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Inklusion in der Schule

Inklusion, das gemeinsame Leben von Behinderten und Nichtbehinderten, ist durch die UN-Behinderten-Konvention seit 2009 auch in der Schule Pflicht. Dem deutschen Schulsystem, das Behinderte bisher in Förderschulen abschob, steht eine titanische Herausforderung ins Haus.

Von Armin Himmelrath und Britta Mersch |
    "Der Auftakt dieser Kreistagssitzung ist irgendwie anders: Wir haben einen Schwerpunkt in der thematischen Diskussion für das Jahr 2012 und für die folgenden Jahre auf den Bereich der Inklusion gelegt. Wir haben das sicherlich getan vor dem Hintergrund der UN-Behindertenrechts-Konvention. Wir haben das getan vor dem Hintergrund der Diskussion um die schulische Inklusion."

    Kreistagssitzung des Rheinisch-Bergischen Kreises bei Köln, ein paar Tage vor Weihnachten. Landrat Hermann-Josef Tebroke stellt das wohl wichtigste schulpolitische Thema der kommenden Jahre in den Mittelpunkt der Sitzung.

    "Und jetzt im Hinblick auf die Tatsache auch, dass das die letzte Sitzung vor Weihnachten ist, haben wir einen irgendwie anderen Aufschlag gewählt: Wir möchten Ihnen das Buch 'Irgendwie anders' vorstellen. Und dazu haben sich dankenswerter Weise die Fraktionsvorsitzenden bereit erklärt, gemeinsam eine Lesung durchzuführen, die wir also vor die Kreistagssitzung schalten wollen."

    Eine Lesung aus einem Kinderbuch, das für Inklusion wirbt – also das gemeinsame Leben von Behinderten und Nichtbehinderten. Im Dezember 2006 hatte die UN-Generalversammlung in New York das Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderung verabschiedet. Am 3. Mai 2008 trat es in Kraft, Deutschland ratifizierte die Vereinbarung Anfang 2009. Seither ist auch der deutsche Staat völkerrechtlich verpflichtet, behinderten Menschen die gleiche Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu ermöglichen wie Nicht-Behinderten. Und das heißt unter anderem: Ihnen den Zugang zum ganz normalen Schulsystem zu öffnen. Ein bildungspolitisches Mammutprojekt – auch deshalb, weil Deutschland bisher zu den Ländern gehört, die stärker als andere Behinderte am liebsten in Förderschulen abschieben.

    "Auf einem hohen Berg, wo der Wind pfiff, lebte ganz allein und ohne einen einzigen Freund 'Irgendwie Anders'. Er wusste, dass er irgendwie anders war, denn alle fanden das. Wenn er sich zu Ihnen setzen wollte oder mit Ihnen spazieren ging oder mit ihnen spielen wollte, dann sagten sie immer: Tut uns leid, du bist nicht wie wir. Du bist irgendwie anders. Du gehörst nicht dazu."

    Du gehörst nicht dazu – das will Thomas Giebisch keinem behinderten Kind mehr sagen. Giebisch ist Direktor des Leibniz-Gymnasiums in Remscheid-Lüttringhausen. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen hat er beschlossen: Ab Sommer 2013 wird es an unserer Schule eine inklusive Klasse geben.

    "Wir sind etwa seit vier, fünf Jahren in dieser Diskussion. Haben geschaut: Welche Möglichkeiten gibt es? Wie sind die Rahmenbedingungen? Passt es? Wir haben geguckt: Wann sind auch Kinder in unserem Bereich da, die inklusive Beschulung wollen? Oder die Eltern, die eben die inklusive Beschulung wollen? Und es bot sich jetzt an, dass jetzt eine Klasse zusammenkommt, mit sechs bis sieben inklusiv beschulten Kindern, die alle aus der benachbarten Grundschule im nächsten Jahr zu uns kommen wollen – und insofern haben wir uns dann jetzt auf den Weg gemacht."

    Dafür allerdings muss sich an der Schule noch einiges tun. Die inklusive Klasse braucht einen Doppelraum, sodass sich einzelne Kinder oder Lerngruppen auch einmal zurückziehen können. Neues Unterrichtsmaterial muss angeschafft werden. Und auch beim Personal muss und wird sich etwas tun, sagt Thomas Giebisch.

