Archiv

Innere Sicherheit
"Die Union schürt ein Klima der Angst"

Der stellvertretende FDP-Vorsitzende Wolfgang Kubicki kritisiert die Vorschläge der Union zur Inneren Sicherheit. Er rät zu weniger hektischen Gesetzesinitiativen und zu mehr Personal. Über ein Burka-Verbot könne man nachdenken, nicht aber darüber, die Schweigepflicht für Ärzte zu lockern.

Wolfgang Kubicki im Gespräch mit Jürgen Zurheide |
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki am 23.04.2016 auf dem Bundesparteitag der FDP.
    Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki (imago stock&people)
    Aus Sicht von Kubicki hat Deutschland zurzeit zu wenig Personal, um die Terrorgefahren im Land zu analysieren und mit Radikalisierung und Perspektivlosigkeit umzugehen. Bund und Länder hätten hier erheblich gespart, und nun müsse man drei Jahre warten, bis neues Personal entsprechend gut ausgebildet sei.
    Kubicki hält ein Verbot der Vollverschleierung für verfassungsrechtlich problematisch. Er ist allerdings persönlich der Überzeugung, dass eine Gesichtsverschleierung in Deutschland nicht erlaubt sein sollte. Gesichter müsse man erkennen können, und darum halte er es für sinnvoll, sich dem Thema Burkaverbot "pragmatisch zu nähern".
    Eine Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht hält Kubicki dagegen für falsch und gefährlich. Erstens trauten sich dann viele Menschen gar nicht mehr, zum Arzt zu gehen. Zweitens sei es absurd zu denken, dass ein Attentäter vor einer Tat zum Arzt gehe und davon berichte. Und schließlich sei die Lockerung der Schweigepflicht ein Einstieg, um auch die Regelungen und Praktiken in anderen Berufsgruppen wie Anwälten, Journalisten und Priestern aufzuweichen.

    Das komplette Interview zum Nachlesen:
    Jürgen Zurheide: Diese Woche war innenpolitisch wieder einmal beherrscht durch eine Sicherheitsdebatte. Da sollen Gesetze verschärft werden, und je nachdem, wen man fragt, geht es dann besonders weit. Die Innenminister der CDU aus den Ländern haben einige Vorstellungen gezeigt. Und dann hat der Innenminister im Bund, auch CDU, etwas moderatere Vorschläge vorgelegt. Die Opposition hat gesagt, das eine oder andere können wir da mitmachen, aber bei dem Rest geht es gar nicht.
    - Wie sieht das alles die FDP? Das wollen wir bereden mit Wolfgang Kubicki, den ich ganz herzlich am Telefon begrüße. Guten Morgen, Herr Kubicki!
    Wolfgang Kubicki: Guten Morgen, Herr Zurheide!
    Zurheide: Herr Kubicki, ich darf das als Vorbemerkung sagen, wir erreichen Sie im Urlaub, Sie gucken im Moment von außen auf Deutschland. Wenn ich mir die Frage dann so erlauben darf: Ist Deutschland eigentlich von außen betrachtet im Moment ein sicheres Land?
    Kubicki: Deutschland ist ein sicheres Land, soweit man Sicherheit überhaupt garantieren kann. Denn wir sind bisher von Anschlägen weitgehend verschont geblieben, in der Größenordnung, wie wir sie in Nizza, Brüssel oder in Paris hatten. Aber wir sind nicht wachsam genug. Wir haben vor allem zu wenig Personal, zu wenig Männer und Frauen, die sich analytisch mit der Frage beschäftigen, wie wir denn der mehreren Hundert Menschen habhaft werden können, die im Rahmen der Flüchtlingskrise vom IS eingeschleust worden sind nach Deutschland, nach Europa. Und vor allen Dingen, wie wir mit Radikalisierungen umgehen können, die ja in Deutschland selbst passieren mangels Perspektivlosigkeit verschiedener Menschen, die bei uns sich schon mittlerweile aufhalten.
