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Initiativen gegen Antisemitismus
"Die Anteilnahme auf politischer Ebene ist überschaubar"

Die Jüdische Gemeinde in Berlin ruft für heute Abend zu einer Solidaritäts-Kundgebung unter dem Motto "Berlin trägt Kippa" auf. Für die Journalistin Ferda Ataman ist ein Eintreten gegen Antisemitismus allerdings nicht nur eine zivilgesellschaftliche Aufgabe. Es fehlten politische Konzepte, sagte sie im Dlf.

Ferda Ataman im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Ferda Ataman, Sprecherin des Netzwerks "Neue Deutsche Organisationen" für Vielfalt und gegen Rassismus
    Ferda Ataman, Sprecherin des Netzwerks "Neue Deutsche Organisationen" für Vielfalt und gegen Rassismus (Imago)
    Sarah Zerback: Sich solidarisch zeigen mit Juden in Deutschland - im Netz machen das gerade viele unter dem Hashtag #Wir sind auch Juden, initiiert von der Moscheegründerin Seyran Ates. Analog geht das heute Abend in vielen Städten: Berlin, Erfurt, Köln, Magdeburg. Alle tragen heute Kippa. So lautet das Motto der Solidaritätskundgebungen, organisiert von den jüdischen Gemeinden im Fokus Berlin.
    Ferda Ataman hat mitgehört. Sie ist Journalistin und Sprecherin der Neuen Deutschen Organisationen, einem bundesweiten Netzwerk, das sich für gesellschaftliche Vielfalt einsetzt und gegen Rassismus. Guten Morgen, Frau Ataman.
    Ferda Ataman: Guten Morgen, Frau Zerback.
    "Im besten Fall zeigen sich viele Menschen solidarisch"
    Zerback: Was bringen denn Ihrer Meinung nach Aktionen wie "Berlin trägt Kippa"?
    Ataman: Im besten Fall wird es bringen, dass wir sehen, dass es sehr viel Solidarität gibt und dass Juden nicht allein sind mit dem Gefühl, das sie gerade haben, sondern dass ganz viele Menschen daran teilhaben, ebenfalls schockiert sind und sich solidarisch zeigen. Im schlechtesten Fall stehen da nur Juden heute Abend und würden das Gefühl bekommen, dass es genauso ist, dass sie nämlich allein gelassen werden, und ich hoffe sehr, dass das nicht passiert, und habe auch gehört, dass Kippas verteilt werden, was ich total hilfreich finde, weil ich glaube, viele Menschen überlegen jetzt, könnte ich da hingehen, und haben vielleicht keine Kippa zuhause.
    Zerback: Man kann ja tatsächlich nur hoffen, dass da mehr Menschen kommen als zum Beispiel bei vergleichbaren Aktionen am Wochenende. Da waren teilweise nur 40 Menschen da. Und auch was Sie gerade angesprochen haben, dass auch nicht jüdische Menschen teilnehmen, ist ja ein wichtiger Punkt, zumal diese Solidaritätskundgebungen jetzt von der jüdischen Gemeinde organisiert werden. Ist das richtig so?
    Aber ich hoffe sehr, dass heute Abend viele auch muslimische Bürger und
    Ataman: Ich sage mal, es ist das übliche Prozedere, dass die, die sich am stärksten betroffen fühlen, die Initiative ergreifen. Das ist jetzt nicht ungewöhnlich. Noch schöner wäre es natürlich, wenn das von anderer Seite käme, wenn, weiß ich nicht, der Humanistenverband oder eine christliche oder muslimische Organisation dazu aufgerufen hätte, wobei ich das jetzt erst mal nicht als negatives Zeichen werten würde, dass das aus der Community selber kommt.
    Zerback: Jetzt hat ja der Zentralrat der Muslime dazu aufgerufen, dass auch Muslime mitmachen und zum Beispiel die muslimische Gebetskappe tragen sollen. Glauben Sie, diesem Aufruf werden viele Muslime folgen?
    Ataman: Ich weiß, dass es auf jeden Fall sehr diskutiert wird. Die Frage war, glaube ich, bei vielen, ich habe gar keine Kippa da, wie mache ich das, darf ich da auch mit Kopftuch hinkommen oder ohne Kippa. Aber ich hoffe sehr, dass heute Abend viele auch muslimische Bürger und Bürgerinnen da sein werden. Ich werde hingehen und habe auch schon Aufrufe bekommen übers Handy von anderen, die gesagt haben, hey, lasst uns da hingehen.
    "Minderheiten nicht gegeneinander ausspielen lassen"
    Zerback: Was halten Sie von Stimmen, die jetzt fordern, wenn es eine solche Aktion gibt, dann müsste es aber auch bald "Berlin trägt Kopftuch" geben. Wie finden Sie das?
