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Inklusion
Von der Behinderten-Werkstatt in die Hotelküche

Schichtwechsel in Berlin: Einen Tag lang tauschen Beschäftigte aus Werkstätten für behinderte Menschen ihren Arbeitsplatz mit Mitarbeitern aus dem regulären Arbeitsmarkt. Eine ungewohnte, aber interessante Erfahrung - für alle Beteiligten.

Von Anja Nehls | 25.10.2019
Ein Koch bei der Arbeit in einer Restaurantkueche, 26.07.2017, Schlepzig.
In der Gastronomie kann es im ersten Arbeitsmarkt stressig werden (imago / photothek / Inga Kjer)
Benjamin Balz hat zu tun. In der Küche des Hotels Upstalsboom in Berlin Friedrichshain ist er zwischen Töpfen und Pfannen, Fleisch, Fisch und Salaten heute der Neue:
"Also ich bin heute früh hier angekommen und habe dann gleich mit dem Küchenchef alles vorbereitet, erstmal Salate geschnitten und dann Fisch vorbereitet und Sachen gemacht, die ich teilweise nicht so oft mache, das hat mir Spaß gemacht. Also Fisch machen wir auch schon oft, aber den Fisch so zubereiten und die Gräten auseinandernehmen, das habe ich noch nicht gemacht und das war schon interessant und nicht so einfach."
Normalerweise arbeitet der 33-Jährige in der Küche einer Schule, die von der USE, Union sozialer Einrichtungen, bewirtschaftet wird. Die USE betreibt eine von 17 Werkstätten für Behinderte in Berlin, in diesem Fall für Menschen mit psychischen Erkrankungen, erklärt Ursula Laumann von der USE:
"Das sind meistens Menschen, die diese Krankheit im Laufe ihres Lebens ereilt, also eine Depression, Psychose, eine Schizophrenie. Es geht um diese Erfahrung zu sehen, wie könnte es sein auf dem ersten Arbeitsmarkt zu arbeiten und zum anderen ist uns dabei auch ganz wichtig, dass die Unternehmen sehen, was Menschen mit Behinderung eigentlich leisten können und da die ersten Vorbehalte durch Begegnung zu minimieren, dass die sich wirklich vorstellen können auch einen Menschen mit Behinderung einzustellen."
Stress und Belastung im ersten Arbeitsmarkt
Mit dem Schichtwechsel können nun beide Seiten ausprobieren, wie sich der erste Arbeitsmarkt anfühlt. Benjamin Balz hat aber bereits erkannt, dass der Job im Hotel stressiger sein kann als seiner im geschützteren Rahmen bei der USE:
"Dass man wirklich hier hintereinander weg arbeiten muss. Bei uns ist es so, dass man die Möglichkeiten hat, sich mal zehn Minuten zurückzuziehen und zu sagen, ne, ich möchte im Moment nicht und hier geht das glaube ich nicht. Wenn hier volles Haus ist, kann man nicht einfach sagen, ich will nicht mehr, ich glaube das geht hier nicht."
Eine Sehbehinderte an ihrem Arbeitsplatz
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Sein Chef für den einen Tag im Hotel Uptalsbloom ist Thomas König – und der ist mit seinem neuen Mitarbeiter mehr als zufrieden:
"Super. Also wirklich vom fachlichen her würde ich sagen, gute Kenntnisse und man kann mit ihm gut zusammenarbeiten. Er wird nachher einen Graupensalat zubereiten nach seiner Kreation, er macht ja oft Salate und stellt die auch zusammen und da bin ich mal gespannt, was er sich da einfallen lässt."
"Ich machen immer gerne neue Salate, ich mag nicht immer dieselben Sachen, ein bisschen Abwechslung mag ich gerne haben und ein paar neue Sachen reinschmeißen, mal sehen ob das was wird", sagt Balz.
"Dann werde ich das Rezept übernehmen", erwiedert König.
Eine willkommene Hilfe ist Benjamin Balz also allemal – denn Carsten Leusser, einer der fünf Köche des Hotels fehlt. Er kocht im Austausch ein paar Kilometer weiter, in der Kantine des Roten Rathauses in Berlin, die ebenfalls von der USG betrieben wird. Für ihn eine ungewohnte Herausforderung:
"Na die Gerätschaften, in denen gekocht wird und die Mengen sind größer. Ich muss zum Beispiel Gemüse schneiden, ich muss das blanchieren, vorbereiten, aus den verschiedenen Gemüsen dann ein Mischgemüse machen."
Mehr Rücksicht in Werkstätten für behinderte Menschen
Auf der Karte steht heute zum Beispiel Rindergeschnetzeltes Stroganoff mit Reis, Hackbraten mit Marktgemüse und Kartoffeln oder Rosenkohl in Pilzsauce. Dass von den 20 Mitarbeitern hier ungefähr die Hälfte eine psychische Behinderung haben, sei ihm bisher gar nicht aufgefallen, sagt Carsten Leusser. Aber hier werde eben auch ganz unauffällig auf diese Beschäftigten ein bisschen Rücksicht genommen, sagt Küchenchefin Sabine Arlt:
"Wenn das jetzt ganz viel wird, ganz laut wird, dann sind wir an der Vorderfront und dann ziehen wir die anderen ein bisschen zurück. Unsere Beschäftigten mehr nach hinten und wir mehr nach vorne. Ausgabe machen nur wir, wir haben hier 450 Mittagessen in anderthalb Stunden, da steht dann keiner von den Beschäftigten und an der Kasse auch nicht."
Für Carsten Leusser ist die Organisation der Arbeit mit diesen speziellen Beschäftigten eine neue Erfahrung. Umgekehrt könne man aber auch vom erfahrenen Hotelkoch noch etwas lernen, hofft Sabine Arlt:
"Wir sind ja schon lange im Unternehmen, so lange hier drinnen, dass man schon im eigenen Saft kocht und dann einer von außen kommt und sagt, könntet ihr doch auch so. Schauen wir mal am Ende des Tages."
Und dann hätte der Schichtwechsel wirklich für alle Seiten etwas gebracht.