    Zurheide: Sie haben es gerade gesagt, wir haben zu wenig Leute, die ruhig analysieren. Reagieren wir oft zu hysterisch?
    Kubicki: Zunächst muss man sagen, dass die CDU-Innenminister die Wahlkampfsituation nutzen in Mecklenburg-Vorpommern und Berlin. Vor allen Dingen Berlin ist ja für die Union ganz wichtig. Und Herr Henkel spielt eine große Rolle dort. Dass man aber den Eindruck vermittelt, wir brauchen beispielsweise die Bundeswehr im Innern, dass man den Eindruck vermittelt, wir brauchen eine Verschärfung von Gesetzen, ist ein Ausweis von Hilflosigkeit, denn wir wissen beispielsweise, dass die doppelte Staatsbürgerschaft mit Anschlagsszenarien nichts zu tun hat. Keiner der Attentäter hat eine doppelte Staatsbürgerschaft gehabt. Worüber man diskutieren muss, ist die Frage, wie wir denn Integration leisten können, wie wir verhindern können, dass Parallelgesellschaften entstehen. Wie wir verhindern können, dass beispielsweise innertürkische Konflikte zwischen Kurden und Türken sich auf deutschem Boden dann wieder abspielen. Das sind die Fragen, die anstehen. Und noch einmal: Dafür brauchen wir Personal und weniger hektische Gesetzesaktivitäten.
    Zurheide: Also mindestens da scheint ja Einigkeit zu sein. Alle sagen, mehr Personal. Um das bei Ihnen dann direkt abzuhandeln, auch die FDP. Da brauchen wir einen starken Staat, richtig?
    Kubicki: Ja, selbstverständlich. Nur der Staat kann Sicherheit garantieren, wer denn sonst? Das darf nicht in private Hände gelegt werden. Entscheidend ist aber, dass wir ja politische Kräfte haben, die beispielsweise noch vor einigen Monaten den Verfassungsschutz haben abschaffen wollen. Wenn Sie beispielsweise an Herrn Ramelow in Thüringen denken, das war eine Initiative der Linken. Die Grünen haben ein sehr skeptisches Verhältnis zum Verfassungsschutz und auch zur Polizei. Dankenswerterweise ändert sich das langsam. Aber wenn wir uns die Situation angucken in Bund und Ländern, ist in den letzten Jahrzehnten erheblich an Personal gespart worden. Und es war doch klar, dass, wenn wir über 1,2 Millionen neue Menschen nach Deutschland bekommen, wir damit auch einen Teil von Kriminalität importieren, einen Teil von Anschlagsszenarien importieren. Und darauf kann man nur reagieren mit Menschen und nicht mit Gesetzesaktivitäten. Die Vorratsdatenspeicherung beispielsweise, die ja in Frankreich seit 2006 vollumfänglich installiert ist, hat keinen der Anschläge verhindert. Entscheidend ist, wie gesagt, noch einmal, dass man vernünftige Menschen hat, die analysieren können. Und die sich darauf einstellen können, wie man mit entsprechenden Szenarien der anderen Seite, sage ich mal, also des IS und andere Aktivitäten, umgehen kann.
    Zurheide: Beim Sparen sagen Sie das durchaus auch selbstkritisch, denn auch die FDP, ich habe es in Nordrhein-Westfalen erlebt, hat ja an dem Punkt dann gelegentlich vielleicht auch ein bisschen übertrieben. Richtig?
    Kubicki: Ja, in einigen Ländern schon. In Schleswig-Holstein beispielsweise haben wir uns immer dagegen gewehrt, dass beim Personal gespart wird, dass in der Ausbildung gespart wird. Wir haben schon im Jahr 2009, 2010, 2011 in Kenntnis der Tatsache, dass sich hier Menschen auf den Weg nach Europa machen, immer darauf Wert gelegt, dass jedenfalls bei der Polizei und beim Verfassungsschutz nicht gespart wird, sondern obendrauf gesattelt wird. Wenn sich alle Länder daran gehalten hätten, hätten wir auch nicht das Problem, dass wir drei Jahre warten müssen, bis entsprechendes, qualifiziertes Personal bei der Polizei wieder ausgebildet ist.
