Jeder Täter sei, selbst wenn er als "lonely wolf" agiert habe, sozialisiert, sagte Mathias Middelberg, innenpolitischer Sprecher der Unionsbundestagsfraktion, im Dlf. Das rechtsextreme Umfeld habe sicherlich zur Tat beigetragen.
Man müsse auf zwei Ebenen ansetzen, um Taten wie die in Hanau zu verhindern. "Das eine ist das Stichwort "gesellschaftlicher Dialog" - wie setzen wir uns politisch in diesem Land auseinander? Das ist die Frage der Verrohung, das ist die Frage, was findet im Internet statt, das ist das Thema "Hass". Und da ist vieles, ich sag das ganz deutlich, außer Kontrolle geraten." Dies sei die grundlegende Baustelle. Man könne sicherlich auch darüber nachdenken, Vorschriften im Waffenrecht zu verschärfen, doch dies werde am Ende, so Middelberg, nicht die Lösung des Problems sein.
Abgleich mit Erkenntnissen des Verfassungsschutzes
Die Vorschriften im Waffenrecht wurden bereits verschärft. Bei jeder Person, die eine Waffe besitzt oder erwerben will, wird mittlerweile überprüft, ob es Erkenntnisse beim Verfassungsschutz über sie gibt. "Das schließt einen großen Teil derer, die irgendwie problematisch werden können, aus." Es hätte aber bei dem Täter von Hanau, möglicherweise nicht zu dem Ergebnis geführt, ihn vom Waffenbesitz auszuschließen, wenn es keine Erkenntnisse gibt und er vorher nicht auffällig geworden sei. Dies müsse aber noch genau recherchiert werden, so Middelberg.
Dass der Täter von Hanau nicht bereits im Visier des Verfassungsschutzes stand, sei kein Zeichen dafür, dass bei Rechtsextremisten zu wenig hingeschaut werde. Denn "seit NSU hat sich eine Menge getan. Auch nach Walter Lübcke, auch nach der Tat in Halle haben wir beim Verfassungsschutz und beim Bundeskriminalamt personell aufgerüstet und wir haben auch nochmal gesetzlich eingegriffen. Es gibt jetzt spezielle Gefährdereinschätzungen." Zudem gäbe es auch eine Stärkung der Früherkennung im Internet.
Die AfD trage einen Beitrag dazu bei, den gesellschaftlichen Dialog weiter zu verrohen. "Wir bemühen immer so gerne den Satz mit der Menschenwürde im Grundgesetz, aber wir müssen uns mehr daran halten im Alltagsbetrieb, gerade im Internet - und das müssen wir mehr von allen einfordern."
Das Interview in voller Länge:
Christiane Kaess: Elf Opfer forderte das Blutbad von Hanau in der Nacht zum Donnerstag. Neun Menschen erschoss der mutmaßliche Täter, ein gebürtiger Hanauer, aus rassistischem Hass, ganz offenbar, heraus, danach seine Mutter und sich. Waffen besaß er legal, denn er war ein Sportschütze. Der Anschlag hat das Land aufgerüttelt. Wir können darüber jetzt sprechen mit Mathias Middelberg, er ist innenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag. Guten Morgen!
Mathias Middelberg: Guten Morgen!
Kaess: Bisher geht man davon aus, nach allem, was man weiß, dass der Täter allein handelte, aber kann man wirklich von einer Einzeltat sprechen, wenn man auch weiß, dass die Motivation zu der Tat offenbar aus einschlägigen Seiten und Netzwerken im Internet gekommen ist?
Middelberg: Also jeder Täter, selbst wenn er, ich sage mal, als lonely wolf unterwegs ist, ist in irgendeiner Weise sozialisiert. Also das Umfeld hat sicher zu dieser Tat beigetragen. Auch der, ich sage das mal, gesellschaftliche Dialog, wenn man das überhaupt so nennen kann, hat zu dieser Tat beigetragen.
Kaess: Der mutmaßliche Täter war Sportschütze. Das heißt, er hat seine Waffe legal besessen. Was muss jetzt passieren? Muss es auch für solche Leute überdacht werden, ob sie einen Waffenschein bekommen?
