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Inklusion in NRW
"Wir brauchen einen Masterplan"

Vor vier Jahren hatte die Rot-grüne Regierung in Nordrhein-Westfalen den Prozess der Inklusion auf den Weg gebracht - also das gemeinsame Lernen von Schülern mit und ohne Behinderung. Die neue Schwarz-gelbe Regierung hat nun eine Verordnung gestoppt. Das sei "nicht sinnvoll", findet das Dorothea Schäfer von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Dorothea Schäfer im Gespräch mit Benedikt Schulz |
    Ein Rollstuhl steht am 09.10.2014 in Stuttgart (Baden-Württemberg) im Klassenzimmer einer Gemeinschaftsschule.
    Schüler mit und ohne Behinderung sollen in NRW an Regelschulen gemeinsam lernen - Förderschulen sollten deshalb sukkezzive geschlossen werden. (dpa / Inga Kjer)
    Benedikt Schulz: Die Idee hinter Inklusion ist ja gleichberechtigte Teilnahme am Unterricht für alle. Und damit würden die Förderschulen theoretisch größtenteils hinfällig – aber natürlich nur theoretisch. Denn in der Praxis müsste die Zahl der Sonderpädagogen an den Regelschulen dramatisch erhöht werden, um diese Zusatzaufgabe überhaupt schultern zu können. In Nordrhein-Westfalen galt bislang eine Mindestgrößenverordnung für Förderschulen. Also, wenn zu wenige Schüler da sind, wird die Schule abgewickelt und geschlossen.
    Diese Verordnung hat Schwarz-Gelb nun gestoppt fürs Erste. Kritik an den Plänen von Schwarz-Gelb kommt von der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Landesvorsitzende in Nordrhein-Westfalen ist Dorothea Schäfer. Ich habe sie gefragt: Was passt ihr an den Plänen nicht?
    Dorothea Schäfer: Für uns sind die überhaupt nicht unterfüttert mit entsprechenden Ressourcen, das ist das eine. Wenn ich die Förderschulen in dem Maße aufrechterhalte, wie sie jetzt sind, auch wenn weniger Schülerinnen und Schüler dort hingehen, weil die Eltern ihre Kinder woanders anmelden, dann brauche ich sehr viel mehr Ressourcen, um quasi beide Systeme gut zu versorgen.
    Und in dem Beschluss, der gestern im Landtag gefasst worden ist, findet sich zwar die Ankündigung, diesen Mindestgrößenerlass entsprechend aufzuheben oder zu öffnen, aber es gibt keine Aussagen darüber, wie viele zusätzliche Stellen geschaffen werden sollen, um das überhaupt sinnvoll weiterführen zu können.
    "Es gibt auch Schüler, die in Förderschulen gut gefördert werden "
    Schulz: Das heißt aber, dass Sie grundsätzlich dafür sind, Förderschulen zu erhalten, ganz unabhängig von ihrer Größe und ihrer Schülerzahl?
    Schäfer: Also, das Prinzip in den letzten sieben oder fünf Jahren war ja, dass die Eltern die Wahlmöglichkeit haben. Und es ist auch tatsächlich so, dass durch eine Regelung in diesem Mindestgrößenerlass, dass Teilstandorte gebildet werden können, effektiv kaum Standorte wirklich weggefallen sind.
    Also, es sind jetzt acht Standorte weniger als zu Beginn des ganzen Prozesses und es ist klar, dass es das teuerste System ist, aber es gibt auch Schüler, die in Förderschulen gut gefördert werden, und die Eltern sollten eben die Wahlmöglichkeit haben. Aber der Trend geht ganz klar dahin, dass die Kinder eher in der Regel an den allgemeinen Grundschulen und den weiterführenden Schulen angemeldet werden. Und da stimmen die Bedingungen einfach nicht.
    Schulz: Was erwarten Sie denn jetzt für Folgen für die allgemeinen Regelschulen, die jetzt schon inklusiv arbeiten?
    Schäfer: Zu befürchten ist, dass die Bedingungen, die auch schon vorher nicht gut waren, jetzt noch schlechter werden, wenn die Sonderpädagogen, die inzwischen an Regelschulen versetzt sind oder dorthin abgeordnet sind, wenn die zurückbeordert werden, um die Förderschulen, die eigentlich schon auslaufend gestellt waren, wieder ins Leben zu rufen. Und das wird zu einem ganz großen Chaos führen, weil wir schon vorher als GEW kritisiert haben, dass die personelle Unterstützung des gesamten Inklusionsprozesses nicht ausreichend war.
