Deutsches Nationaltheater Weimar, die Staatskapelle stimmt sich auf die erste Probe seit langem ein. Nicht im Orchestergraben, sondern weit verteilt auf der Bühne. Vom ersten Rang aus darf der Journalist zuhören. Ariadne auf Naxos wollen sie proben von Richard Strauss, eine Oper, die zum letzten Mal im März vor einem Jahr hier erklang – zur Premiere. Und dann kam der Lockdown. Nun wollen sie mit der Repertoire-Probe einerseits in Übung bleiben, wieder den gemeinsamen Klang finden, wie der Chefdirigent Musiktheater Dominik Beykirch erklärt.
"Es ist für alle eine unglaubliche Freude, weil: Erstens sie dürfen wieder spielen. Zweitens, die dürfen eine Oper spielen, die quasi nicht reduziert, retuschiert ist, sondern die sie unter normalen Bedingungen spielen dürfen. Richard Strauss Ariadne ist kleiner besetzt, das dürfen wir im Großen Haus von den Gegebenheiten, was die Corona-Bedingungen betrifft. Das heißt, dass allein sorgt schon für ein unglaubliches Glücksgefühl."
Und dazu kommt, dass nun nicht Dominik Beykirch auf die Bühne tritt, sondern Hankyeol Yoon, ein Südkoreaner, Komponist und Dirigent, 2. Kapellmeister am Landestheater Neustrelitz. Das Dirigentenforum des Deutschen Musikrats will besonders begabten Dirigier-Studenten, aber auch einigen seiner Stipendiaten wie Hankyeol Yoon die Möglichkeit geben, wieder vor einem größeren Profi-Orchester zu stehen.
Wenig Probenzeit mit Orchestern
Nein, den Hochstuhl zum Dirigieren brauche er nicht, es sei "noch nicht so weit". Und schon hat der 27-jährige die Staatskapelle zum Lachen gebracht. Sofort legt er los. Wann er das letzte Mal ein richtiges Orchester dirigiert hat? Darüber muss Hankyeol Yoon länger nachdenken. Es muss im Juni letzten Jahres gewesen sein.
"Das merke ich schon sehr. Man verliert schon das Gefühl und die Technik, an die man gewöhnt ist. Aber solche Gelegenheiten wie hier in Weimar, mit solch dirigiertechnisch schweren Stücken zu arbeiten, das wird bestimmt die Routine wieder bringen."
Aktuell kaum Perspektiven auf dem Arbeitsmarkt
Er habe noch Glück gehabt und seine Stelle in Neustrelitz noch vor der Pandemie bekommen. Für viele seiner Kommilitonen sieht er schwarz.
"Ich finde es ziemlich schlimm. Ich habe in München lange studiert. Und da sind auch viele Kumpels von mir, die dirigieren, studiert haben oder noch studieren, die auch sehr reif sind, eine Stelle zu kriegen. Sie haben momentan keine Möglichkeit, weil es keine Ausschreibung gibt. Und die Wettbewerbe, von denen man auch die Chance erwarten könnte, weiterzukommen, finden auch nicht statt."
Während Hankyeol Yoon die Staatskapelle dirigiert, sitzt Dominik Beykirch hinter ihm. Der hat die Ariadne zur Premiere dirigiert. Nun sieht er seinem Kollegen zu, wie er rangeht, welche Zeichen er dem Orchester gibt. Nach vier Minuten unterbricht er zum ersten Mal, gibt ein paar Hinweise, erklärt Hankyeol Yoon, welche Instrumentengruppen zu wenig Aufmerksamkeit von ihm bekommen habe.
"Die Staatskapelle ist wirklich freundlich und immer konstruktiv. Und ich freue mich, dass die auch dann so viel Spaß daran haben, auch eben ein bisschen pädagogisch tätig zu werden. Und eben den Dirigenten auch musikalisch zu zeigen, was sie gerade darstellen. Das ist irgendwie das ganz Wichtige: Die Staatskapelle ist nicht ein Orchester, das einfach funktioniert und einfach zusammenspielt, egal was vorne passiert, sondern sie können sehr, sehr, sehr sensibel das darstellen, was von vorne kommt, mit allen Stärken und Schwächen. Also, man kann dort sehr detailliert gestalten. Aber man kann auch ganz genau merken, wenn man unklar ist: Wenn es nämlich ganz gewaltig rappelt in der Kiste."
