Jasper Barenberg: Viele Beobachter sehen es ja so: Die dritte Landtagswahl in Folge in Nordrhein-Westfalen wurde auch deshalb ein Debakel für die Sozialdemokraten, weil die Partei keine rechte Antwort auf das CDU-Thema innere Sicherheit gefunden hat. Es dürfte kein Zufall sein, dass just nach der Niederlage eine Liste harter Forderungen zur Sicherheitspolitik bekannt wurde, zum Beispiel 15.000 neue Stellen bei der Polizei, mehr Videoüberwachung, konsequente Abschiebung abgelehnter Asylsuchender, Schutz der europäischen Außengrenzen. Auch über diese Punkte im Wahlprogramm wird der SPD-Vorstand heute in Berlin beraten. Die im Anschluss geplante Präsentation der wichtigsten Punkte aber hat die SPD kurzfristig abgeblasen. Warum? – Das habe ich vor gut einer halben Stunde Johannes Kahrs gefragt, den Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD. [Anm. der Redaktion: Mittlerweile ist klar, dass die Präsentation doch stattfindet.]
Johannes Kahrs: Es gab zu viele Änderungsanträge. Man wollte das genauer rechnen. Und da wir eine demokratische Partei sind und der Aufbruch von unten nach oben geht, wird das jetzt eingebaut, und das finde ich auch vernünftig.
Barenberg: Man müsse noch rechnen, haben Sie gerade gesagt. Das heißt, es geht vor allem um das Rentenkonzept und das Steuerkonzept der SPD?
Kahrs: Auch. Aber es gibt Änderungsanträge quer durch die Last, weil natürlich auch die Landesverbände, die Kreisverbände, Unterbezirke mitreden wollen. Und wie gesagt: Ich habe selber am Freitag noch eine Kreisdelegiertenversammlung gehabt, die haben auch Änderungsanträge gestellt, und da muss man natürlich gucken, dass die wesentlichen Punkte mit dabei sind.
Barenberg: Das heißt auch, dass nach den drei verlorenen Landtagswahlen noch ein wenig gesucht wird, wo die richtigen Akzente zu setzen sind? Verschiebt sich da gerade noch etwas?
Kahrs: Ich glaube, dass wie gesagt die Landesverbände alle noch ihre Meinung kundtun wollen, sich einbringen, ja den Entwurf kennen und was dazu sagen wollen, und das hat mit den Landtagswahlen nichts zu tun. Ich glaube, das wäre auch so gekommen.
Barenberg: Und bisher hatten die Parteigliederungen keine Gelegenheit, sich dazu zu äußern oder Vorschläge einzubringen?
Kahrs: Das Konzept, das Grobkonzept ist ja erst vor wenigen Tagen in die Partei gegangen. Das heißt, man konnte sich natürlich vorher immer Gedanken machen. Aber wenn man die abstimmen will auf das, was vorgelegt wird, dann war das ein relativ knapper Zeitrahmen.
"Für uns Sozialdemokraten ist ein starker Staat wichtig"
Barenberg: Sie wissen aber auch noch nicht, wann das jetzt nachgeholt wird, die öffentliche Präsentation der Eckpunkte?
Kahrs: Ich gehe davon aus, dass das jetzt in den nächsten Tagen und Wochen passieren wird. Ich weiß nur nicht genau, wann das ist. Ehrlicherweise da stecke ich nicht drin.
Barenberg: Herr Kahrs, wir wollen sprechen über einige Schwerpunkte im Wahlprogramm, speziell über das Thema innere Sicherheit. Muss man am Anfang mal sagen, dass Martin Schulz, der Kanzlerkandidat, das Thema zu stark vernachlässigt hat bisher?
Kahrs: Das glaube ich nicht. Für mich ist das ein Gerechtigkeitsthema. Ich habe bei mir im Wahlkreis viele große Stadtteile, wo man Probleme mit innerer Sicherheit hat, wo Menschen darauf bestehen, dass der Staat seine Funktionen wahrnimmt. Und für uns Sozialdemokraten ist ein starker Staat wichtig, einer, der auch garantiert, dass die Sicherheit vor Ort in jeder Ecke ankommt. Deswegen ist das ein starkes Gerechtigkeitsthema.
"Es nicht gut ist, wenn die innere Sicherheit vernachlässigt wird"
Barenberg: Viele Menschen an Rhein und Ruhr haben ja bei der Wahl in Nordrhein-Westfalen die CDU gewählt, weil sie der SPD auch mitteilen wollten, es ist schlecht bestellt um die innere Sicherheit. Was ist falsch an dieser Analyse?