    Ataman: Sagen wir mal so: Natürlich ist es auffällig ... der anders: Es gab jetzt immer wieder Leute, die gesagt haben, es ist auch schwer und auch gefährlich für viele Frauen, mit Kopftuch über die Straße zu gehen. Im "Spiegel" stand vor eineinhalb Wochen in der vorletzten Ausgabe, dass eine Frau sich auch gar nicht mehr traut, in öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, sondern lieber das Auto nimmt. Das sind natürlich dramatische Äußerungen und auch darüber sollte man reden. Ich weiß nun nicht, ob das in diesem Kontext jetzt sein muss. Ich glaube, es ist gut, jetzt auch mal zu sagen, ich finde es total berechtigt zu sagen, heute Abend geht es mal um Antisemitismus, um die Sorgen und Ängste von Juden, und wir stehen zusammen. Das finde ich total in Ordnung, da sich jetzt heute Mal drauf zu konzentrieren.
    Zerback: Wahrscheinlich ist trotzdem Obacht geboten, nicht die eine Seite, sage ich mal, gegen die andere auszuspielen.
    Ataman: Das ist tatsächlich etwas, was ich gerade auch beobachte, dass jetzt angefangen wird zu sagen, ja, aber wenn ein Kopftuch getragen wird, dann gibt es nicht denselben Aufschrei in der Gesellschaft, oder so ungefähr, warum kriegen die Polizeischutz vor ihren Synagogen und Moscheen, die ebenfalls in den letzten ein, zwei, drei Jahren sehr, sehr stark, sehr häufig angegriffen wurden, warum gibt es da keinen Polizeischutz. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir darüber reden, dass es verschiedene Probleme gibt. Was nicht passieren darf ist, dass sich Minderheiten gegeneinander ausspielen lassen, und ein bisschen geht es gerade in diese Richtung und das sollte nicht passieren. Ich finde, all diese Themen haben ihre eigene Berechtigung und sollten nicht als entweder oder betrachtet werden.
    Zerback: Das geschieht tatsächlich ja auch bei dem aktuellen Vorfall, wo sich ein bisschen die Schuld gegenseitig in die Schuhe geschoben wird. Da sagen Deutsche dann, das ist er, der neue muslimische Antisemitismus, von dem wir gerade so viel hören. Muslime sagen dann, die meisten antisemitischen Straftaten, die sind doch rechts motiviert. Und Juden sagen, ja, es gibt beides. – Kommen wir so weiter, Frau Ataman?
    Ataman: Ich glaube - und das ist dann tatsächlich was, was ein bisschen Community-intern passieren muss -, es braucht da mehr Dialog. Weil tatsächlich fällt schon auf: Es gab ja immer wieder antisemitische Vorfälle, zuletzt diese Restaurantgeschichte zum Beispiel - es ist nicht die letzte, aber das war die letzte, die medial hochkochte, die nicht von einem muslimischen Täter war. Da war ein Rechtsextremer, der einen Restaurantbetreiber in Berlin wahnsinnig beschimpft hat, und auch das wurde gefilmt, auch das kam in die Medien.
    "Antisemitismus ist in der Breite der Gesellschaft ein echtes Problem"
    Zerback: Im Dezember war das und das war ein israelischer Restaurantbesitzer.
    Ataman: Genau. Da gab es zum Beispiel keine Kippa-Aktion Ich meine, ein bisschen ist schon die Frage, wird das eine jetzt als gravierender dargestellt oder empfunden als das andere, oder ist das wirklich so. Und natürlich ist die Gefahr, dass jetzt der Eindruck entsteht, wir hätten einen muslimischen Antisemitismus und der andere sei ein bisschen überwunden oder nicht mehr wirklich das Problem. Und ich glaube, ehrlich gesagt, das ist nicht unbedingt hilfreich - nicht, weil es die Muslime trifft, sondern weil, soweit ich das verstehe, auch viele Juden sagen würden, das ist es nicht alleine. Alle, die in diesen Anlaufstellen und Beratungsstellen arbeiten, sagen, dass es von verschiedenen Seiten kommt und dass das immer alles betrachtet werden muss und Antisemitismus in der Breite der Gesellschaft ein echtes Problem ist und eben nicht ein muslimisches Problem.
    "Man ist zum Glück sehr hellhörig und aufmerksam, aber ..."
    Zerback: Wie kommt das denn, dass das tatsächlich, wie Sie ja zurecht sagen, eine immer wiederkehrende Debatte ist? Muss da tatsächlich jetzt erst mal wieder das Fass überlaufen, bis wieder groß darüber diskutiert wird? Und vor allen Dingen die Frage: Heißt das auch, dass jetzt tatsächlich dann Handlungen folgen?