    "Es ist so geregelt, dass für jedes Kind, was zu uns kommt mit einem inklusiven Förderbedarf, eine bestimmte Stundenzahl an Sonderschullehrern vorgesehen ist, die dann zu uns an die Schule kommen. Seitens der Stadt Remscheid ist netterweise zugesagt worden, dass wir auf jeden Fall eine ganze Sonderpädagogen-Stelle bekommen."

    Denn in der Inklusionsklasse sollen immer zwei Lehrkräfte zusammen unterrichten. Für größer als die räumlichen oder personellen Herausforderungen hält Schulleiter Thomas Giebisch aber die pädagogischen Anforderungen, die auf seine Kollegen zukommen. Auf das einzelne Kind ausgerichteten Unterricht gibt es zwar schon jetzt, doch die Individualisierung müsse noch weiter ausgebaut werden.

    "Natürlich müssen wir das deutlich intensivieren. Eigentlich sind alle Stunden jetzt individuell zu denken von allen Kindern aus. Und zwar nicht nur von der Inklusionsklasse und von den Inklusionskindern her, sondern von allen Kindern. Denn auch bei den anderen Schülern, die wir haben – das werden ja noch etwa 20 andere Kinder in der Klasse sein – gibt es natürlich unglaubliche Unterschiede im Leistungsvermögen, in den einzelnen Fächern, die durch so eine individuelle Unterrichtsform auch individuell gefördert werden können."

    Für Nina Brattig klingen solche Überlegungen einerseits vielversprechend – und andererseits eindeutig nach Zukunftsmusik. Zur Familie der 46-jährigen Solingerin gehören fünf eigene und zwei Pflegekinder. Nina Brattigs jüngster Sohn besucht, weil er Autist ist, eine Förderschule.

    "Für den Schulalltag braucht unser Sohn eine kleine Lerngruppe, eine intensivere Betreuung und Begleitung und diesen behüteteren Rahmen, der an der Förderschule ist, einfach aufgrund der Schülerzahlen, das Verhältnis Schüler-Lehrer und so weiter. Der wäre an einer regel-weiterführenden Schule - er ist jetzt in der 5. Klasse - alleine aufgrund der Personenzahl, die sich an diesen weiterführenden Schulen befindet, völlig überfordert."

    Und diese Entscheidung, ihren Sohn nicht in einer regulären Schule anzumelden, hat Nina Brattig sehr bewusst getroffen.

    "Er ist direkt auf der Förderschule eingeschult worden. Schon im Kindergarten hatte er einen integrativen Kindergartenplatz, weil das klar mit diesem Autismus. Wir haben ihm dann die Schlaufe über die Regelschule erspart und ihn direkt auf der Lernbehinderten-Schule eingeschult, unter anderem wegen der kleinen Klassenstärke."

    Lesung: "Irgendwie Anders tat alles, um wie die anderen zu sein. Er lächelte wie sie und malte Bilder. Er spielte, was sie spielten – wenn er durfte. Er brachte sein Mittagessen auch in einer Papiertüte mit. Aber es half alles nichts. Er sah nicht so aus wie die anderen und er sprach nicht wie sie."

    Dass die nordrheinisch-westfälische Landesregierung derzeit unter Hochdruck an einem neuen Schulgesetz arbeitet, um Inklusion auf breiter Front einzuführen, findet Nina Brattig als betroffene Mutter grundsätzlich gut. Doch für ihren eigenen Sohn will sie sich Zeit lassen mit der Entscheidung, ihn eventuell bei einer Regelschule anzumelden. Zu vieles an der aktuellen Entwicklung erscheint ihr noch zu vorläufig, zu provisorisch.

    "So wie das bis jetzt gehandhabt wird, würde ich das für ihn nicht befürworten, weil der mit einer Klassenstärke zwischen 25 und 30 Kinder und Lehrern, die für diese Form von Handicap nicht ausgebildet sind, wäre er völlig überfordert. Wir lassen ihn zumindest im Moment bewusst auf der LB-Schule."

    Gerade die Lehrerausbildung, sagt Nina Brattig, sei im Hinblick auf die Inklusion derzeit noch völlig unzureichend. Ein Argument, dass die nordrhein-westfälische Schulministerin Sylvia Löhrmann kennt.

