"Aux armes, citoyens! Zu den Waffen, Bürger!" heißt es im Refrain der Marseillaise; jeder Franzose kennt den Text. Und viele in Frankreich sind derzeit bereit, diese Zeile ganz wörtlich zu verstehen, und dem Aufruf des Innenministers Bernard Cazeneuve vom 8. Juli zu folgen.
"Wir haben uns entschlossen, die Zahl der Reservisten anzuheben und zwar schon in Bezug auf diesen Sommer. Viele Freiwillige werden in den Ferien sein, nicht an ihrem normalen Arbeitsplatz, sie haben also Zeit. Diese zusätzlichen Reservisten der Polizei, der Gendarmerie und der Armee werden insbesondere an touristischen Orten, an Stränden und bei den vielen Kultur- und Sportveranstaltungen eingesetzt, um den Schutz der Franzosen zu gewährleisten."
In den "operativen Reservekräften" gibt es bereits rund 180.000 Freiwillige, nun sollen 12.000 hinzukommen: 9.000 bei der militärisch organisierten Gendarmerie, 3.000 bei der regulären Polizei. Auch Spezialisten werden gesucht: Informatiker, Ärzte, Krankenschwestern. Wer für maximal 30 Tage im Jahr zur Polizeireserve gehen möchte, muss zwischen 18 und 65 Jahre alt sowie körperlich und geistig fit sein, darf keine Vorstrafen haben. Als Ausbildung wird an einer nationalen Polizeischule zehn Tage lang juristisches und technisches Grundwissen gelehrt. Die Polizeireserve geht in Zivil, trägt keine Waffen, bei Einsätzen im öffentlichen Raum müssen kugelsichere Westen angelegt werden. Bei der Gendarmerie beträgt das Höchstalter 30 Jahre, auch Zivilisten sind willkommen; es erfolgt eine militärische Ausbildung von 15 bis 30 Tagen Dauer, an deren Ende steht die Vereidigung. Jean-Luc Malard, Chef einer Reservisteneinheit der Gendarmerie von Nizza, im Sender France 3:
"Sie werden unter anderem in verschiedenen Eingreiftechniken ausgebildet: Wir üben Personenkontrollen, Fahrzeugkontrollen, alle möglichen Sicherheitskontrollen, und auch bringen wir ihnen Techniken bei, wie Personen überwunden und festgenommen werden können, auch eventuell gefährliche Personen."
Reservisten in der Gendarmerie
Reservisten der Gendarmerie dürfen Waffen tragen und können auch in Anti-Terror-Einheiten eingesetzt werden, sie verdienen netto 89 Euro am Tag, erlaubt sind bis zu 90 Einsatztage jährlich. Die Armee nimmt ebenfalls weitere Reservisten auf - zu ähnlichen Konditionen. Insgesamt habe es schon unmittelbar nach dem Aufruf des Innenministers außerordentlich viele Bewerbungen gegeben, berichtete der Oberst der Gendarmerie, Gregory Vinot:
"Es gibt wirklich diese Tendenz: jedes Mal, wenn es einen Anschlag oder etwas Vergleichbares in Frankreich gibt, melden sich sehr viele Freiwillige bei uns. Ein trauriger Anlass – aber er zeigt, wie viele überzeugte Staatsbürger es hier gibt."
Marion Maréchal Le Pen vom Front National nutzte den Aufruf des Innenministers sogleich politisch, umgehend gab sie bekannt, als Freiwillige Dienst tun zu wollen. Im Sender BFM sagte sie:
"Zur Reserve zu gehen, ist für mich ein staatsbürgerlicher Akt. Es fehlen Reservisten, der Staat appelliert ja immer wieder, sich zu melden, und deshalb gehe ich zur Fahne und lasse mich da einsetzen, wo man mich braucht. Und ich finde, die jungen patriotischen Franzosen sollten das auch tun."
Probleme, die bereits in der Vergangenheit auftraten
Mit den bisher gemachten Erfahrungen ist man zufrieden – wenn es auch erhebliche Probleme gab. Polizeigewerkschaften machten geltend, es habe sich in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, dass es schwer sei, Reservisten wirklich zum festen Bestandteil einer Einheit zu machen. Ähnlich äußerte sich Oberstleutnant Gérald Orlik letztes Jahr vor dem Verteidigungsausschuss der Nationalversammlung. Weiter sagte er, viele Reservisten hätten darüber geklagt, dass sie für ihre Dienste bei ihrem Arbeitgeber stets hätten Urlaub beantragen müssen, auch hätten viele die Zeit ihrer Ausbildung als zu kurz empfunden. Gerade dieser Punkt – eine unzureichende Ausbildung – lässt viele in Frankreich an der Wirksamkeit auch einer vergrößerten "réserve opérationelle" zweifeln. Doch politisch umstritten ist es nicht: die Bürger zu den Waffen zu rufen.