Middelberg: Ich würde ganz generell sagen, Entschuldigung, wenn ich da vielleicht ein bisschen ausweiche, aber ich würde ganz generell sagen, wir müssen auf zwei Ebenen ansetzen. Das eine ist dies Stichwort gesellschaftlicher Dialog. Wir setzen wir uns politisch in diesem Land auseinander. Das ist die Frage der Verrohung, das ist die Frage, was findet im Internet statt, da ist das Thema Hass. Da ist vieles, ich sage das ganz deutlich, außer Kontrolle geraten. Ich will nicht ausweichen, ich komme gleich auf die Frage mit den Waffen. Aber das scheint mir schon die grundlegende Baustelle zu sein. Wir können auch jetzt darüber nachdenken, ob wir noch ein, zwei Vorschriften im Waffenrecht noch weiter verschärfen, aber ich sage Ihnen ganz ehrlich, ich glaube, das wird am Ende nicht die Lösung des Problems sein. Ich will das überhaupt nicht an die Seite schieben, aber ich glaube, dass die Ursachen sehr viel tieferliegend sind, und wenn wir das nicht klar und deutlich ansprechen, dann reden wir an dem Thema vorbei.
"Haben das Waffenrecht gerade im Dezember letzten Jahres verschärft"
Kaess: Und, Herr Middelberg, über diese Sachen wollen wir genau auch noch sprechen, auch über die AfD und alles, was in diesem Zusammenhang jetzt diskutiert wird, aber lassen Sie uns gerade bitte noch bei den politischen Konsequenzen bleiben, die jetzt auch diskutiert werden. Also Verschärfung des Waffenrechts, sagen Sie, bringt da nichts?
Middelberg: Nein, das habe ich so nicht gesagt. Ich habe gesagt, wir überprüfen das, wir sehen uns das auch noch mal an, aber wir haben das Waffenrecht gerade im Dezember letzten Jahres verschärft, und wir haben zwei Regelungen hineingebracht, die genau dieses Thema betreffen, was uns beschäftigt, nämlich eine Regelabfrage beim Verfassungsschutz – das ist auch sehr umstritten gewesen –, wo wir bei jedem, der eine Waffe besitzt und bei jedem, der eine Waffe neu erwerben will, überprüfen, gibt es über ihn Erkenntnisse beim Verfassungsschutz. Das schließt einen großen Teil derer, die irgendwie problematisch werden können, aus. Es hätte aber wahrscheinlich bei dieser Person – das muss man noch genau recherchieren – möglicherweise auch nicht zum Ergebnis geführt, ihn vom Waffenbesitz auszuschließen, wenn es denn keine Erkenntnisse gibt und er vorher nicht auffällig geworden ist.
Kaess: Das ist genau der Punkt. Dieser mutmaßliche Täter soll weder der Polizei noch dem Verfassungsschutz bekannt gewesen sein. Ist das ein Anzeichen dafür, dass bei Rechtsextremisten zu wenig hingeschaut wird?
Middelberg: Das ist ein beliebtes Argument, was auch, ich sage mal, in früheren Jahren möglicherweise seine Berechtigung hatte – das will ich gar nicht bestreiten in Zeiten von NSU –, aber seit NSU hat sich eine Menge getan, auch nach Walter Lübcke und nach der Tat in Halle, die Sie erwähnt haben, haben wir noch mal weiter beim Verfassungsschutz und beim Bundeskriminalamt personell aufgerüstet, und wir haben auch noch mal gesetzlich eingegriffen. Es gibt jetzt spezielle Gefährdereinschätzungen für Täter oder Gefährder, ich sage mal, auf der rechten Seite, genauso wie für alle anderen Bereiche, Islamismus etwa. Und – das ist ganz wichtig – es gibt auch die Stärkung der Früherkennung im Internet. Das ist, glaube ich, hier ein Thema, was sehr einschlägig ist. Die haben wir auch personell gestärkt, und ein weiterer Punkt, den möchte ich ganz bewusst ansprechen: Wir beraten jetzt gerade die Änderungen oder ein neues Bundesverfassungsschutzgesetz, und da ist ein Punkt drin, der sehr wichtig ist – das ist auch die Erkenntnis aus Halle –, das ist nämlich die Verstärkung der Einzelpersonenbeobachtung. Da war es bisher erforderlich, und das macht die Sache auch schwierig, wir sind in diesen Sicherheitsgesetzen bisher immer sehr zurückhaltend gewesen, weil wir gesagt haben, der Verfassungsschutz soll keine Generalüberwachung betreiben, was ja auch richtig ist, aber da hat man bei Einzeltätern oder Einzelpersonen immer gesagt, die müssen erst mal gewalttätig sein, vorher darf der Verfassungsschutz sie gar nicht in den Blick nehmen. Das ist sicherlich eine zu hohe und auch falsche Hürde, denn wir müssen auch Leute in den Blick nehmen, die sich in irgendeiner Form radikal im Internet betätigen. Da muss es nicht zu Gewalthandlungen gekommen sein, sondern es reicht, wenn diese Personen sonst auffällig werden, auch dann muss der Verfassungsschutz sie in den Blick nehmen dürfen.
