Die Chancen für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt sind zuletzt wieder gestiegen.
Die Arbeitslosenquote hat mit derzeit elf Prozent einen neuen Tiefstand erreicht.
Das liegt jedoch immer noch über der Quote von Menschen ohne Behinderung. Denn vor allem private Arbeitgeber scheuen sich, Menschen mit Behinderung einzustellen, obwohl sie bei mehr als 20 Arbeitsplätzen verpflichtet sind, fünf Prozent davon mit Schwerbehinderten zu besetzen. Stattdessen zahlen sie eine Ausgleichsabgabe.
Viele Arbeitgeber hätten noch immer Vorurteile, sagt Christina Marx von der Aktion Mensch, beispielsweise in Bezug auf Leistungsunterschiede. Dabei sind arbeitslose Menschen mit Behinderungen laut der Bundesagentur für Arbeit oft besser qualifiziert als andere Arbeitslose. Auch der besondere Kündigungsschutz schrecke viele Unternehmen ab, da im Falle einer Kündigung immer das Integrationsamt zustimmen muss, so Marx. In der Vergangenheit verliefen die meisten Kündigungsverfahren jedoch unstreitig.
Durch die Ausgleichsabgaben kamen im vergangenen Jahr gut 670 Millionen Euro zusammen. Das Geld geht in erster Linie an die Integrationsämter, welche damit wiederum Schwerbehinderte und deren Arbeitgeber fördern.
Das Interview mit Christina Marx in voller Länge:
Sina Fröhndrich: Fünf Tage Zusatzurlaub und erhöhter Kündigungsschutz: Menschen mit einer Schwerbehinderung haben in der Arbeitswelt besondere Rechte. Und die sorgen auch dafür, dass sich Arbeitgeber noch immer zurückhalten, Schwerbehinderte einzustellen. Zum Tag der Menschen mit Behinderung fragen wir, wie Inklusion am Arbeitsplatz gelingen kann – darüber spreche ich mit Christina Marx von Aktion Mensch, die Organisation lässt regelmäßig ein Inklusionsbarometer erstellen. Frage an Christina Marx: Inklusion am Arbeitsmarkt – ist das eine Dauerbaustelle oder eher ein schwieriges Feld mit ersten Erfolgen?
Christina Marx: Beides ist richtig. Es ist eine Dauerbaustelle, aber es gibt auch erste Erfolge. Warum eine Dauerbaustelle? – Wir stellen fest, dass die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung immer noch mehr als doppelt so hoch ist wie bei Menschen ohne Behinderung – und das, obwohl sie oft gut qualifiziert sind. Insbesondere die Langzeitarbeitslosigkeit ist bei Menschen mit Behinderung ein großes Problem. Sie sind im Durchschnitt rund 100 Tage länger arbeitslos als Menschen ohne Behinderung.
Allerdings gibt es auch kleine Erfolge, dass nämlich eine Rekordmarke von Menschen mit Behinderung mittlerweile beschäftigt ist. 1,27 Millionen Menschen mit Behinderung sind auf dem ersten Arbeitsmarkt aktiv.
Fröhndrich: Was würden Sie sagen, welche Hürden gibt es denn immer noch für Unternehmen, für Arbeitgeber? Welche Hürden werden da angeführt?
Marx: Es gibt einmal immer noch eine Barriere im Kopf. Arbeitgeber oder Unternehmen sind einfach unsicher auch im Umgang mit Menschen mit Behinderung. Sie wissen nicht, ob es Leistungsunterschiede gibt. Dann gibt es strukturelle Barrieren. Das Thema des besonderen Kündigungsschutzes wird immer noch von Arbeitgebern ins Feld geführt. Sie haben Angst, wenn sie einen Menschen mit Behinderung einstellen und es funktioniert einfach nicht so, dass sie ihn oder sie nicht wieder kündigen können. Das sind die Hauptgründe, die immer wieder angeführt werden.
Fröhndrich: Und wenn ich jetzt Arbeitgeberin wäre und genau diese Bedenken hätte, was würden Sie mir raten? Wie würden Sie mir diese Bedenken austreiben?
Marx: Es gibt viele oder einige Stellen, die auch beraten, die Agenturen für Arbeit beispielsweise, die Integrationsämter, die auch Hilfestellung leisten, wo ich zum Beispiel auch finanzielle Unterstützung herbekomme, wenn ich beispielsweise einen Lohnkostenzuschuss beantrage oder auch einen Arbeitsplatz barrierefrei machen möchte, weil das natürlich auch Investitionen sind, die Arbeitgeber zu Beginn tätigen. Und ich kann auch ganz stark nur an die Arbeitgeber appellieren: Viele der Menschen mit Behinderung sind exzellent ausgebildet, haben studiert, und gerade wenn wir über Fachkräftemangel sprechen, dann einfach auf die Potenziale von Menschen mit Behinderung zu schauen.
