Von "Leitkultur" will man explizit nicht sprechen, stattdessen von "unverrückbaren kulturellen Werten", Grundlage für Integration und gesellschaftlichen Zusammenhalt. Es geht um nicht weniger als die deutsche Identität. Keine einfache Debatte, ein halbes Jahr lang habe man gerungen um zu gemeinsamen Positionen zu kommen, erzählt Kulturstaatsministerin Monika Grütters und zitiert Kurt Tucholsky: "Die Deutschen", schrieb er, "geraten nie mehr außer sich, als wenn sie zu sich kommen sollen." Was aber macht die Kultur eines Landes aus? Bundesinnenminister Thomas de Maizière brachte das Beispiel eines privaten Bücherregals, das jeder für sich mit Büchern füllt: Literatur, Romane, Historienschinken, Sachbücher. Das Regal einer Engländerin sieht anders aus als das eines Franzosen. Wie würde ein deutsches Bücherregal aussehen? Das Grundgesetz dort hineinzustellen, würde jedenfalls nicht ausreichen.
"Warum? Weil Gesetze natürlich zu wenig sind, um uns in einem fremden Land zurechtzufinden. Sogar als Tourist. Wir wollen Kultur erleben. Und die finden wir nicht in Gesetzen. Warum sollten wir also für Menschen, die lange Zeit hier bleiben, weniger bereithalten, als für uns selbst, wenn wir nur kurze Zeit in einem fremden Land sind. Und warum sollten wir nicht darüber diskutieren, was im übertragenen Sinne in unserem Bücherregal steht und was da hineingehört?"
Breites Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft
Getragen wird die Initiative aus einem breiten Bündnis aus Politik und Zivilgesellschaft. Deutscher Kulturrat und Kulturstaatsministerin Monika Grütters gehören zu den Initiatoren, ebenso das Bundesinnenministerium mit Thomas de Maizière an der Spitze, das SPD-geführte Bundesarbeitsministerium, die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Ösoguz und Vertreter von 28 zivilgesellschaftliche Organisationen. De Maizière war für seine zehn Leitkulturthesen vor knapp zwei Wochen scharf kritisiert worden. Er war damit aus dem gemeinsamen Bündnis ausgeschert und vorgeprescht – obwohl eigentlich Einigkeit darüber geherrscht hatte, dass man zwar dringend eine Wertedebatte für Deutschland brauche, aber keine neue Leitkulturdebatte, weil sich die Öffentlichkeit dann mehr an dem Begriff abarbeite als an den Inhalten. So kam es dann ja auch. Inhaltlich aber sind die zehn Thesen de Maizière nicht weit weg von den 15 der Initiative kulturelle Integration.
Als Basis: Das Grundgesetz, das gelebt werden muss. Keine steile Burka-These, kein Handshake als deutsches Kulturgut, dafür: "Kulturelle Gepflogenheiten sind die Grundlage unseres täglichen Zusammenlebens". These 3 lautet: "Geschlechtergerechtigkeit ist eine Eckpfeiler unserer Gesellschaft." These 4: "Religion gehört in den öffentlichen Raum." "Demokratische Debatten und Streitkultur stärkt die Demokratie." Und: "Die Auseinandersetzung mit der Geschichte ist nie abgeschlossen, insbesondere nicht mit der Schoah." Aber auch: "Einwanderung und Integration gehören zu unserer Geschichte". Und: "Kulturelle Vielfalt ist unsere Stärke". Explizit richten sich die 15 Thesen an alle in Deutschland lebenden Menschen, nicht nur an die Zugwanderten, betont die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung Aydan Ösoguz.
"Einwanderung verändert natürlich eine Gesellschaft. Das erfordert eine gewisse Offenheit, es erfordert Respekt voreinander, Toleranz. Integration bedeutet aber eben auch, dass alle teilhaben können. Ob nun beim Spracherwerb, am Bildungswesen, am Arbeitsplatz. Teilhabe ist kein Sonderformat für 17 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte. Sondern es ist eben für alle wichtig. Und Gemeinsamkeit und Zusammenhalt können nicht von oben verordnet werden."
Die Schwierigkeit, zu beschreiben, was deutsche Kultur eigentlich ist, bleibt
Was werden die 15 Thesen bewirken? Hoffentlich eine inhaltliche und offene Debatte über die Grundlagen des Zusammenlebens in unserer Gesellschaft, wünschen sich die Initiatoren. Die Chance, dass es nicht im Parteienstreit zerredet wird, ist diesmal größer. Die Schwierigkeit, zu beschreiben, was deutsche Kultur eigentlich ist, bleibt. Doch einen Versuch ist es wert, in Zeiten von politischer Veränderung und Verunsicherung durch Zuwanderung. Die damit verbundenen Ängste und das Bedürfnis nach Selbstvergewisserung dürfe man nicht allein den Nationalisten überlassen, sagte Grütters heute. Und de Maizière fügte hinzu: Die kulturellen Narrative, die Bücher, die die Zugewanderten mitbrächten, könnten eine große Bereicherung für unser deutsches Bücherregal sein.