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Initiative im Europäischen Parlament
Eine neue Sportpolitik für die EU?

Die Debatten um eine mögliche Super League und autoritäre Gastgeberländer für Sportgroßereignisse hat das Europäische Parlament aufgeweckt. Ein neuer Report fordert ambitionierte Ziele und nennt die Bundesliga sogar als Vorbild. Die Umsetzung ist aber unklar.

Von Maximilian Rieger |
Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Europa-Gebäude in Brüssel.
Die Europäische Union diskutiert über eine neue Sportpolitik. (pa / dpa / Arne Immanuel Bänsch)
"1 - 2 – 3 – 4 - 8 – 10 – 12 – 13 – 14 und 16. Ich hätte jetzt beinahe gesagt, das waren die Lottozahlen für diese Woche." Nein, Sabine Verheyen hat am Dienstag im Europäischen Parlament keine Lottozahlen verkündet. Um viel Geld ist es aber – zumindest indirekt – schon gegangen. Denn die CDU-Politikerin hat das Ergebnis einer Abstimmung im Ausschuss für "Kultur und Bildung" verkündet, und zwar über den Report: "EU Sportpolitik – Bestandsaufnahme und mögliche Wege vorwärts".
Darin enthalten sind mehr als 40 Paragraphen zu diversen Themen im Sport: unter anderem finanzielle Regulierung, Korruptions- und Dopingbekämpfung, Diversität, ökologische Nachhaltigkeit. Im Breiten- wie Profisport. Im November stimmt dann das Parlament über den Report ab. Und wenn alle Forderungen der Abgeordneten erfüllt werden würden – der europäische Sport würde anders aussehen.
"Es wäre ein stärkerer wertebasierter Sport oder ein Sportmodell in Europa. Es gäbe eine stärkere Umverteilung vom Profisport in den Breitensport. Es würde stärker auf Bewegungsaktivitäten auch Rücksicht genommen. Wir haben ganz explizit auf Rechte von Athletinnen und Athleten Bezug genommen", sagt Viola von Cramon, Europa-Abgeordnete für die Grünen. Sie hatte gefordert, dass das EU-Parlament festhält, dass der pure Fokus auf Profite die Werte des Sports untergräbt. Für diese Wortwahl hat es keine Mehrheit gegeben. Trotzdem ist der Report an einigen Punkten deutlich.

50+1-Regel als "best practise"-Beispiel

Länder, die wiederholt gegen Menschenrechte verstoßen, sollen keine Sportgroßereignisse mehr austragen dürfen. Auch Sportorganisationen sollen bei der Wahl von Sponsoren Menschenrechte und demokratische Prinzipien beachten. Die deutsche 50+1-Regel in der Fußball-Bundesliga wird explizit als "best practise"-Beispiel für andere Länder genannt. Als Abgrenzung zu Modellen, wo Clubs von ausländischen Investoren einfach übernommen werden können, ohne dass die Mitglieder das verhindern können.
Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission.
Auf dem Weg zu einer EU-Sportstrategie
Während die USA oder China bereits eine Strategie haben, um den Sport für diplomatische Zwecke einzusetzen, ist diese Idee in der EU noch neu. Dabei gehe es darum, Werte wie Geschlechtergleichheit, Nachhaltigkeit und Grundrechte zu vermitteln, sagte der Soziologe Albrecht Sonntag
Außerdem sollen Sportorganisationen den etablierten Rhythmus von internationalen Turnieren respektieren – eine deutliche Absage an die Idee der FIFA, die Fußball-WM alle zwei Jahre auszurichten.
Und ein Paragraph richtet sich auch gegen Wettbewerbe wie die Super League, die sich außerhalb des jetzigen Rahmens gründen wollen. "Mit diesem Report senden wir ein klares Signal gegen abtrünnige Wettbewerbe, die das System untergraben und die Stabilität des Sport-Ökosystem gefährden. Wir finden, jeder hat das Recht, teilzunehmen – nicht nur Elite-Clubs. Und das sollten wir alle verteidigen", meint Tomasz Frankowski. Der EVP-Politiker ist der Hauptautor des Berichts und ehemaliger polnischer Fußball-Nationalspieler – daher ist es wenig überraschend, dass der Bericht die aktuellen Debatten aus dem Fußball direkt adressiert.