    "Was jetzt ansteht – die Gesetzgebung im Lichte der UN-Behindertenrechtskonvention zu vollziehen – erfordert einerseits klare Rahmensetzungen auf Landesebene, erfordert aber dann natürlich eine Ausgestaltung vor Ort und erfordert begleitende Maßnahmen. Weil Schulreformen im Grunde nur dann erfolgreich gestaltet werden, wenn eine Art Change-Management auch stattfindet. Und was wir versucht haben, ist, auch ohne neues Gesetz, den Prozess jetzt schon zu systematisieren. Mit verschiedenen Elementen: Zum einen mit einem Erlass, der möglichst jetzt schon – wo immer möglich – gemeinsames Lernen, Elternwunsch-Berücksichtigung vorsieht. Daneben Nachqualifizierung, um den Mangel an Sonderpädagoginnen und Sonderpädagogen zu beheben mit Qualifizierungsmaßnahmen. Und wir haben eben auch zusätzliche Lehrerstellenressource geschaffen, um deutlich zu machen: Wir investieren hier auch in diesen Prozess."

    Natürlich, sagt Sylvia Löhrmann, gebe es Ängste und Vorbehalte gegen die Idee der Inklusion, schließlich seien damit langfristig spürbare Änderungen im Schulalltag für alle Beteiligten verbunden. Doch diese Vorbehalte, sagt die grüne Schulministerin, könne man mit drei Strategien auffangen: Fortbildungen für alle Lehrerinnen und Lehrer, mit zusätzlichen Fachkräften für die Schulen und mit dem Verweis auf Einrichtungen, in denen bereits jetzt inklusiver Unterricht erfolgreich gelebt wird. Schwierig sei allerdings die Übergangsphase, in der Inklusion erst noch zur Normalität werden muss – für die Schulen, aber auch für die Schulträger, also die Städte.

    "Es gibt ein Problem: Nämlich, dass die Kommunen im Moment – und auch mit Billigung der Schulaufsicht, das ist gar kein Vorwurf – zu sehr Einzel-Integration machen. Dadurch können wir natürlich schlechter die Zusatz-Ressourcen gebündelt zur Verfügung stellen."

    Das neue Schulgesetz soll hier die Rahmenbedingungen verbessern. Doch weil Land und Kommunen sich über die Verteilung der anfallenden Kosten bisher nicht einigen konnten, wurde das neue Gesetz vertagt - auf den Schuljahresbeginn im Sommer 2014. Dass die Verhandlungen darüber nicht vorankommen, findet Walter Thomann nicht weiter verwunderlich. Der Schulforscher, der lange im Bereich der Lehrer-Aus- und Weiterbildung an der Uni Wuppertal gearbeitet hat, ist in der Landespolitik für die FDP aktiv. Inklusion per Verordnung ist für Thomann der falsche Weg.

    "Nein. Das kann nicht funktionieren. Denn die Politik kann keine Schule machen. Und sie kann auch keine Inklusion machen. Und ich denke, gerade die Inklusion ist ein Gebiet, das greift so tief in die Einstellungen um Schule hinein, dass man ganz vorsichtig mit Gesetzgebungsverfahren oder Verordnungen sein muss, sondern ganz einfach mal an der Praxis vor Ort feststellen muss: Wie können wir uns als Schule, Schule vor Ort, für alle Kinder öffnen?"

    Inhaltlich, sagt Walter Thomann, liege er mit Schulministerin Sylvia Löhrmann gar nicht so weit auseinander. Nur bei der richtigen politischen Strategie gebe es unterschiedliche Vorstellungen.

    "Inklusion ist eigentlich Menschenrecht. Das heißt, wir brauchen Schulen für alle Kinder. Und wir haben im 19. Jahrhundert in Deutschland Schulen nicht für alle Kinder entwickelt, sondern für bestimmte Stände, für bestimmte vorgegebene Begabungen oder Ideen, die wir hatten. Und heute, die Bundesregierung ist dieser Konvention ja beigetreten, soll die Schule für alle Kinder sein. Das heißt: Wir müssen eigentlich Schule heute neu erfinden. Aber der Weg muss von der Schule, die vor Ort Inklusion machen will, ausgehen und nicht von oben mit irgendeiner Verordnung. Ich glaube, das aktuelle Schulgesetz ist frei für solche Dinge."

    Überlegungen, denen sich durchaus auch Sylvia Löhrmann anschließen kann.

    "Ich habe das Gefühl, dass Eines ganz wichtig ist – aber das kann ein Gesetz nicht: Für die Menschen begehbare Orte zu schaffen, um deutlich zu machen: das ist kein Nachteil, sondern das ist ein Vorteil für so viele. Für die Kinder mit Handicap, die dazugehören; für die anderen Kinder, die auf einmal neu herausgefordert sind und auch ganz viel Neues lernen; und es ist nichts, wovor man Angst haben muss. Und trotzdem müssen wir natürlich die Ängste, die vielerorts da sind, aus unterschiedlichen Zielperspektiven, auch ernst nehmen. Also ein herausfordernder Prozess."

