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Innenpolitische Lage in Polen
Streiks als Protest gegen verschärftes Abtreibungsrecht

Gegen eine Verschärfung des Abtreibungsverbots in Polen sind viele Menschen dem Aufruf der Frauenbewegung zum Streik gefolgt. Zunächst deutete die Regierung ein Einlenken an - nun allerdings heizte Jaroslaw Kaczynski mit seinem Aufruf zur Verteidigung der Kirchen die Stimmung weiter an.

Von Florian Kellermann |
26.10.2020, Polen, Katowice: Few thousand crowd of young people mainly, protested against the tightening of the anti-abortion regulations on October 26, 2020 in Katowice, Poland. On Thursday, October 22, the Polish Constitutional Court ruled that the abortion regulations due to a severe defect of an emryo are contrary to the Constitution, which caused protests in anti-government circles all over the country. Photo CTK/Grzegorz Klatka Foto: Klatka Grzegorz/CTK/dpa |
Protestaktion in Kattowitz (dpa / picture alliance / Klatka Grzegorz/CTK)
Wie viele Polen dem Streikaufruf der Frauen gefolgt sind, ist noch unklar. Zumindest haben sich an mehreren Universitäten die Studierenden vor den Hochschulgebäuden versammelt, in Danzig wurden alle Vorlesungen abgesagt. Für heute Nachmittag ruft die Organisation "Polnischer Frauen-Streik" zu einer weiteren Demonstration auf, vor dem Büro der konservativen Denkfabrik "Ordo Iuris", die seit Jahren für ein schärferes Abtreibungsrecht wirbt.
Schon sagte die Vorsitzende des "Polnischen Frauen-Streiks" Marta Lempart: "Ich erinnere daran, dass wir keine Bußgeldbescheide von der Polizei annehmen werden, weder für mutmaßliche Verkehrsdelikte, noch bezogen auf illegale Versammlungen oder Hygienebestimmungen. Wenn die Polizei uns befragt, verweigern wir die Aussage. Die Regierungspartei PiS wollte die Rechtlosigkeit, die bekommt sie jetzt. Deren Politiker versuchen, uns einzuschüchtern, aber damit kommen sie zu spät. Wir überschreiten jeden Tag neue Grenzen."
Tumultartige Szenen im Parlament
Die Debatte im Parlament verläuft heute bisher etwas ruhiger. Gestern kam es dort zu tumultartigen Szenen. Die Abgeordneten der Opposition umringten Jaroslaw Kaczynski, den Vorsitzenden der Regierungspartei PiS. Sie sehen ihn als geistigen Vater des Gerichtsurteils an, wonach Schwangere auch schwer behinderte Kinder zur Welt bringen müssen. Der Parlamentspräsident, ein PiS-Politiker, rief die uniformierte Präsidentengarde zu Hilfe, die Kaczynski abschirmte.
In Posen protestieren Menschen mit einem Schweigemarsch gegen die Verschärfung des Abtreibungsrechts.
Abtreibungsrecht verschärft - Ein Urteil, das Polen weiter spaltet
Das Verfassungsgericht in Polen hat entschieden, dass Frauen dort auch dann nicht abtreiben dürfen, wenn ihr ungeborenes Kind schwere Fehlbildungen hat. Das Urteil sei politisch motiviert und werde für sozialen Unfrieden sorgen, kommentiert Florian Kellermann.
Barbara Nowacka, Abgeordnete der liberalen "Bürgerplattform" sagte bei der Debatte gestern: "Ich klage dich an, Jaroslaw Kaczynski, dass Du die verfassungsmäßige Ordnung zerstörst. Dass Du einen Krieg zwischen den Polen angezettelt hast, der nur zu Hass und Verachtung führt. Ich klage Euch an, PiS-Poltiker, dass Ihr den Frauen ihre Würde raubt. Dass Ihr ihnen das Recht auf eine ruhige und behütete Mutterschaft raubt."
Polnische Medien stellen es so dar, dass die PiS selbst überrascht war von den heftigen Reaktionen auf das Gerichtsurteil. Zunächst schien es, als wolle sie die Wogen glätten. PiS-Abgeordnete sprachen von einer möglichen Gesetzesnovelle, damit Frauen wenigstens solche Kinder nicht austragen müssen, die keine Überlebenschance haben.
Umfrage: Zwei Drittel bewerten Urteil negativ
Doch offenbar entschloss sich die Regierung gestern zu einer entgegengesetzten Strategie. Jaroslaw Kaczynski heizte die Stimmung in einer Stellungnahme weiter an. Er bezog sich auf Protestaktionen in katholischen Kirchen am vergangenen Sonntag: "Kirchen werden angegriffen. Das ist fatal. Denn durch die katholische Kirche wurde das einzige Wertesystem überliefert, das in Polen allgemein bekannt ist. Wenn man es ablehnt, führt das zu Nihilismus. Dem muss man sich entgegenstellen. Das ist die Pflicht des Staates, aber auch unsere Pflicht, die der Bürger. Wir müssen die polnischen Kirchen verteidigen, um jeden Preis."
Nach Angaben des Innenministeriums störten Demonstranten am Wochenende in 22 Fällen katholische Gottesdienste. 79 Kirchenfassaden seien beschädigt worden.
Auf Kaczynskis Aufruf reagierte heute die rechtsradikale Organisation "National-radikales Lager", kurz ONR. Sie werde heute eine Formation von sogenannten "Politischen Soldaten" schaffen, erklärte der Vorstand der ONR. Diese werde nationale und katholische Werte verteidigen.
Eine neue Umfrage zeigt indes, dass zwei Drittel der Polen das Urteil des Verfassungsgerichts negativ bewerten. Etwa ebenso viele Bürger sprechen sich für eine Volksabstimmung in der Frage aus – ein Vorschlag, der aus den Reihen der Opposition kam.