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Initiative „Meet a Jew“
"Wir sind Menschen wie alle anderen auch"

Sie gehen in Schulen, Sportvereine, Kirchengemeinden: Mehr als 300 Jüdinnen und Juden wollen dazu beitragen, das verzerrte oder falsche Bild von "den Juden" aufzubrechen. Im persönlichen Gespräch wollen sie vermitteln: „Die Gesellschaft ist bunt, und wir sind ein Teil in diesem Spektrum."

Von Sebastian Engelbrecht |
Galina Tchechnitskaia
Galina Tchechnitskaia macht mit bei "Meet a Jew" (Deutschlandradio / Sebastian Engelbrecht)
"Ich finde, dass in der Gesellschaft so ein bestimmtes Bild verankert ist: So, die Juden sind so und so. Und dadurch entsteht doch oft so diese Abtrennung, also: Quasi wir sind so, und die Juden sind aber so. Und wir zeigen durch diese Begegnungen, dadurch, dass wir halt einfach so 100 Prozent so sind, wie wir sind, so menschlich und so wie jeder andere quasi auch, nur dass wir halt jüdischen Glaubens sind, aber wir zeigen, dass wir genau so ein Teil dieser Gesellschaft sind."
7-armiger Leuchter, 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland
Samuel Kantorovych ist einer von 300 Jüdinnen und Juden, die bei "Meet a Jew" mitmachen. Kantorovych studiert Politikwissenschaft in Berlin. Er will dazu beitragen, verzerrte oder falsche Bilder von ‚den Juden‘ aufzubrechen. Deshalb stellt sich der 20-Jährige in Schulklassen, Jugendzentren oder Kirchengemeinden vor. Er bittet die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, ihre Fragen auf einen Zettel zu schreiben. Dann antwortet er, und so entwickelt sich meistens ein lebendiges Gespräch.
Galina Tchechnitskaia fängt die Gespräche anders an. Sie zeigt zu Beginn immer ein Video von der "Jewrovision", einem jüdischen Tanz- und Gesangswettbewerb.
"Da kann man zum Beispiel sehen, dass das jüdische Leben – dass Juden nicht nur in Büchern existieren, nicht nur mit der Shoah, mit der Geschichte in Verbindung gebracht werden sollen, sondern dass es auch das jetzige jüdische Leben gibt, dass eben sehr vielfältig ist und sehr sehr schön ist."

Wichtig ist, ins Gespräch zu kommen

Galina ist 23, sie studiert – auch in Berlin – Französisch und Geschichte und will Lehrerin werden. Sie hat schon mindestens 20 Auftritte vor interessierten Klassen oder Jugendgruppen hinter sich. Immer entstehe im Gespräch eine gute Energie, sagt sie.
"Bis jetzt habe ich keine Fragen gehabt, die ich nicht beantworten konnte oder wollte oder Fragen, die mir peinlich waren oder Fragen, wo da auch ein Hauch von Antisemitismus dabei war. Nein, es waren eher interessierte Fragen. Fragen über mich: Woher ich komme, wie ich mein Judentum auslebe."
Auch in Brennpunktschulen hat Galina Tchechnitskaia schon vor Klassen mit vielen arabischen Schülerinnen und Schülern gesprochen. Ihre Botschaft sei: "Wir sind alle Menschen", sagt sie. Das kommt an. Sie wolle Gemeinsamkeiten betonen statt Unterschiede hervorzuheben. Einmal sprach Galina über Erfahrungen der Ausgrenzung, die Juden in Deutschland machen, wenn sie mit einer Kippah auf dem Kopf auf die Straße gehen. Ein muslimisches Mädchen mit Kopftuch verstand sie so gut, dass es einen von Galinas Sätzen fortsetzen konnte, ihre Worte vorausahnte.
Wer mit antijüdischen Vorurteilen aufgewachsen ist, bekommt in diesen Gesprächen die Gelegenheit, sie aufzugeben. Die Botschaft, die am Ende der Begegnung steht, fasst Samuel Kantorovych zusammen:
"Die Gesellschaft ist bunt, und wir sind ein Teil in diesem Spektrum, und wir sind quasi genau solche Menschen und Teenies oder Berufstätige wie alle anderen auch. Also das Beste ist halt in diesen Begegnungen, wenn man so gemeinsame Interessen hat. Also zum Beispiel: Ich koche gerne, und wenn man dann so darüber zu jemandem so eine Verbindung aufbaut, so. Die Person, die kocht auch gerne, und dann kann man so darüber dann quasi anbinden an die Person."

Keine politischen Themen

Politische Themen oder den Nahostkonflikt lassen die Freiwilligen von "Meet a Jew" lieber aus. Sinn des Projekts ist es, nicht die üblichen Kommunikationsschablonen zu wiederholen. Die Ehrenamtlichen stellen sich als Jüdin oder Jude vor, ob sie sich säkular, traditionell oder religiös verstehen.
"Ich finde, das ist genau das, worauf wir achten sollten. Wo wir die Gemeinsamkeiten haben. Und wir sind ja eine Gesellschaft, und darauf sollten wir immer achten."
Aber ist es eigentlich die Aufgabe von Jüdinnen und Juden, antisemitische Vorurteile zu bekämpfen, eine Pathologie der nichtjüdischen Gesellschaft? Galina Tchechnitskaia meint: ja.
"Ich sehe das als meine Aufgabe, weil ich ja doch ein Teil dieser Gesellschaft bin, und ich finde, dass das die Aufgabe von einer Gesellschaft ist, von jedem einzelnen. Und da ich ja eben Teil dieser Gesellschaft bin, ist es auch meine Aufgabe, das zu machen."