Diskussion um Sportereignisse in autoritären Staaten

Aber nicht nur die Super League hätte die Abgeordneten alarmiert, sagt Viola von Cramon. Auch die Diskussionen um Sportereignisse in autoritären Staaten wie China und Belarus hätten das Bewusstsein gestärkt, dass die EU sich stärker in der Sportpolitik einbringen müsse. "Also man merkt schon, dass es eine größere Gruppe von Kolleginnen und Kollegen im Europäischen Parlament gibt, die da sehr sensibel sind und das Thema gerne hochziehen würden. Ob der Bericht im Ganzen mit all seiner Vielfalt, mit all seinen Punkten wirklich in die komplette Umsetzung kommt, das glaube ich nicht. Aber ich denke schon, dass einige Punkte den vielen Kolleginnen und Kollegen am Herzen liegen."
Damit spricht die Grünen-Politikerin aber auch das größte Problem des Reports an: Er ist zunächst einmal nur eine symbolische Wunschliste des Parlaments. "Das sind politische Empfehlungen, ein Report, ohne legislative Bindung. Wir brauchen mehr Kooperation und einen gemeinsamen Entscheidungs-Prozess mit allen Beteiligten", sagt auch Frankowski.
Die Eisschnelllaufhalle leuchtet auf einer Briefmarke in buntem Licht.
"Ich würde meinem Minister raten: Fahren Sie nicht hin!"
Die Forderungen nach einem politischen Boykott der Winterspiele in China mehren sich. Diplomat Wolfgang Ischinger warnt davor, die Wirkung zu überschätzen.
Das könnte dazu führen, dass Sportorganisationen nur das aus dem Bericht mitnehmen, was für sie nützlich ist. Die UEFA begrüßt auf Deutschlandfunk-Anfrage zum Beispiel die klare Positionierung des Ausschusses gegen die Super League. Bei der Frage nach 50+1 will die UEFA hingegen den einzelnen Mitgliedsländern die Regelung überlassen. Kein Wunder angesichts dessen, dass der Präsident von Paris St. Germain, einem von Katar unterstützten Erstliga-Club aus Frankreich, im UEFA-Exekutivkomitee sitzt.

Wie sieht der Dialog zwischen Politik und Sport aus?

Deswegen ist Folker Hellmund skeptisch, wie viele Punkte aus dem Bericht tatsächlich in EU-Richtlinien oder Verordnungen umgesetzt werden. Hellmund leitet seit 2007 das Büro des Europäischen Olympischen Komitees. In dieser Zeit habe es schon zwei ähnliche Berichte gegeben. "Und wenn man da mal Rückschau hält, was ist da tatsächlich von aufgenommen worden und umgesetzt worden, kann man sagen, glaube ich, dass es relativ begrenzt ist."
Auch diesmal vermisst er einen konkreten Vorschlag, wie der Dialog zwischen den EU-Institutionen und dem Sport aussehen könnte. Er wünsche sich aber einen solchen Dialog, weil der Bericht viele positive Anregungen enthalte.
Und in den teils weitreichenden Formulierungen sieht Hellmund auch keinen Eingriff in die Autonomie des Sports. "Ich würde eher die Gegenfrage stellen und fragen: Die Autonomie des Sports, existiert sie denn in der Form, wie sie vielleicht mal irgendwann existiert hat, überhaupt noch? Wir sind finanziell sehr eng mit den staatlichen Stellen verbunden. Das heißt, da gibt es ein gewisses Abhängigkeitsverhältnis sowieso schon. Und wir als Sport sind natürlich auch in einem rechtlichen Rahmen, der sowohl von der EU, aber natürlich auch von nationalen Gesetzen bestimmt wird. Von daher ist diese Autonomie ohnehin schon eingeschränkt."
Eine Chance sieht Hellmund darin, dass die Parlamentarier im Report dazu aufrufen, nachhaltige, barrierefreie Sportstätten besser zu fördern. Eine Stärkung der EU-Sportpolitik könnte also auch für deutsche Sportvereine ganz konkrete Folgen haben – selbst wenn die großen Konflikte nicht gelöst werden sollten, könnte es immerhin eine neue Sporthalle geben.