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Initiator der Buntwesten-Proteste
"Es ist ein gewisses Wutpotenzial da"

In zahlreichen Städten wollen heute die "Buntwesten" demonstrieren - nach dem Vorbild der französischen Gelbwesten. Ihre Themen seien vielfältig, sagte Initiator Ottopeter Flettner im Dlf - sie reichten von sozialer Gerechtigkeit bis zur Rüstungspolitik. "Wir sind mit bestimmten Umständen in unserem Land nicht mehr zufrieden."

Ottopeter Flettner im Gespräch mit Martin Zagatta |
    Demonstranten halten während des Protests der "Gelbwesten" ein Transparent, das einen Polizisten mit einer Waffe abbildet.
    Nach dem Vorbild der "Gelbwesten"-Bewegung wollen in 15 deutschen Städten sogenannte BuntWesten friedlich protestieren. "Wir haben die Schnauze voll", sagt BuntWesten-Initiator Flettner. Die Protest-Themen sind vielfältig. (dpa-Bildfunk / AP / Francois Mori)
    Martin Zagatta: Funktioniert so eine Protestbewegung wie die Gelbwesten in Frankreich auch in Deutschland? Jedenfalls soll es heute so etwas Ähnliches geben. Bundesweit sind heute in 40 Städten etwa Demonstrationen geplant von sogenannten bunten Westen, entstanden aus der linken Sammlungsbewegung Aufstehen heraus, die von der Linkenpolitikerin Sahra Wagenknecht mitbegründet worden ist. Ottopeter Flettner in Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern gehört zu den Initiatoren der Bundwesten-Proteste. Guten Morgen, Herr Flettner!
    "Wir wollen friedlich demonstrieren"
    Ottopeter Flettner: Guten Morgen!
    Zagatta: Herr Flettner, warum heißt das bei Ihnen jetzt bunte Westen und nicht gelbe Westen?
    Flettner: Ein wesentlicher Anteil daran war das, dass viele derjenigen, die mit auf die Straße wollte, gesagt haben, wir wollen uns zwar mit der Zielrichtung der Gelbwesten in Frankreich solidarisieren, aber wir wollen uns nicht mit der Gewalt, die dabei auf die Straße gebracht wird, solidarisieren. Das wollen wir nicht. Wir wollen friedlich demonstrieren.
    Zagatta: Also abgesehen von der Gewalt, verfolgen Sie ähnliche Ziele. In Frankreich geht es ja vor allem - oder das war der Ausgangspunkt - um Proteste gegen die Benzinpreise.
    Flettner: Ja, das war in Frankreich die Initialzündung, die letzten Endes die Gelben Westen in dieser Masse auf die Straße gebracht hat. Davor haben die Gelben Westen ja schon weit über ein Jahr in kleinen Aktionen in der Provinz protestiert gegen die problematischer werdenden sozialen Bedingungen in Frankreich.
    Aktionen ohne speziell vorgegebenes Thema
    Zagatta: Ihr Motto heute, wenn ich das richtig gelesen habe, beginnt mit dem Satz: "Wir sind viele, wir sind vielfältig, und wir stehen auf". Wenn Sie jetzt diese Bewegung, diese Aufstehen-Bewegung, die es ja schon seit Monaten gibt, beobachten, der Anspruch da, wir sind viele, ist der nicht doch ein bisschen verwegen? Sie sind ja bisher nicht so sonderlich erfolgreich.
    Flettner: Ja, das ist richtig. Also die ersten Demonstrationen von Aufstehen waren wirklich sehr spärlich. Das lag im Wesentlichen auch daran, dass die Themen sozusagen von oben aus einer parteinahen Struktur vorgegeben wurden und es da dann nur relativ wenige Leute gab, die da mitgegangen sind mit diesen Themen. Wir haben jetzt einmal eine Aktion gemacht bundesweit, wo wir kein spezielles Thema vorgegeben haben, sondern wo wir die Aktion vielleicht auch als Selbstdarstellung betrachten können. Es ist tatsächlich so, wir sind viele, und wir sind vor allen Dingen vielfältig. Wir haben mehrere Farben, nicht nur eine, und wir stehen auf. Der ursprüngliche Kontext war eigentlich der: und wir haben die Schnauze voll. Das heißt, es ist auch tatsächlich ein gewisses Wutpotenzial da, das wir mit bestimmten Umständen in unserem Land nicht mehr zufrieden sind.
    "Wir sind auch keine linke Pegida-Bewegung"
    Zagatta: Wenn Sie sagen, wir sind vielfältig, schließt das auch AfD-Anhänger mit ein, sind die heute damit dabei?
    Flettner: Nein, wir…
    Zagatta: Wie schließen sie das aus?
    Flettner: Wir distanzieren uns grundsätzlich von Gewalt und distanzieren uns auch grundsätzlich von jeglicher Art von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit. Wir haben natürlich bei jeder Demonstration auch Ordner, die sehr wachsam sind. Wir haben ja in letzter Zeit öfters beobachten können, dass gerade vonseiten der AfD in Deutschland die Gelbwesten sozusagen missbraucht wurden. Man hat versucht, sich da auf diesen Hype draufzuhängen und mitzumachen, aber ich denke, das können wir in unseren Demonstrationen schon ganz gut auseinanderhalten, und auch deswegen bei uns die Bunten Westen.