Kahrs: Ich glaube, dass es bestimmt den Eindruck gegeben hat. Ich lebe nicht in Nordrhein-Westfalen, ich kann das nicht beurteilen. Ich weiß nur, dass sich Reiche einen schwachen Staat leisten können. Ich weiß nur, dass es nicht gut ist, wenn die innere Sicherheit vernachlässigt wird. Und ich kann Ihnen sagen, dass die SPD auf Bundesebene in den letzten Jahren hart daran gearbeitet hat, dass wir zum Beispiel mehr Bundespolizisten haben, am Anfang sogar gegen den Widerstand von Herrn de Maizière und Herrn Schäuble. Und wir haben durchgesetzt, dass es nicht nur drei, sondern noch mal weitere vier, also 7000 neue Stellen für die Bundespolizei gegeben hat. Das ist für uns Sozialdemokraten wichtig und das hat was mit Gerechtigkeit zu tun.
Barenberg: Alles was wir jetzt über das Wahlprogramm schon wissen, zum Thema innere Sicherheit, das ist ja ein relativ langer Katalog recht harter Vorschläge und Forderungen: 15.000 neue Stellen bei der Polizei, mehr Videoüberwachung, konsequente Abschiebung, Schutz der europäischen Außengrenzen und mehr Rechte für das Bundeskriminalamt. Was davon ist eigentlich neu?
Kahrs: Neu ist davon nichts. Es ist zusammengeführt. Wir haben in den letzten Jahren damit angefangen, es umzusetzen. Das ist praktisch eine Fortsetzung der Politik der letzten Jahre und ich glaube, dass das etwas ist, was ich am Anfang erwähnte. Das hat was mit Gerechtigkeit zu tun, mit einem starken Staat zu tun und dass man den Bürger nicht alleine lässt, und darauf hat der Bürger auch einen Anspruch.
"Die Union redet darüber, aber macht selten was"
Barenberg: Wo unterscheidet sich das, was ich gerade an Stichworten aufgezählt habe, von den Vorstellungen in der Union?
Kahrs: Die Union redet darüber, aber macht selten was. Ich weiß, wie wir im Haushaltsausschuss dafür kämpfen mussten, obwohl wir es finanziert hatten, dass Herr de Maizière überhaupt bereit war, drei Schiffe für die Bundespolizei, die wir brauchten, in der Ostsee zu bestellen und das umzusetzen, obwohl das Geld da war. Ich weiß, wie groß die Kämpfe waren, um überhaupt neue Stellen für die Bundespolizei zu bekommen. Wir haben uns nicht durchgesetzt bei der Frage, wie Überstunden finanziert werden, dass man dort als Bundespolizist eine Wahlfreiheit hat zwischen Freizeit und Auszahlen. Wir haben uns in bestimmten anderen Punkten nicht durchgesetzt, wo wir mehr Personal haben wollten. Ich glaube einfach, man muss nicht nur die Illusion vermitteln, wie das die CDU häufig gerne tut, wie zum Beispiel auch bei der Steuerreform, sondern man muss es einfach mal machen, und wir haben in den letzten vier Jahren gezeigt, dass wir es machen.
Barenberg: Nun behauptet die Union das genaue Gegenteil. Die Union behauptet oder sagt, kritisiert an der SPD, dass sie nichts Neues in dem findet, was da zu lesen ist, weil es immer die SPD gewesen ist, die sich hat drängen lassen müssen, da mitzustimmen in der Großen Koalition, wenn es beispielsweise um die Verschärfung des Asylrechts geht.
Kahrs: Ich verstehe, dass die Union etwas angefressen ist, dass ihr Innenminister nicht A zum Zuge gekommen ist, B nichts durchgesetzt hat und C insbesondere bei seinen Forderungen gegenüber dem Finanzminister immer erfolglos war. Aber die gelebte Praxis bei mir im Haushaltsausschuss sah immer so aus, dass wir Haushälter das Innenministerium getrieben haben. Wir wollten zum Beispiel für die neuen Bundespolizisten, die wir mit durchgesetzt haben – wie gesagt, teilweise auch gegen Herrn de Maizière -, entsprechende Hubschrauber haben. Das heißt, wir haben im Haushaltsausschuss angefragt, warum es denn nicht möglich ist, von diesen neuen Bundespolizisten auch 200 kurzfristig mit Hubschraubern innerhalb Deutschlands zu verschieben, diese Hubschrauber neu zu bestellen. Das ist uns abgelehnt worden. Es ist vom Innenministerium gesagt worden, sie haben die Priorität nicht, obwohl die Bundespolizei was ganz anderes gesagt hat, und die Union hätte in den letzten vier Jahren das ja alles machen können. Das Kanzleramt ist CDU, das Finanzministerium ist in der CDU, das Verteidigungsministerium hat die CDU und das Bundesinnenministerium hat die CDU. Das heißt, alles, worüber sie reden, wäre möglich gewesen. Das Problem war: Wir mussten es immer wieder anschieben, damit es überhaupt kommt, und deswegen ist das alles ein bisschen grenzwertig.