    Zurheide: Dann lassen Sie uns jetzt die anderen Vorschläge mal durchmessen. Sie haben einige schon angesprochen. Ich fange mal mit dem, was ja ganz besonders diskutiert wird, an. Burka – muss man so was verbieten, darf man das verbieten. Oder wie ist da Ihre Haltung, die Haltung der FDP?
    Kubicki: Das ist verfassungsrechtlich ein sehr schwieriges Terrain. Ich selbst persönlich bin dafür, dass man dafür Sorge trägt, dass die Gesichter gezeigt werden, dass Gesichtsverschleierung in Deutschland nicht erlaubt wird. Wir haben das beispielsweise bei Demonstrationen, da gibt es ein Vermummungsverbot. Und gleichzeitig akzeptieren wir aber, dass Menschen unterwegs sind, deren Gesicht wir nicht sehen können. Ich glaube auch nicht, dass das eine Frage der Religionsausübung ist, sondern das ist eine Frage mangelnden Respekts gegenüber den Menschen, die in Deutschland leben. Wir sind es in Westeuropa gewöhnt, dass man Gesichter erkennen kann, dass man auch ein Gesicht lesen kann, dass man erkennen kann, was jemand will, was jemand vor hat. Und deshalb bin ich persönlich ein Gegner der Vollverschleierung. Aber wie gesagt, das ist eine rechtliche Grauzone. Das Bundesverfassungsgericht hat mal entschieden, dass aus Gründen des Respekts vor der Religionsausübung auch entsprechende Kleidungsvorschriften zu akzeptieren sind – wir kennen das ja bei Nonnen beispielsweise und anderen Gelegenheiten. Aber unabhängig davon, ich wäre dafür, persönlich dafür, dass man sich der Frage des Burka-Verbots jetzt auch pragmatisch nähert.
    Zurheide: Ärztliche Schweigepflicht sollte aufgehoben oder jedenfalls eingeschränkt werden. Ist das mit der FDP zu machen?
    Kubicki: Aufhebung der Schweigepflicht ist gefährlich
    Kubicki: Nein, ich halte das für sehr gefährlich, vor allen Dingen deshalb, weil Patienten dann ja unter Umständen den Gang zum Arzt gar nicht mehr unternehmen, der ja helfen kann, aus lauter Furcht, dass sie denunziert werden, dass sie möglicherweise den Behörden ausgeliefert werden. Und es ist doch absurd, zu glauben, dass ein Selbstmordattentäter, der einen Anschlag plant, vorher zum Arzt geht und dem Arzt das erklärt. Das ist wirklich absurd. Vor allen Dingen, das ist ein Einstieg in die Aushebelung der Verschwiegenheitspflicht für andere Berufsgruppen. Als nächstes wären die Anwälte dran. Und dann möglicherweise Journalisten und Priester. Das kann es nicht sein. Vor allen Dingen ist das kein sinnvoller Vorschlag, um entsprechenden Anschlagsszenarien zu begegnen.
    Zurheide: Schnellere Abschiebung wird immer wieder diskutiert. Und natürlich haben wir ein objektives Problem. Wir haben Menschen, die eigentlich kein Bleiberecht haben, die aber noch hier sind aus ganz unterschiedlichen Gründen. Bringt das was, jetzt an Gesetzesvorschriften zu schrauben, oder gilt da der Einwand, den man ja auch gelegentlich hört, wir müssen einfach unsere Praxis anpassen oder auch mit den Ländern sprechen, die die Menschen nicht zurücknehmen?
