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Inklusion
Auf die Schulen abgewälzt

Inklusion ja, aber nicht mit der Brechstange, meint die CDU in Rheinland-Pfalz. So lange Inklusion nicht mit freier Schulwahl und guter Ausstattung gekoppelt werde, bleibe sie Etikettenschwindel, halten Kritiker der CDU-geführten Bildungspolitik in Hessen dagegen. Grundschullehrer beider Länder protestieren gegen massive Stundenkürzungen in Inklusionsklassen.

Von Anke Petermann | 18.06.2015
    Schüler im Klassenzimmer einer Grundschule in Wiesbaden
    Die Binnendifferenzierung sollen die Grundschullehrerinnen in der Klasse allein leisten, damit fühlen sie sich überfordert. (imago / MIchael Schick)
    Vor allem Grundschullehrer in Hessen protestieren in diesen Tagen gegen massive Stundenkürzungen in Inklusionsklassen mit körperbehinderten oder lernschwachen Kindern. Vor Jahren konnten die Grundschullehrerin Annette Hautzel und die Förderschullehrerin Ute Harbauer an einer Frankfurter Grundschule zwanzig Wochenstunden im Team unterrichten. Da hieß das schlicht "Gemeinsamer Unterricht" und nicht Inklusion.
    Derzeit sind es nur noch 14 Stunden. Und im kommenden Jahr dürfte die Doppelbesetzung kaum noch möglich sein, fürchten die beiden. Denn: Das CDU-geführte Kultusministerium hat zwar insgesamt mehr Stunden bewilligt, das vergrößerte Kontingent hält jedoch nicht Schritt mit der räumlichen Ausweitung von Inklusionsklassen auf alle Schulen. Zu kurz kämen die, die Vorreiter waren und besonders viele Kinder mit zusätzlichem Förderbedarf aufgenommen hätten.
    (Hautzel) "Es werden Stunden da weggenommen, wo es lief und da verteilt, wo keiner weiß, wie er's machen soll. Ein gemeinsamer Unterricht braucht, dass man Themen abstimmt, wer macht was, wer nimmt welche Kinder raus, welche Kinder kommen mit dazu, wo bündele ich sie wieder, wo kriege ich sie wieder zusammen ins Boot. Und das geht nicht."
    (Harbauer) "Es ist eigentlich nicht mehr vorgesehen, dass Förderschullehrer unterrichten. Sie beraten nur und sie begleiten Kinder. Wenn wir schlecht drauf sind, sagen wir, wir sind Nachhilfelehrer."
    Die Binnendifferenzierung sollen die Grundschullehrerinnen in der Klasse allein leisten, damit fühlen sie sich überfordert. "An den Gymnasien ist Inklusion so gut wie gar nicht angekommen", beschwert sich Reiner Pilz, Chef des Landeselternbeirats Hessen, dort werde weiter "abgeschult", wer die geforderte Leistung nicht bringe. Auch anderswo würden Schulen mit den Problemen allein gelassen. Hörbeeinträchtigte beispielsweise bräuchten kleine Klassen mit maximal 15 Schülern, sonst könnten sie die Störgeräusche nicht verkraften.
    "Das ist was, was das Hessische Kultusministerium letztendlich auf die Schulen abwälzt und sagt, es können theoretisch kleinere Klassen gegründet werden. Aber die Kapazität reicht nicht aus, und das führt dann dazu, dass die anderen Klassen entsprechend groß gemacht werden müssten."
    Teure Doppelstruktur
    Zuständiger Kultusminister ist Alexander Lorz von der CDU. Der zeigt sich zufrieden damit, dass sich in Hessen die Zahl der inklusiv unterrichteten Schüler im vergangenen Jahrzehnt mehr als verdoppelt hat. Allerdings besuchen immer noch 80 Prozent aller Kinder mit Förderbedarf eine spezielle und keine allgemeinbildende Schule. Die Lehrergewerkschaft GEW und der Landeselternbeirat sehen das Festhalten von Schwarzgrün an der Förderschule kritisch, die Doppelstruktur sei teuer und raube der Inklusion Ressourcen.
    Auch in Rheinland-Pfalz bemängelt die Opposition, dass Kinder mit Förderbedarf an allgemeinbildenden und inklusiven regionalen Schwerpunktschulen nicht ausreichend nach vorn gebracht werden. Dort ist die CDU in der Opposition und wie als Regierungspartei in Hessen Fürsprecherin der Förderschulen. Dass inklusiver Unterricht an den allgemeinbildenden Schulen schlecht funktioniere, führt die Mainzer CDU auf den Anspruch von Rot-Grün zurück, allen Eltern die freie Schulwahl für beeinträchtigte Kinder zu ermöglichen.
    Keine qualitativen Mindeststandards
    Ohne allerdings qualitative Mindeststandards zu setzen. Eine flächendeckend angemessene Ausstattung sei auch nicht finanzierbar, meint Bettina Dickes, bildungspolitische Sprecherin der CDU-Fraktion. Und:
    "In der gesellschaftlichen Diskussion wird sehr oft suggeriert, dass wir mit der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichtet sind, dass alle Schüller weg von der Förderschule hin zur Regelschule kommen. Genau das sagt die UN-Behindertenrechtskonvention nicht. Die sagt, das Kindeswohl steht im Vordergrund, jedes Kind hat das Recht auf Teilhabe und das Recht auf eine Schule, aber das kann genauso eine Förderschule sein."
    Inklusion ja, aber nicht mit der Brechstange, meint die CDU in Rheinland-Pfalz. So lange Inklusion nicht mit freier Schulwahl und guter Ausstattung gekoppelt werde, bleibe sie Etikettenschwindel, halten Kritiker der CDU-geführten Bildungspolitik in Hessen dagegen.