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Inmitten dieser Welt der Zerstörung. Briefwechsel mit Rudolf Schlichter, Ernst Niekisch und Gerhard Nebel

"Inmitten dieser Welt der Zerstörung" haben die Herausgeber Ulrich Fröschle und Volker Haase diese Ausgabe genannt, weil sich die Korrespondenz auf die Zeit von der Schlussphase des 2. Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten beschränkt. Aber diese kurze Zeitspanne von Friedrich Georg Jüngers Briefwechsel mit Schlichter, Niekisch und Nebel hat ihre Gründe und Abgründe. Im Fall von Ernst Niekisch etwa sind fast alle früheren, bis in die späten 20er Jahre zurückgehenden Briefe beider vernichtet worden, nachdem er im März 1937 verhaftet worden war. Sein 1932 erschienenes Buch "Hitler - Ein deutsches Verhängnis" war eine schwere Provokation gewesen, und dafür hatte bis 1945 im Zuchthaus Brandenburg gesessen, wo er - fast erblindet und teilweise gelähmt - erst von der Roten Armee befreit worden war.

Uwe Pralle |
    Beide Jünger-Brüder hatten ihre Briefwechsel mit Niekisch vernichtet, weil die politische Affinität zu ihm sehr groß und mit seiner Verhaftung auch gefährlich geworden war. Deshalb setzt die Korrepondenz mit Niekisch - bis auf drei erhaltene Briefabschriften aus den 30er Jahren - hier erst ein, als Friedrich Georg Jünger 1946 dessen Berliner Adresse herausgefunden hatte. Die eher seltsame Seite - und zwar aller drei Briefwechsel in dieser Ausgabe - ist dann allerdings, wie schnell sie nach recht kurzer Zeit wieder abgebrochen sind. So hörte die 1947 begonnene Korrespondenz mit Gerhard Nebel schon im Sommer 1949 plötzlich wieder auf, und auch der Briefwechsel mit Niekisch war - bis auf einen einzigen Brief aus den 50er Jahren - Anfang 1948 zuende.

    Schon diese Chronologie deutet an, dass diese Korrespondenzen aus der sogenannten Stunde Null für Friedrich Georg Jünger wohl nur ein Intermezzo dargestellt haben, und vielleicht sogar kein sonderlich erfreuliches. Gerade der Briefwechsel mit Niekisch zeigt, dass die alten Bindungen aus den nationalistischen und demokratiefeindlichen Kreisen der Weimarer Zeit für Friedrich Georg Jünger nach dem 2. Weltkrieg offenbar überlebt waren. Sicher, manchmal flackert auch bei ihm noch der antidemokratische Furor von früher wieder auf, wenn es etwa um die Lage unter alliierter Besatzung geht. "Die Demokratie befriedigt nur noch ideologische Bedürfnisse, denn wir leben in dem perfekt gewordenen Polizeistaat, der bis ins Kleinste das regelt, was nicht vorhanden ist", schrieb er 1947 einmal an Nebel; das ist, so kurz nach der Zerschlagung der Nazi-Diktatur, ein recht merkwürdiger und auch weltfremder Befund.

    Andererseits gibt es in den Briefdebatten mit dem verbitterten Niekisch über seine alten politischen Konzepte etwa der deutschen Ostorientierung oder einer anzustrebenden Planwirtschaft aber auch andere Töne. Ebenfalls 1947 schrieb er ihm über ihre politischen Dispute: "Vielleicht erzählen wir uns beide Märchen; das wäre nicht einmal so übel. Vielleicht unterschätzen wir auch die deutschen Möglichkeiten. Das besiegte Deutschland gefällt mir manchmal besser als ein siegreiches. Wir sind ein Modell, insbesondere in der Armut; die anderen werden sich danach zu richten haben." Angesichts des späteren bundesrepublikanischen Wirtschaftswunders steht zwar auch diese Diagnose eher auf wackeligen Füssen, aber gegenüber der politischen Verbissenheit von Niekisch wirken solche Bemerkungen Jüngers ziemlich distanziert und vor allem spürbar entkrampfter. Ohnehin erwecken seine Briefe oft den Eindruck, als seien die früher so schrillen Töne der einstigen Gegner des Weimarer "Systems" für ihn nur noch hohle Nachklänge einer untergegangenen Zeit; und so ist Ernst Niekisch für ihn damals ja auch sehr schnell zur anachronistischen Gestalt geworden.

    Sicher ist das Schauspiel nicht allzu erfreulich, gerade in den Briefwechseln mit den beiden alten Weggefährten Schlichter und Niekisch verfolgen zu müssen, wie nach kurzer Zeit schließlich nichts als Schweigen blieb. Man hatte sich unter den veränderten Verhältnissen nicht mehr viel zu sagen, weder politisch noch persönlich. Aber vielleicht ist das auch der Preis für solche früher vor allem ideologisch motivierte Freundschaften, wenn die Zeitläufte dazu zwingen, sich neuen Verhältnissen anzupassen.

    Immerhin wird in diesen Briefwechseln recht deutlich, wie sehr sich Friedrich Georg Jünger - darin seinem älteren Bruder auf eine jedoch unprätentiöse Weise gar nicht so unähnlich - in dieser Umbruchszeit ins Private und seine ästhetische Existenz in Überlingen am Bodensee zurückgezogen hatte. Ähnliches hatte er auch Rudolf Schlichter schon 1944 nahegelegt: "Für diese Übergangszeit aber rate ich Ihnen, wenn irgendeine Möglichkeit besteht: Ziehen Sie aufs Land, in den bayrischen Wald oder eine andere Einöde." Und es als Vorteil für derart wegtauchende Künstler bezeichnet, so nicht in die Lage zu kommen, "in die Regierungen geraten, wenn sie ihren Kredit verloren haben."

    Ein Gespür für rechtzeitige Rückzüge besaß also auch Friedrich Georg Jünger. Das Ergebnis davon macht allerdings diese Korrespondenzen in einer Hinsicht ziemlich enttäuschend. Sie finden dadurch nämlich nicht so sehr "inmitten dieser Welt der Zerstörung" statt, sondern allenfalls auf einem ferngelegenen Außenposten von ihr. Wenn Niekisch, der im zertrümmerten Berlin lebte, von dort nicht hin und wieder kurze Eindrücke notiert hätte, würden diese Briefwechsel so weltfern wirken, als sei es damals nur um intellektuelle Gedankenspiele gegangen. Wer also erwarten sollte, dass die Briefe ein scharfgeschliffenes Prisma dieser Zeit bieten, sei gewarnt. Zu finden sind hier höchstens Schnappschüsse von Haltungen, mit denen diese nationalistischen Intellektuellen der Zäsur von 1945 begegneten. Rudolf Schlichter hat mit einer kurzen Bemerkung nicht nur die Haltung Friedrich Georg Jüngers, sondern die Atmosphäre großer Teile dieser Korrespondenz einmal treffend gekennzeichnet, als er der bei den Deutschen vorherrschenden "Kamorra der Übersichtigen" attestierte: "sie schauen vornehm klassizistisch montiert von hoher Warte über störende Erscheinungen hinweg".