Kaess: Darüber hinaus gibt es aber dennoch immer noch Defizite, auch bei denen, die bekannt sind. Martina Renner, die für die Linke im Bundestag sitzt und Expertin für Rechtsextremismus ist, die hat gestern bei uns im Deutschlandfunk nach diesem Attentat Folgendes gesagt:
Martina Renner: Ich würde jetzt gerne sagen, ich habe ein gutes Gefühl, die Sicherheitsbehörden schauen hin im Bereich des Rechtsterrors, sie entwaffnen konsequent überzeugte Rassisten, aber so ist es ja nicht.
"Heute würde ich das bestimmt nicht mehr unterschreiben"
Kaess: So ist es nicht, sagt Martina Renner. Warum ist das nicht so?
Middelberg: Die Aussage von Frau Renner ist falsch. Das zeigen ja gerade die letzten Wochen. Das Verbot von "Combat 18", einer rechtsterroristischen Gruppe, im Übrigen das achtzehnte Verbot einer solchen Organisation in Deutschland, das zeigt die Festnahme der zwölf Personen dieser Terrorzelle "S", wie sie sich offensichtlich genannt haben, aufgedeckt durch verdeckte Ermittlung. Also ich kann das tatsächlich nicht mehr feststellen, dass hier irgendwo auf dem rechten Auge unsere Sicherheitsbehörden blind wären. Ich sage das mal, die Einschätzung von Frau Renner mag vor Jahren eine Teilwahrheit gehabt haben, heute würde ich das bestimmt nicht mehr unterschreiben.
Kaess: Ja, aber Herr Middelberg, trotzdem fragen sich wahrscheinlich jetzt schon viele, die die Ereignisse verfolgt haben gestern, diese rassistische Überzeugung des Täters, die geht ja aus einem Bekennerschreiben hervor und aus mehreren Videos, die er vor seiner Tat im Internet veröffentlicht hat. Er hatte eine eigene Homepage. Warum ist das niemandem aufgefallen?
Middelberg: Das hängt zusammen mit diesem Thema Früherkennung Internet, was ich angesprochen habe. Es hängt auch damit zusammen mit der Frage, was können Sie unternehmen, wenn Ihnen so jemand überhaupt auffällig geworden ist. Dann müssen Sie auch Mittel und Möglichkeiten an der Hand haben für den Verfassungsschutz. Das ist die Einzelpersonenbeobachtung, die habe ich eben angesprochen. Also Sie müssen dann die Möglichkeit haben, solche Personen auch ins Visier zu nehmen. Da müssen Sie an der Stelle – das scheint mir ein Punkt zu sein – auch über die Rechtsgrundlagen nachdenken und daran arbeiten. Ich sage aber auch ganz ehrlich, es wird schwierig bleiben, Personen zu erkennen, die sich, ich sage mal, aus der Isolation heraus als Einzelpersonen radikalisieren. Wenn Leute in einer Gruppe sind, in einem Kontext, dann finden Sie eher Anknüpfungspunkte, dann sind Ihnen wahrscheinlich bestimmte Personen schon bekannt, aber einen Einzeltäter früh zu erkennen, ist eben wahnsinnig schwierig in der Sache auch. Das muss man, glaube ich, auch zugestehen.
Kaess: Herr Middelberg, und trotzdem, seitdem wir darüber diskutieren, und das ist ja jetzt schon eine ganze Weile, das ist ja nicht erst seit dem Anschlag gestern, fragt man sich auch, welches Ausmaß dieses Problem des Rechtsextremismus in Deutschland überhaupt hat. Wir haben in Sicherheitsbehörden selbst immer wieder Fälle von Rechtsextremismus. Also an Sie auch die Frage: Wie weit greift das Ganze denn?
Middelberg: Ich würde jetzt aber die Dinge nicht vermischen. Das Problem ist eins, das sprechen Sie auch zu Recht an, ich glaube nur, dass das eine mit dem anderen nichts zu tun hat. Diese Einzeltätererkennung ist ein wirkliches Riesenproblem, im Übrigen ja auch weltweit, international, und diese Leute radikalisieren sich auch international, eben nicht mehr so, wie wir das früher kannten durch irgendwelche Gruppen in Deutschland. Ein anderes Problem ist, dass wir auch Extremismus, gerade auch von rechts, in bestimmten Teilen der Sicherheitsbehörden haben, aber wir haben – ich habe die Zahlen nicht genau im Kopf –, ich glaube, 140 Ermittlungsverfahren gehabt in der Bundespolizei bei einem Gesamtbestand von knapp 50.000 Beschäftigten. Also man muss auch ehrlich sagen, es ist ein Problem für einzelne Personen, aber es ist kein Problem der Sicherheitsbehörden insgesamt.