Aufklärungsarbeit statt höhere Abgaben
Fröhndrich: Sie haben das Thema Kündigungsschutz angesprochen. Welche Rolle spielt der denn?
Marx: Es gibt schon den besonderen Schutz von Menschen mit Behinderung, aber das dient eigentlich beiden Seiten. Das Integrationsamt ist am Ende die Instanz, die dann darüber entscheidet, wenn es zu einer Trennung kommt. Aber es geht auch darum, vorher zu gucken, kann man im Zusammenspiel von Arbeitgebern und Arbeitnehmern vielleicht auch noch Dinge optimieren, gibt es noch Unterstützung. Aber ganz knapp gesagt: Den meisten Kündigungen entspricht das Integrationsamt. Insofern sind die Bedenken von Arbeitgebern an der Stelle nicht gerechtfertigt.
Fröhndrich: Nun gibt es ja eine Ausgleichsabgabe, die Arbeitgeber zahlen müssen, wenn sie eine bestimmte Quote von Menschen mit Behinderung nicht erreichen. Diese Ausgleichsabgabe, die da gezahlt wird, die steigt ja seit Jahren. Da kommt ja immer mehr Geld zusammen. Es sind inzwischen ungefähr 670 Millionen Euro im Jahr. Was hielten Sie denn davon, wenn man diese Abgabe erhöhen würde?
Marx: Das ist ja eine Diskussion, die dauerhaft geführt wird. Sie ist ja im Moment für das einzelne Unternehmen relativ niedrig. Sie liegt zwischen 100 und 300 Euro im Monat, je nachdem wie groß das Unternehmen ist und ob Menschen mit Behinderung in keinster Weise beschäftigt werden, oder vielleicht die Quote nicht ganz erfüllt wird.
Ich halte ehrlicherweise nicht viel davon, da die Ausgleichsabgabe zu erhöhen, sondern es muss an anderen Stellschrauben gedreht werden, weiter Aufklärungsarbeit zu leisten über die Potenziale von Menschen mit Behinderung, mehr auch direkte Begegnung herzustellen. Das fängt ja in der Schule schon an und geht in Ausbildung weiter. Ich glaube, das ist der bessere Weg, als nur mit Sanktionen zu operieren.
"Werkstätten dürfen nur die Ausnahme sein"
Fröhndrich: Sie haben die Schulen gerade angesprochen. Wie sehr hat sich denn die Inklusion an Schulen, wie hat sich das nachgelagert ausgewirkt auf den Arbeitsmarkt?
Marx: Direkte Auswirkungen können wir da noch nicht feststellen. Bei der Schule ist ja der Übergang in die Ausbildung oder auch ins Studium entscheidend. Wir sehen – wir haben mal eine Befragung dazu durchgeführt -, dass junge Menschen, die von einer Regelschule kommen, schon bessere Möglichkeiten haben, auf dem ersten Arbeitsmarkt auch einfacher einen Ausbildungsplatz finden. Für Schülerinnen und Schüler, die auf einer sogenannten Förderschule sind, ist eigentlich der Weg beinahe vorgezeichnet in die Werkstatt und der Weg auf den ersten Arbeitsmarkt ist versperrt.
Fröhndrich: Wenn wir noch mal auf die Werkstätten schauen – welche Rolle spielen die denn? Wie sehr zementieren sie am Ende vielleicht auch die Nichtinklusion am Arbeitsmarkt?
Marx: Werkstätten sind wie Förderschulen ja Sonderwege und die UN-BRK, die ja in diesem Jahr zehn Jahre in Kraft ist in Deutschland, versucht ja, genau da auch entgegenzusteuern und zu sagen, es muss eigentlich der Regelbetrieb verfolgt werden. Der Sonderweg darf nur die Ausnahme sein. Das gilt auch für Werkstätten. Es gibt immer Menschen, die auf dem ersten oder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine Möglichkeit haben, Menschen auch mit einer schwersten Behinderung. Für die ist sicherlich die Werkstatt noch ein Ort, wo sie mit anderen Menschen in Kontakt kommen. Aber wir sind der Meinung, deswegen fördern wir auch keine Werkstätten als Aktion Mensch, dass das wirklich nur die Ausnahme sein darf.
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