Um es vorweg zu nehmen: Die Redaktion der New York Times macht nicht den Eindruck einer Burg im Belagerungszustand. In den Grossraumbüros hoch über der Hektik von Midtown Manhattan herrscht konzentrierte Ruhe. Die Ressortchefs, die um 9.30 Uhr zur ersten der zwei täglichen Nachrichtenkonferenzen eintreffen, wirken entspannt, ja sogar gut gelaunt, einschliesslich des Chefredakteurs Dean Baquet, der nur durch ein gelegentliches Gähnen verrät, dass er gerade einen morgengräulichen Flug aus Texas hinter sich hat. Und doch herrscht eine Ausnahmesituation, die zum Normalzustand werden könnte.
Man muss bis zu Richard Nixon zurückschauen, um einen amerikanischen Präsidenten mit einer ähnlich starken Abneigung gegen die Presse zu finden wie Donald Trump. Neu sei bei ihm, wie offen und gezielt er kritische Berichterstatter angreife, sagt Michael Grynbaum, der Medienreporter der New York Times:
"Präsident Trump stellt die Glaubwürdigkeit der traditionellen Medienorganisationen an sich in Frage. Die Worte eines Präsidenten wiegen weit mehr als die eines Fernsehsprechers auf irgendeinem Kabelkanal, und sie tragen wesentlich dazu bei, das ohnehin schon bestehende Misstrauen vieler Amerikaner gegenüber der Presse zu verstärken."
Umfragen zufolge haben nur zwanzig Prozent der amerikanischen Bevölkerung völliges Vertrauen in die Medien. Hinzu komme die abschreckende Wirkung, die Donald Trumps zum Teil sehr persönlichen Verunglimpfungen auf manche Journalisten hätten:
"Mancher Journalist überlegt sich nun vielleicht zwei Mal, ob er einen kritischen Artikel über die Regierung wirklich publizieren soll und zögert, dem Präsidenten und seinem Kreis aggressiv nachzuspüren."
Medien verlieren ihre Vermittlerrolle
Bisher sind Fälle der Selbstzensur laut Grynbaum rar. Doch befürchtet er, dass Nachrichtenorgane, die nicht über die institutionellen Muskeln und die finanziellen Ressourcen einer New York Times verfügen, dem Druck auf Dauer nachgeben könnten. Ein weitere Herausforderung stellt auch für die New York Times Donald Trumps Twitter-Manie dar:
"Was immer der Präsident sagt, landet täglich direkt auf Ihrem Smartphone. Er hat keinen Filter, wenn er twittert. Daran mussten sich Journalisten erst gewöhnen. Twitter ist ein wichtiges Mittel für Trump, weil er damit die Vermittlerrolle, die die Presse bisher gespielt hat, umgehen und sich über ihre Köpfe hinaus direkt an die Öffentlichkeit wenden kann."
Mit anderen Worten: Donald Trump kann Behauptungen in die Welt setzen, die ihm seine Anhänger sofort als reine Wahrheit abkaufen, auch wenn Journalisten sie später als Lügen entlarven. Bei der New York Times begegnet man diesem Problem mit der Devise: Zusammenhang ist alles.
Dort nimmt man Donald Trumps Tweets nur auf, wenn sie als relevant erachtet werden oder derart haltlos sind, dass eine Korrektur nötig erscheint, etwa in der Form: "Donald Trump klagt Barack Obama ohne Beweis an, ihn bespitzelt zu haben."
Trumps manchmal mehr, manchmal weniger kalkulierte Manipulation der Medien birgt die Gefahr, dass die Diskussionen über die Träger der Informationen von den Informationen an sich ablenken – was wiederum ganz im Interesse der Trump-Regierung liegt. Das habe man durchaus realisiert, so Michael Grynbaum. Die Konsequenz: Wir sind nicht das Thema. Die Politiker und ihre Handlungen sind es.
Sie beherrschen denn auch die Nachrichtenkonferenz der New York Times. Washington ist zugeschaltet, und während dreissig der vierzig Minuten, die die Sitzung dauert, werden geplante Artikel über der Haushaltentwurf besprochen, Donald Trumps Verhältnis zu den Vereinten Nationen und zur NATO, sowie seine Alternative zu Obamacare.
Wenigstens an diesem Morgen unter diesen Journalisten gewinnt man den Eindruck, dass Michael Grynbaum allen düsteren Prognosen zum Trotz Recht hat.
"Reporters are more motivated than ever to both practice their craft and be assertive in holding the government to account."
Dass nämlich die amerikanische Presse im Augenblick motivierter denn je ist, ihre Aufgabe zu erfüllen und die gegenwärtige Regierung zur Rechenschaft zu ziehen.