Facebook-Seiten würde die Bundesregierung diese Reichweite verlieren.