    Zagatta: Also Sie sind auch keine linke Pegida-Bewegung, die hat ja auch mit Facebook-Aufrufen begonnen?
    Flettner: Nein, wir sind auch keine linke Pegida-Bewegung.
    "Gleicher Lohn in Ost und West, freie Bildung für alle"
    Zagatta: Wenn Sie sagen, die Forderungen, die dürfen vor Ort jeweils regional bestimmt werden, ich habe da gelesen, für die Demonstration wird jetzt gefordert: Menschenwürde statt sozialer Abstieg, Gemeinwohl vor Rendite, naturverträglich wirtschaften. Das kann doch jeder unterschreiben.
    Flettner: Ja, es sind solche Forderungen auch bei uns jetzt zum Beispiel gleicher Lohn in Ost und West, freie Bildung für alle, bezahlbare Mieten, und ich habe gerade heute Nacht noch bis spät in den Morgen Plakate fertiggemacht, und wenn ich mich hier so in meinem Raum umschaue, dann kann ich hier auch lesen, "für soziale Gerechtigkeit und Frieden", "NATO raus aus Europa", "Europa raus aus der NATO", "Für mehr Bildung und weniger Rüstung", "Große Konzerne gerechter besteuern", "Für mehr soziale Gerechtigkeit" oder "Politik für das Volk und nicht für die Konzerne". Das ist so ungefähr der Turnus, der heute bundesweit in über 15 Städten auf die Straße kommen wird. Genauso aber auch die Solidarität mit den vielen Leuten, die unter der Armutsgrenze heute ihre Existenz fristen müssen und Flaschen sammeln müssen oder Ähnliches, um ihr Einkommen etwas aufzubessern. Das sind Zustände, die wir in einem solchen reichen Land wie Deutschland nicht gerne in Zukunft sehen wollen.
    "Menschen, die auch von Parteien die Schnauze voll haben"
    Zagatta: Das klingt ja fast voll und ganz nach Forderungen auch, wie sie die Linkspartei vertritt. Treten Sie denn für irgendetwas ein, wofür die Linkspartei nicht eintritt oder ist das ziemlich deckungsgleich?
    Flettner: Das kann ich nicht sagen. Also wir richten uns eigentlich überhaupt nicht nach Parteien. Wir haben zwar in meiner Ortsgruppe, aus der ich komme, in Neubrandenburg, einen recht großen Anteil von Mitgliedern der Linkspartei, und auch hier in Mecklenburg-Vorpommern hat die Linkspartei mal auf einer internen Kommunikationstagung so geäußert, dass sie ihren Mitgliedern empfohlen hat, an Aufstehen teilzunehmen, denn Aufstehen sei größer als die Partei und man solle dabei aber die Partei nicht vergessen. Aber in der Tatsache oder tatsächlich sind bundesweit - es gab da mal eine Erhebung - über 80 Prozent derjenigen, die sich bei Aufstehen haben registrieren lassen, nicht parteigebunden. Es sind also im Wesentlichen Menschen, die keinen Zugang mehr zu Parteien haben oder die auch von Parteien die Schnauze voll haben.
    "Nicht von irgendeiner parteinahen Struktur"
    Zagatta: In Frankreich ist aber diese Bewegung doch aus der Mitte der Gesellschaft entstanden, in Deutschland - Sie haben das auch angedeutet - aus ganz parteinahen Strukturen. Ist das kein Problem, also diese Art, wenn man es so nennen will, von deutscher Revolution?
    Flettner: Also der Deutsche braucht ja immer eine Genehmigung, bevor er etwas macht oder einen Antrag für eine Genehmigung. Es gibt tatsächlich Forscher, die sich mit politischen Bewegungen weltweit beschäftigen, und wenn man denen zuhört, sagen die alle, diese Bewegung Aufstehen hat einen Gründungsfehler, und das ist tatsächlich so. Diese Bewegung ist aus parteinahen Strukturen gegründet worden, und Parteistrukturen sind grundsätzlich anders als die einer Bewegung. Es bestehen grundsätzlich andere Interessen. Im Moment ist gerade diese Aktion Bunte Westen eine der größten Aktionen, die bisher unter Aufstehen gemacht wurden und die aus der Bewegung selbst heraus kommt, aus der Basis und nicht von irgendeiner parteinahen Struktur. Das ist eine ganz neue Qualität in dieser Bewegung.
    "Genauso gut rote oder orangene Westen zeigen"
    Zagatta: Aber Herr Flettner, für die Öffentlichkeit kommt ja rüber: Sahra Wagenknecht in Gelbweste vor dem Kanzleramt - dieses Foto gibt es ja -, finden Sie das nicht lächerlich oder schädlich?
    Flettner: Wenn Sahra Wagenknecht das machen möchte und meint, ihrer Popularität damit erhöhen zu können, ist das eine nette Sache. Wir wollen nicht ausschließlich die Gelbwesten auf der Straße zeigen, sondern wir wollen genauso gut rote oder orangene Westen zeigen.
    Zagatta: Otto Peter Flettner in Schwerin in Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört zu den Initiatoren der Buntwesten-Proteste, die heute bundesweit demonstrieren wollen. Herr Flettner, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Flettner: Gern geschehen, danke!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.