    Ataman: Meine Beobachtung des letzten halben Jahres ist, dass zyklisch das Thema immer wieder hochpoppt, aufpoppt, und bislang ist noch nichts passiert, noch nichts Konkretes, keine Ergebnisse. Insgesamt muss man ja sagen: Warum haben wir erst im Jahr 2018 einen Antisemitismus-Beauftragten auf Bundesebene in Deutschland? In dem Moment, wo man das ausspricht, finde ich, ist das total irritierend. Wie konnte das sein, dass es den gar nicht gab? Und warum passiert eigentlich nichts? Wir sind alle immer sehr schnell damit, das zu verurteilen und zu sagen, oh ja, das ist ganz schlimm, Antisemitismus. Da sind wir zum Glück sehr hellhörig und aufmerksam. Aber tatsächlich finde ich, wenn man sich anguckt, was passiert auf politischer Ebene, ist die Anteilnahme und, ich sage mal, die Priorisierung des Themas doch recht überschaubar.
    "Die Zivilgesellschaft ist gefordert - aber auch die Politik"
    Zerback: Und doch hören wir natürlich jetzt gerade in der letzten Woche sehr viele vehemente laute Stimmen, die sich gegen Antisemitismus positionieren, die dann aber auch immer wieder sagen, das Problem zu lösen, das ist auf jeden Fall eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Haben Sie den Eindruck, da drückt sich die Politik ein bisschen aus der Verantwortung?
    Ataman: Ja. Interessant ist doch, dass wir gerade über Phänomene reden, von denen wir noch gar nicht wissen, wie groß die sind, was genau die bedeuten, weil es zum Beispiel überhaupt keine Forschung dazu gibt oder überhaupt nicht genug Anlaufstellen und Beratungsstellen oder pädagogische Konzepte, die damit arbeiten, die das vielleicht auch erfassen könnten. Das alles gibt es nicht. Wir reden hier gerade ein bisschen in den luftleeren Raum. Wir finden alle: Oh ja, das ist ganz schlimm, weil man das halt in Deutschland so sagt und findet. Aber ich finde, wenn man sich unterm Strich anguckt, was tatsächlich gemacht wird, was an politischen Konzepten rauskommt, ist es so dünn, dass es eigentlich schon beschämend ist. Und auf der anderen Seite in dem Moment zu sagen, das ist eine zivilgesellschaftliche Aufgabe - schwierig. Warum ist es nicht auch eine politische?
    Auf der anderen Seite: Als Zivilgesellschaft würde ich natürlich sagen, natürlich! Heute Abend ist es die Aufgabe von ganz vielen, eigentlich von jedem in Deutschland und jeder in Deutschland, da hinzugehen und zu sagen, wir stehen hinter euch.
    Zerback: Und doch ist es auch so, gerade in einer wiederkehrenden Debatte, die wir seit so vielen Jahren und Jahrzehnten immer wieder auch führen, kann es da nicht sein, dass da auch die Aufmerksamkeit einfach begrenzt ist beziehungsweise die Solidarität auch überstrapaziert werden könnte? Sehen Sie da eine Gefahr?
    Ataman: Jetzt unabhängig von Antisemitismus insgesamt, oder speziell im Kontext Antisemitismus?
    Deutschlands "Sternstunde der Zivilgesellschaft"
    Zerback: Wahrscheinlich muss man beides doch trennen, auch wenn die Überschrift "menschverachtende Taten" auf beides zutrifft. Aber in der Debatte macht es wahrscheinlich schon Sinn, beides zu trennen.
    Ataman: In den letzten Jahren habe ich schon das Gefühl, dass sich die Ereignisse überschlagen, und natürlich haben wir alle irgendwie auch was zu tun und können nicht jeden Abend auf eine Demonstration gehen, jeden Tag zehn Petitionen unterzeichnen und in noch mehr Vereinen aktiv werden und so weiter. Ich würde schon sagen, dass die Zivilgesellschaft in Deutschland eine wahnsinnige Vitalisierung erlebt hat. Das haben wir seit 2015 gesehen. Das ist eigentlich die positive Kehrseite dieser Migrationsgeschichte und der neuen Flüchtlingsdebatte, nämlich dass Deutschland im Grunde eine Sternstunde der Zivilgesellschaft erlebt hat. Noch nie waren so viele Menschen aktiv und haben geholfen und waren bereit, ihre Verantwortung zu übernehmen oder eine Verantwortung zu übernehmen. Ich glaube, da kann man auch noch mehr mobilisieren.
    Auf der anderen Seite würde ich auch sagen: Wieviel Verantwortung überlässt man der Zivilgesellschaft, die ja irgendwie auch noch beschäftigt ist, ihrem Alltag nachgehen muss, vielleicht Kinder hat, einen Job hat? Ich glaube, das ist eine Frage, die jeder oder jede für sich beantworten muss. Aber mein Eindruck ist schon, dass viele Menschen gemerkt haben, okay, es passiert was in der Gesellschaft und wir müssen da irgendwie Gesicht zeigen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.