Achtung der Menschenwürde mehr von allen einfordern
Kaess: Jetzt geben viele der AfD eine Mitschuld an den rechtsextremen Terroranschlägen, weil sie durch Wortwahl und dieses sich nicht klare Abgrenzen von Rechtsextremisten solche Taten befördern würde, so lautet der Vorwurf. Sehen Sie das auch so?
Middelberg: Ja, ich sehe das auch so, weil das natürlich Beiträge sind, diesen gesellschaftlichen Dialog immer weiter zu verrohen. Im Übrigen tragen dazu aber auch noch viele andere bei. Also wenn wir von Menschen, ich sage mal, generell als Gesindel sprechen, als Pack, wenn wir Menschen nicht mehr gleichwertig betrachten, ihnen die Menschlichkeit absprechen, wir bemühen auch immer so gerne den Satz mit der Menschenwürde im Grundgesetz, aber wir müssen uns mehr dran halten im Alltagsbetrieb, gerade im Internet, und das müssen wir mehr von allen einfordern, schon oberhalb der Quelle von Bestrafung und Beleidigung. So wichtig wie das Gesetz gegen Hasskriminalität ist, was wir jetzt gerade gemacht haben, das alleine wird die Probleme nicht lösen, wenn wir nicht – ich sage das mal so deutlich – würdiger umgehen im menschlichen Umgang untereinander. Bei aller Kritik in der Sache, die erlaubt ist, darf man andere Menschen in keiner Weise herabwürdigen, unabhängig davon, woher sie kommen, welche Religion sie haben. Diese Dinge müssen von Grund an, von der Kita, Schule, in der Erziehung umgesetzt werden, sonst haben wir später als Sicherheitsbehörden kaum noch eine Chance.
Kaess: Lassen Sie uns da gerade noch kurz bei der AfD bleiben, denn tatsächlich ist es so, dass alle Parteien dieses Attentat scharf verurteilen, auch die AfD, aber die AfD will als einzige nicht von einer politisch motivierten Tat sprechen. Das hat man gestern von mehreren AfD-Politikern gehört, unter anderem dem AfD-Chef Jörg Meuthen, der spricht von einer wahnhaften Tat des Täters, und das sei aber weder rechter noch linker Terror, sagt er. Über diesen mutmaßlichen Täter ist bekannt, dass er Vorstellungen hatte, er sei von fremden Mächten gesteuert. Schließen solche Wahnvorstellungen, wenn man sie so nennen kann, eine politische Motivation aus?
Middelberg: Nein, wir haben ja häufig gerade bei den Einzeltätern eine Kombination aus, ich sage mal, einer verwirrten psychischen Aufstellung, und dann ist man wahrscheinlich sogar in besonderer Weise dafür anfällig, dass man nach einfachen Erklärungen sucht. Die liefern dann diese politischen Beteiligten, und die liefert auch die AfD. Da muss sie sich kritisch fragen, welchen Beitrag sie da leistet.
Kaess: Was muss sich die CDU denn dann fragen, wenn die AfD, wie Sie ihr jetzt auch vorgeworfen haben, solche Attentat befördert, wie steht denn dann die CDU da, in der ja wiederum manche Mitglieder die Zusammenarbeit mit der AfD nicht ausschließen oder sogar dafür plädieren oder indirekt mit ihr kooperieren, wie wir das bei der Wahl des Ministerpräsidenten in Thüringen gesehen haben?
Middelberg: Die Frage finde ich jetzt aber doch ein bisschen mutig. Es mag den einen oder anderen geben in der CDU, ganz vereinzelte Personen, die sich darüber Gedanken machen, ob man mit der AfD zusammenarbeitet, aber ich glaube, die Aufstellung unserer Partei zu der Frage ist da eindeutig.
Kaess: Inwiefern?
Middelberg: Es gibt keine Zusammenarbeit mit der AfD, keinerlei Kooperation.
Kaess: Aber jetzt tun Sie gerade so, als hätten wir die ganze Diskussion nach Thüringen nicht gehabt.
Middelberg: Ja, weil da eben eine solche Kooperation in diesem Einzelfall stattgefunden hat oder man, ich sage das mal, nicht im Blick hatte, dass es zu dieser Zusammenrechnung der Stimmen kommt. Das war ein Fehler, ganz klar. Darüber ist aber ja intensiv auch gerade in der eigenen Partei diskutiert worden und klargemacht worden, dass das auf gar keinen Fall passieren darf, auch nicht auf anderen Ebenen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.