    "Einige gute Maßnahmen sind schon ergriffen worden, das dauert aber dann etwas"
    Schulz: Ja, eigentlich entscheidet sich ja die Inklusion oder ihr Erfolg – haben Sie jetzt gesagt – weniger an der Frage "Förderschule oder nicht", sondern "Sonderpädagoge oder nicht". Warum ist das denn so schwer, dass die Zahl der Sonderpädagogen erhöht wird, und zwar drastisch erhöht wird? Das wissen ja eigentlich alle, dass das notwendig ist!
    Schäfer: Ja, einige gute Maßnahmen sind ja schon ergriffen worden, das dauert aber dann etwas. Also, die Zahl der Studienplätze zum Beispiel ist in den letzten fünf Jahren an den Universitäten in Nordrhein-Westfalen erhöht worden. Bis die Studierenden dann fertig sind, wissen Sie, die brauchen fünf Jahre mit dem Studium, dann noch anderthalb Jahre Referendariat, es ist auch ein Programm aufgelegt worden, Grundschullehrkräften, die schon im gemeinsamen Lernen arbeiten, eine berufsbegleitende Qualifizierung für das Lehramt anzubieten, das müsste weiter ausgebaut werden.
    Und ansonsten könnte man auch durch zusätzliche Einstellung von Schulsozialarbeitern, von Schulpsychologen, die diese sogenannten multiprofessionellen Teams, von denen immer die Rede ist, die aber personell einfach noch nicht wirklich vorhanden sind, wirklich die auch an den Start zu bringen.
    "Wir sehen nicht, dass sich die Bedingungen für Förderschulen jetzt verbessert"
    Schulz: Jetzt hat die neue Schulministerin Yvonne Gebauer von der FDP gesagt, dass die Regierung an der Inklusion festhalten will, aber die rot-grüne Vorgängerregierung habe die Schulen mit gemeinsamem Unterricht von Kindern mit und ohne Behinderung überfordert. Da stimmen Sie ja vermutlich zu?
    Schäfer: Zu dem Letzten stimme ich zu. Die Steuerung ist nicht gut gewesen, das sogenannte Stellenbudget für die Förderbedarfe Lernen, emotionale, soziale Entwicklung und Sprache war zu niedrig angesetzt durch dieses Doppelsystem. Also, die Förderschulen wurden zunächst versorgt mit Lehrerinnen- und Lehrerstellen, dann die Grundschulen und dann die weiterführenden Schulen. Und alles, was im Modellversuch Gemeinsamer Unterricht in NRW in vielen Jahren sich sehr positiv entwickelt hatte, das waren so Schulen, die dann auch als Beispiel immer bei Veranstaltungen aufgetreten sind und gesagt haben: Gemeinsamer Unterricht, gemeinsames Lernen von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, das funktioniert.
    Das hatte eben Konzepte zur Grundlage, die dann nicht in die Fläche gehen konnten, weil die Ressourcen nicht ausreichend waren. Und davon ist jetzt auch in dem Beschluss von gestern nicht die Rede, dass jetzt die Ausstattung besser werden soll. Also, die Wahlmöglichkeit der Eltern soll bestmöglich respektiert werden, das ist aber nichts Neues, die Wahlmöglichkeit gab es bis jetzt auch, im Schulgesetz so festgehalten. Also, wir sehen nicht, dass sich damit jetzt die Situation in den Schulen und auch nicht in den Förderschulen – also, die haben auch ja schlechtere Bedingungen, als sie vorher hatten –, dass sich das jetzt verbessert.
    Schulz: Das heißt, Sie plädieren jetzt dafür, sich für ein System gefälligst mal zu entscheiden?
    Schäfer: Na ja, wir brauchen vor allen Dingen einen, ja … wir haben gesagt, so was wie einen Masterplan für Förderschulen und für die Regelschulen. Es kann auch nicht sein, dass es nur eine Schulentwicklung im Blick auf die Förderschulen gibt, sondern es muss eine Schulentwicklungsplanung geben, die den Gedanken der UN-Konventionen zum gemeinsamen Lernen von Kindern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf umsetzt.
    Schulz: Sagt Dorothea Schäfer, Landesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft in Nordrhein-Westfalen, zum Thema Inklusion und Förderschulen. Frau Schäfer, vielen herzlichen Dank!
    Schäfer: Gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.