    Lesung: "Du gehörst nicht hierher, sagten alle. Du bist nicht wie wir. Du bist irgendwie anders."

    Schon länger als die Politiker im Rheinisch-Bergischen Kreis denkt Marita Bahr über das Thema Inklusion nach. Sie ist Direktorin des Städtischen Gymnasiums in Wermelskirchen, der nördlichsten Kreisstadt in Rhein-Berg – und in einer ganz anderen Situation als ihr Kollege Thomas Giebisch in der Großstadt Remscheid. Während dort bereits mit einer Inklusionsklasse geplant wird, hat Marita Bahr im ländlichen Wermelskirchen kaum feste Anhaltspunkte. Zwar befasst sich ihre Schule seit drei Jahren mit der möglichen Inklusion, doch was genau auf die Lehrerinnen und Lehrer und auf den Schulträger zukommt, ist noch völlig unklar, sagt die Direktorin.

    "Nehmen wir die Körperbehinderungen. Dann muss der Schulträger oder der Landschaftsverband oder wie auch immer die räumlichen Voraussetzungen schaffen, seien es jetzt breitere Türen zu den Toiletten, seien es Treppenlifte und so weiter, oder Aufzüge, Barrierefreiheit ganz einfach – bis hin zu der Frage: Brauchen wir Rückzugsräume? Ein schwerst mehrfach behindertes Kind muss eventuell zwischendurch gewickelt werden. Wer macht das? Gibt es da wirklich das Personal? Insofern lässt sich natürlich nicht wirklich vorbereiten. Denn wenn jetzt jede Kommune, jede Schule sich auf jede Art des Förderbedarfs oder des Unterstützungsbedarfs vorbereiten würde – und da ist vielleicht dann ein Kind: Dann stellt sich ja irgendwo auch die Frage der Verhältnismäßigkeit."

    Doch solange in der Stadt und beim Kreis keine konkreten Entscheidungen getroffen worden sind, bleibt die Vorbereitung am Wermelskirchener Gymnasium rein theoretisch – und damit zwangsläufig auch unkonkret. Eines immerhin ist klar, auch aus dem Erfahrungsaustausch mit anderen Schulen heraus: Inklusiven Unterricht kann es nur mit einer zweiten Lehrkraft in der Klasse geben, sagt Marita Bahr.

    "Wenn diese zweite Person da ist, dann brauchen wir vielleicht in Zukunft gar nicht mehr so darüber zu diskutieren, wer ist denn jetzt lernschwach und wer nicht? Dann kann diese zweite Person immer da unterstützen, wo Kinder – egal ob mit Unterstützungsbedarf oder ohne – unterstützt werden müssen und eine Hilfe bekommen. Dann stell’ ich mir da eine ganz tolle gemeinsame Lernatmosphäre vor, wo alle enorm von profitieren."

    Und dann, sagt die Schuldirektorin, gebe es ja auch noch die Frage der Unterrichtsziele. Bisher werden Kinder am Gymnasium auf’s Abitur vorbereitet – doch wenn es zukünftig auch Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf gibt, werde diese bisherige Zielgleichheit durch eine neue Zieldifferenzierung ersetzt. Das aber, findet Marita Bahr, könnte vielleicht der Anstoß sein für eine schulpolitische Diskussion, die für Nordrhein-Westfalen gar nicht so neu wäre.

    "Ich kann mir dann vorstellen, dass eine Schulstrukturdebatte wirklich noch einmal neu aufgerollt werden muss oder dass man, ohne dass Diskriminierung vorgeworfen wird, bestimmte Schulformen außen vor hält, weil sie diese verschiedenen Ansprüche von Gesetzes wegen gar nicht erfüllen kann. Das müsste man genauer überprüfen. Oder ob man einen Weg geht, der schon einmal in den 70er-, 80er-Jahren angelegt war, nicht nur die Schulstruktur, sondern auch das System des Klassenverbands, der Fächertrennung und so weiter aufzulösen und viel mehr integrierte Unterrichtsformen zu nutzen, wo sich die Fragen ganz neu stellen: Die Fragen der Betreuung, die Fragen der Leistungsbewertung ganz anders stellen – wo wir dann allerdings auch ein ganz anderes System der Leistungsbewertung bräuchten."

