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Inklusion in Europa
Viele Ideen, wenig Konzept

Seit 2005 gibt es einen Runden Tisch zur sonderpädagogischen Förderung und Inklusion in Schulen. Das internationale Expertentreffen aller deutschsprachigen Länder soll helfen, das gemeinsame Lernen von behinderten und nichtbehinderten Kindern zu erleichtern. Doch auch nach zehn Jahren bleibt in Sachen Inklusion noch viel zu tun.

Von Uli Wittstock |
    Schüler im Klassenzimmer einer Grundschule in Wiesbaden
    Während in Deutschland und in Österreich inzwischen ziemlich selbstverständlich der Begriff Inklusion verwendet wird, zeigt man in der Schweiz sich in dieser Frage etwas zurückhaltender. (imago / MIchael Schick)
    Die Stimmung erinnert an ein Klassentreffen, denn die hier zusammenkommen kennen sich schon seit Jahren. In Jahr 2009 wurde die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vorgelegt und mit ihrer Unterschrift verpflichteten sich die Mitgliedsstaaten auch dazu, im Bildungsbereich für eine Teilhabe von Menschen mit Behinderungen zu sorgen.
    Seitdem befinden sich die Bildungslandschaften im Umbruch. Allerdings sind die Konzepte äußerst unterschiedlich. Um sich auszutauschen und voneinander zu lernen, gründete sich vor zehn Jahren eine Art Runder Tisch zum Thema Inklusion, offen für alle deutschsprachigen Länder. Zu den Initiatorinnen gehört Domenika Raditsch vom österreichischen Schulministerium:
    "Es geht ja nicht nur um den Austausch von Informationen, es geht um Anregungen von allen Ländern an alle Länder, die uns dann in der Umsetzung der Bildungspolitik hilfreich sind. Man muss auch ein bisschen über den Tellerrand schauen, um eigene Politik aus gut umzusetzen."
    Eine Frage der Definition
    Österreich ist eigentlich Vorreiter beim Thema, denn bereits seit 1993 gibt es Bemühungen, ein gemeinsames Lernen aller Schüler zu organisieren.
    Doch die Unterschiede bei den Ländern gehen schon mit den Begrifflichkeiten los. Während in Deutschland und in Österreich inzwischen ziemlich selbstverständlich der Begriff Inklusion verwendet wird, zeigt man in der Schweiz sich in dieser Frage etwas zurückhaltender. Alexandra Schubert, Integrationsbeauftragte aus dem Kanton Aargau:
    "Wir verwenden eher den Begriff der Integration als den der Inklusion, nicht weil wir Integration bevorzugen, sondern weil wir meinen, Inklusion ist ein sehr hohes Ziel und wollen nicht etwas schon als Inklusion benennen, das noch nicht aus unserer Sicht inklusiv ist. Die Integration wird aber überall sehr vorangetrieben mit verschiedenen Konzepten."
    In der Schweiz sind inzwischen die sogenannten Sonderklassen aufgelöst worden, in einem weiteren Schritt werden jetzt Kinder mit einem besonderen Betreuungsbedarf integriert.
    Streit der Experten
    Doch wie ist die bessere Teilhabe konkret zu organisieren? Darüber gehen die Meinungen auch unter den Fachleuten weit auseinander. Bayern zum Beispiel hat in gewisser Weise einen deutschen Sonderweg eingeschlagen. Das Konzept der Förder- und Sonderschulen wird zwar modifiziert, doch wird Inklusion in Bayern anders definiert als etwa in Sachsen-Anhalt. Erich Weigel vom Bayerischen Staatsministerium für Bildung und Kultus:
    "Die unterschiedlichen Strukturen verlangen unterschiedliche Antworten. In der Bundesrepublik will man immer alles vereinheitlichen, und Bayer geht einen eigenen Weg bei der Inklusion mit diesem Motto: Inklusion durch eine Vielfalt schulischer Angebote. Diese Vielfalt ist manchmal anstrengend, aber sehr hilfreich, um für das einzelne Kind den entsprechenden Förderort zu finden."
    Positive Bilanz trotz Startschwierigkeiten
    Eröffnet wurde die heutige Tagung von Sachsen-Anhalts Kultusminister Stefan Dorgerloh. Aus seiner Sicht ist das Thema Inklusion inzwischen im Schulalltag angekommen, auch wenn es anfängliche Startschwierigkeiten gab. Lehrer und Eltern fühlten sich mit dem Thema zunächst durchaus überfordert. Dennoch zieht Dorgerloh eine positive Bilanz:
    "Wir sind in den letzten Jahren erheblich Schritte vorangekommen. 2010 haben wir das Landeskonzept verabschiedet, danach arbeiten wir und haben es geschafft, die Zahl der Kinder im gemeinsamen Unterricht kontinuierlich zu erhöhen. Wir sind jetzt bei 34 Prozent und jedes Jahr kommen so zwischen vier und sechs Prozent dazu."
    Im Bundesvergleich liegt Sachsen-Anhalt mit dieser Zahl allerdings im hinteren Drittel. Aber es gehe nicht Schnelligkeit, so Dorgerloh, sondern um eine neue Schulqualität und das für alle Beteiligten.
    Über ein Thema wird auf dem Treffen allerdings eher seltener geredet, übers Geld. So mancher befürchtet ja, die Inklusion werde auch deshalb vorangetrieben, um Kosten durch die vergleichsweise teure Sonderbeschulung zu sparen. Sachsen-Anhalts Kultusminister rät zu einer differenzierteren Sicht:
    "Wir haben einige Förderschulen, die wir jetzt vom Netz nehmen konnten, die fusioniert haben. Aber, das ist auch richtig, Inklusion gibt es nicht zum Nulltarif. Und deswegen brauchen wir multiprofessionelle Teams an den Schulen, sodass es nicht nur den klassischen Fachlehrer gibt, sondern wo es die Förderpädagogik gibt, wo es Schulsozialarbeit gibt, wo es pädagogische Mitarbeiter gibt, die dann zusammen auch diese inklusive Schulgemeinschaft sind."
    Weitere zehn bis fünfzehn Jahre werde es dauern, bis der Prozess der Inklusion abgeschlossen sein wird, so die Schätzung von Sachsen-Anhalts Kultusminister. Und mindestens genauso lange wird wohl der Diskussionsbedarf anhalten.