"Man muss die Gewalttäter konsequent abschieben"
Barenberg: Nehmen wir ein anderes Beispiel, das Stichwort konsequente Abschiebung. Da ist es ja nun erklärte Politik des SPD-Ministerpräsidenten in Schleswig-Holstein gewesen, beispielsweise keine Afghanen abzuschieben, zurück in das Land. Ist das so etwas wie eine Korrektur auch der eigenen Politik?
Kahrs: Nein. Wir sagen, dass man kriminelle Ausländer abschiebt. Das ist übrigens etwas, was die Freie und Hansestadt Hamburg unter Olaf Scholz tut, und zwar konsequent, und zwar seit vielen Jahren. Das heißt, es geht hier nicht um den Grundsatz, ob man nach Afghanistan grundsätzlich abschiebt, weil Afghanistan – immer wenn ich in Afghanistan bin, dann werden wir immer sehr anständig bewacht. Das ist ja kein friedliches Land. Sondern hier geht es darum, dass Menschen, die in dieses Land kommen und sich hier falsch benehmen, kriminell sind, verurteilt werden, dass man die abschiebt. Und ich glaube, das ist etwas, was man umsetzen kann, was die CDU hätte umsetzen können, was sie nicht umgesetzt hat. Manchmal ist es besser, sich nicht nur darauf zu besinnen, was man sagt, sondern man muss es auch tun.
Barenberg: Aber es sind doch, Herr Kahrs, Bremen, Niedersachsen und Berlin beispielsweise, die die Sammelrückführungen boykottiert, die der Bundesinnenminister auf die Tagesordnung gesetzt hat.
Kahrs: Wenn es um kriminelle Ausländer geht, werden die auch nicht blockieren. Uns geht es auf Bundesebene darum, dass diejenigen, die hier herkommen und ein Recht darauf haben, hier zu bleiben, anständig integriert werden. Dafür braucht man viel Personal. Auch da hat es beim Bundesfinanzminister häufig geschwächelt. Auch da mussten wir als SPD häufig nachsteuern. Integration ist das eine, damit Sie nicht die Zustände haben wie in einigen französischen Vorstädten.
Auf der anderen Seite muss man die Gewalttäter konsequent abschieben. Unser Kernproblem – und das sehen Sie auch an den geringen Zahlen der Abschiebungen – liegt ja nicht darin, dass irgendwer nicht will, sondern dass Sie auch die richtigen Personal- und Ausweispapiere dazu brauchen, die Sie abschieben wollen. Sonst haben Sie gar nicht das Land, in das sie abgeschoben werden müssen. Das wissen wir alle, dass die Praxis schwierig ist. Dass die Union als die Partei, die ja auch mit dafür war und auch Frau Merkel vorneweg, dass die Grenzen aufgemacht werden und die Menschen hier reinkommen, ohne kontrolliert zu werden, jetzt die Partei ist die sagt, es muss abgeschoben werden, verstehe ich. Ich verstehe, wie die Stimmung in der CDU ist. Aber natürlich muss man gucken, dass man A integriert, B, wenn man abschiebt, auch die entsprechenden Personal- und Ausweispapiere hat, und C muss man dafür sorgen, dass die kriminellen Ausländer abgeschoben werden. Dafür braucht man aber auch genug Bundespolizisten.
"Einen schwachen Staat können sich nur die Reichen leisten"
Barenberg: Wenn wir zum Schluss noch mal das Thema innere Sicherheit insgesamt in den Blick nehmen, kann man dann sagen, die neue Linie der SPD wird sein, mehr Strafen, härtere Strafen, mehr Abschiebungen, mehr Gesetze? Das alles bringt dann mehr Sicherheit?
Kahrs: Erstens gibt es keine neue Linie der SPD. Ich erinnere an den erfolgreichsten Bundesinnenminister der letzten Jahrzehnte, das war Otto Schily - SPD. Der hat das in der Sache durchgesetzt. Die letzten Bundesinnenminister, die alle von der Union gestellt waren, waren nicht so stark, haben nicht so dominiert, haben das nicht umsetzen können. Und was wir als SPD wollen ist ein starker Staat, ist das, was die Bürger verlangen können. Einen schwachen Staat können sich nur die Reichen leisten. Das kann sich nur Herr Lindner leisten oder eben die CDU. Wir wollen das nicht.
Barenberg: … sagt Johannes Kahrs, der Sprecher des Seeheimer Kreises in der SPD. Danke für die Zeit heute Morgen.
Kahrs: Immer gern! – Tschüss!
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