    Die Inklusion also als Chance, über Schulen und Schulformen, Unterricht und Noten noch einmal ganz neu nachzudenken – das klingt fast so wie bei Schulforscher Walter Thomann, der ja gefordert hatte, Schule neu zu erfinden.

    Frau: "Du bist nicht wie ich. Aber das ist mir egal. Wenn Du Lust hast, kannst Du bei mir bleiben. Und das Etwas hatte Lust."

    Nicht nur im Kreistag des Rheinisch-Bergischen Kreises, auch in allen anderen Kommunen und Kreisen ist die Inklusion derzeit eines der wichtigsten kommunalpolitischen Themen. Klar ist: Das neue Schulgesetz wird kommen, an der Inklusion führt bundesweit kein Weg vorbei. Doch diese finanzielle Herausforderung bereitet vielen Kämmerern schlaflose Nächte, hat Wolfgang Sinkwitz beobachtet, Vorsitzender der Stadtschulpflegschaft in Solingen.

    "Die Kommunen selbst stehen ja auch teils unter einem Haushaltssicherungskonzept teilweise, wo sie auch jeden Cent umdrehen müssen, um den dann auszugeben oder aber nicht. Die Kommunen selbst können das nicht stemmen, das ist vollkommen ausgeschlossen. Das heißt, eigentlich müsste das Land viel mehr dazutun und die Länder sind auch überschuldet. Wir werden da sicherlich ein Problem kriegen."

    Die Finanzfrage ist allerdings nur ein Aspekt. Zusätzlich, sagt Wolfgang Sinkwitz, gehe es auch um die Akzeptanz von inklusiven Schulangeboten – auf allen Seiten.

    "Wir sind in der Inklusionsdebatte ja schon einen ganz weiten Schritt vorwärts gekommen. Vor über zwei Jahren haben wir das hier in Solingen schon diskutiert mit unserer Schulministerin und haben immer wieder auch gesagt, die Idee der Inklusion muss ganz kleinschrittig runtergebrochen werden auf das, was in der Schule nachher passiert. Das muss vom Schulkonzept her der einzelnen Schulen, die inklusiv beschulen, muss das mehr transportiert werden. Das können sich die Eltern noch nicht vorstellen, wie das nachher vor Ort aussehen soll. Und solange dieser Schritt nicht geleistet ist, habe ich die Befürchtung, dass Inklusion auch nicht gelebt wird."

    Doch Thomas Giebisch, der Schulleiter am Remscheider Leibniz-Gymnasium, ist zuversichtlich, dass er genau das zeigen kann: dass Inklusion schon heute möglich ist, unter den aktuellen Voraussetzungen und ganz ohne neues Schulgesetz. Wer sich engagiert, schafft das auch – das ist Giebischs Botschaft. Das heißt allerdings nicht, sagt Thomas Giebisch, dass damit die Landesregierung aus der Verantwortung entlassen wäre.

    "Von Seiten der Landesregierung würde ich mir deutlich mehr Unterstützung in einem Punkt wünschen, und zwar in den Klassengrößen. Wir haben eine Zusage der Landesregierung, dass die Klassengrößen an den Gymnasien alle schrittweise von 28 auf 25 reduziert werden. Ich würde mir wünschen, dass das für die Inklusionsklassen schon vorgezogen wird, denn eine Inklusionsklasse mit 28 Kindern erscheint mir undenkbar. Da müssten wir Zahlen haben, die sich im kleinen 20er-Bereich befinden."

    Bei den Eltern jedenfalls stößt das Remscheider Leibniz-Gymnasium mit seinen Inklusions-Ideen auf breite Resonanz: Bei einer Umfrage äußerten zwei Drittel der Eltern den Wunsch, dass ihre nichtbehinderten Kinder einen Platz in einer Inklusionsklasse bekommen.

    Lesung: "Seitdem hatte Irgendwie Anders einen Freund. Sie lächelten und sie sagten: 'Hallo!' Sie spielten das Lieblingsspiel des anderen – jedenfalls probierten sie es. Sie malten zusammen Bilder, sie aßen zusammen. Sie waren verschieden, sie vertrugen sich. Und wenn einmal jemand an die Tür klopfte, der wirklich sehr merkwürdig aussah, sagten sie nicht 'Du bist nicht wie wir' oder 'Du gehörst nicht dazu', sie rückten einfach ein bisschen zusammen."