Beykirch selbst ist ehemaliger Stipendiat des Dirigentenforums. Eine zentrale Säule seiner Karriere sei es gewesen. Solche Tage vor einem Orchester seien für einen jungen Dirigenten quasi unbezahlbar und würden oft mehr bringen als ein ganzes Semester an der Musikhochschule. Die Lage der nachrückenden Dirigenten findet auch er sehr bedenklich: "Die ist eigentlich katastrophal, wie bei vielen jungen Studierenden End-Studierenden, die am Anfang des Berufslebens stehen. Die sind natürlich jetzt an einer Schwelle und bräuchten die Praxis und bekommen sie nicht. Und die nächste Generation drückt nach. Und das ist natürlich ein enormer Druck, weil die noch keinen Fuß in der Tür haben bei Orchestern, wo sie schon mal ein bisschen eingeladen werden oder wo sie berücksichtigt werden im Pool der Gastdirigentinnen und Gastdirigenten. Das ist eben eine wirklich, wirklich unangenehme Situation, die sicherlich auch den ein oder anderen zu Fall bringen wird. Und er wird sich noch umentscheiden in dem, wie seine berufliche Perspektive mal sein wird. Das ist die Zeit, und man kann das gar nicht schönreden. Man kann nur versuchen, es zu mildern. Und das ist ja auch der Grund für diese Initiative, wo wir meines Wissens sogar die ersten sind, die diese Initiative unterstützen: "Zurück ans Pult".
Gutes Feedback von den Musikern
Nach 40 Minuten ist Lüftungs-Pause, die Pandemie fordert ihren Tribut. Einzelne Musiker treten auf den jungen Gast zu und geben ihm noch ein paar Hinweise. Auch der angehende Dirigent Jasper Lecon ist dankbar für solche Tipps. "Das ist super. Denn wenn nach der Probe dann ein Musiker zu einem kommt und sagt: 'Das hat super funktioniert. Das klingt da deshalb nicht gut. Oder an der Stelle hätten wir lieber das gebraucht.' Das ist unglaublich wertvoll für uns. Und das ist super, wenn danach einzelne Musiker kommen und sagen, 'Hier, das hat uns gefehlt!' Und da sind wirklich die Musiker sehr, sehr offen. Und das freut uns natürlich, dass wir direkt ein Feedback aus dem Orchester und auch von den Sängern direkt bekommen können.
Lecon wurde von seiner Hochschule für Musik und Darstellende Kunst in Mannheim delegiert. Ein Schulmusikstudium hat er schon abgeschlossen, aber beim Dirigieren steht er noch ganz am Anfang.
"Also noch relativ zu Beginn meiner Dirigierausbildung. Ich bin sozusagen gerade mitten auf dem Weg noch und natürlich auch dankbar, dass man jetzt gerade in dieser Zeit noch im Studium ist und eben noch nicht als Berufseinsteiger auf dem Markt ist, weil dann ist es wirklich eine schwierige Zeit. Es ist natürlich so, dass gerade die, die Richtung Abschluss gehen, schon nervös oder unruhig werden und nicht genau wissen, wie kann es weitergehen? Wie kann ich mich auch weiterentwickeln? Das, was man normalerweise macht, einfach rumfahren, Leute kennenlernen, einfach so ein bisschen connecten in der ganzen Musikwelt, das fällt natürlich alles flach gerade. Und das merkt man dann schon, dass das fehlt und natürlich auch kein leichter Weg dann ist."
Er aber, der noch Zeit hat, möchte die derzeitige Situation nicht nur als Belastung sehen. Mit kleinen Projekten, kleinen Besetzungen sei auch Kreativität gefragt. Die drei Tage aber mit der Staatskapelle Weimar sieht Lecon als ganz große Chance. "Wir haben hier ein fantastisches Orchester in Weimar und ein fantastisches Sängerensemble und man kann richtig spüren, wo die Musik lang möchte, und man lernt unglaublich viel allein durchs Spüren, was einem angeboten wird. Man kann richtig spüren, was man mit einzelnen kleinen Gesten bewirken kann. Und das ist eine Erfahrung, die unglaublich viel wert ist. Und auch einfach mal zu gucken: Was funktioniert? Was funktioniert nicht? Wo kann ich die Musik auch einfach mal spielen lassen? Und wo greift man dann wieder ein und führt auf den nächsten Weg."