    Kubicki: Zunächst einmal müssen Sie abschieben können. Sie können in Kriegsgebiete aus Rechtsgründen nicht abschieben. Sie können auch Staaten nicht verpflichten, entsprechende Personen aufzunehmen, Abkommen hin oder her. Ich finde es auch ziemlich komisch, zu glauben, dass jemand, den wir abschieben wollen, weil wir Sorge haben, dass ein Anschlag geplant wird, dass der völlig bedenkenlos in anderen Ländern aufgenommen werden wird. Also wir haben momentan ein Vollzugsdefizit. Rechtlich ist alles schon möglich. Das Problem ist, dass uns die Gelegenheiten gelegentlich fehlen, die Menschen tatsächlich in andere Länder zu bringen, aus denen sie kommen. Oder wo wir vermuten, dass sie aus den Ländern kommen. Wenn Sie sich überlegen, wie viele Menschen in Deutschland sind, die keinen Pass haben, die ihre Pässe nicht mehr bei sich haben. Es wird dann schwierig sein zu erklären, wir schieben euch nach Syrien, nach Tunesien, in den Libanon, nach Libyen ab. Noch einmal: Sie brauchen aufnehmende Länder. Und wenn die Bereitschaft dort nicht vorhanden ist, dann können wir uns noch so große Gedanken machen, wir werden es praktisch nicht vollziehen können.
    Zurheide: Dann gibt es ja den Vorschlag, dass man dann diejenigen, bei denen es einen Verdacht gibt, wie auch immer, das müsste man die CDU-Leute fragen, dass man die dann kaserniert oder in Haft setzt. Ist das mit der FDP zu machen?
    Kubicki: Kasernierung von Verdächtigen im Rechtsstaat nicht zu machen
    Kubicki: Das ist mit dem Rechtsstaat schon nicht zu machen. Der Verdacht selbst reicht nur dann für eine Haft oder haftähnliche Bedingungen aus, wenn er sich so konkretisiert hat, dass wir Straftaten vorliegen haben oder jedenfalls schwere Straftaten nachweisbar vermuten können, die in Planung sind. Dafür haben wir die gesetzlichen Grundlage bereits jetzt. Menschen der Freiheit zu berauben, ist in einem Rechtsstaat unter der Geltung des Verfassungsrechts unseres Grundgesetzes einfach schlicht und ergreifend nicht zu machen. Das ist eine populistische Forderung, die Stimmungen befriedigen soll, aber die nichts dazu beiträgt, dass entsprechende Taten verhindert werden können oder dass entsprechende Personen auch entsprechend unter Beobachtung stehen können.
    Zurheide: Also, wenn wir jetzt einen Strich drunter ziehen unter die Debatte dieser Woche, dann ist das Urteil von Wolfgang Kubicki, Sie haben es vorhin schon angesprochen, Wahlkampf, heiße Luft, sonst nichts?
    Kubicki: Nicht nur das, das ist eine glatte Sechs. Die Union erzeugt damit ein Klima der Unsicherheit und Angst. Sie begegnet dieser Unsicherheit nicht, nicht durch praktische Vorschläge, nicht durch vernünftige Maßnahmen, sondern sie erweckt den Eindruck, als seien unsere Sicherheitsbehörden nicht in der Lage, mit dem Problem fertig zu werden, was definitiv falsch ist. Was wir dringend brauchen, habe ich schon mal gesagt, ist mehr Personal, ist eine bessere Ausbildung, ist eine bessere Analyse, ein besseres Verständnis auch von dem, was im Kopf von Menschen vor sich geht, die aus dem Nahen Osten zu uns kommen. Nur das kann helfen. Die Union erzeugt mit ihren Vorschlägen Unsicherheit und Angst. Und das ist das Schlimmste, was man tun kann. Und dann ist die Frage, ob das im Wahlkampf gerechtfertigt oder nicht, zu beantworten damit, dass es einfach nicht geht, was die Union momentan macht.
    Zurheide: Wolfgang Kubicki, der stellvertretende Vorsitzende der FDP bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Kubicki, ich bedanke mich für das Gespräch!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.