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Innere Sicherheit
"Natürlich muss man Ängste ernst nehmen"

Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger hat der Union vorgeworfen, die Debatte um die Vollverschleierung von Frauen für Wahlkampfzwecke zu nutzen. "Die Zahl der Personen, die in Deutschland mit einer Burka rumlaufen, ist sehr überschaubar", sagte die FDP-Politikern im DLF.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger im Gespräch mit Sarah Zerback |
    Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger spricht am 24.04.2016 in Berlin beim Bundesparteitag der FDP.
    Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (imago stock&people)
    Es gehe an der Realtiät vorbei, wenn die Union mit diesem Thema ihr Profil als Law-and-Order-Partei schärfen wolle. Leutheusser-Schnarrenberger warf den Parteien Symbolpolitik vor. Man müsse dem Bürger sagen, was ein Burka-Verbot tatsächlich für die innere Sicherheit bringe. "Mit diesen Debatte könnten neue Ängste geschürt werden", warnte die FDP-Politikerin.
    Offen zeigte sich Leutheusser-Schnarrenberger für die Forderung nach einer besseren Ausrüstung und Ausstattung der Polizei. Allerdings hätten diejenigen, die das nun verlangten, jahrelang nichts getan. Mit Blick auf die Terrorabwehr sieht die ehemalige Justizministerin nur begrenzte Möglichkeiten für einen Einsatz der Bundeswehr im Inneren, wie zum Beispiel bei ganz konkreten Gefährdungssituationen. Eine generelle Amtshilfe oder Zusammenarbeit mit der Polizei sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.

    Das Interview in voller Länge:
    Sarah Zerback: Die Angst vor terroristischen Anschlägen, vor Gewalt und vor muslimischen Zuwanderern grassiert. Da sollte es eine Demonstration der Stärke werden – die Innenminister der Union haben gestern gemeinsam mit dem Bundesinnenminister ihre Berliner Erklärung verabschiedet. Die war in Grundzügen schon vorab bekanntgeworden, und sie sollte vor allem eines klarmachen: Wer in Deutschland die Partei der inneren Sicherheit ist. Herausgekommen ist ein umfangreicher Forderungskatalog, ein Kompromiss in Teilen, auch eine Reaktion auf die Kritik der vergangenen Tage, daran, die Debatten um innere Sicherheit und Integration zu vermischen, und so ist nun nicht nur die Überschrift eine andere. Mit einigen der umstrittensten Punkte also konnten sich die Hardliner in der Union nicht durchsetzen, so wird es jetzt zum Beispiel nur eine Light-Version geben des Verbots der Vollverschleierung. Wir haben es gerade gehört. Dahinter stecken wohl eher juristische Vorbehalte, denn in der Bewertung, da ist man sich eigentlich doch einig.
    Bundesinnenminister de Maizière hat sich mit seinem Kompromissvorschlag durchgesetzt. Sicher auch das Ergebnis von heftigem Gegenwind, den es in den vergangenen Tagen und Wochen an dem Komplettverbot gegeben hat, einer der umstrittensten Maßnahmen. Zugehört hat jetzt Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, für die FDP war sie Bundesjustizministerin, und sie ist im Vorstand der liberalen Friedrich-Naumann-Stiftung. Guten Morgen, Frau Leutheusser-Schnarrenberger!
    Sabine Leutheusser-Schnarrenberger: Guten Morgen, Frau Zerback!
    Zerback: Wann sind Sie denn persönlich denn zum letzten Mal einer vollverschleierten Frau begegnet?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Ich bin einer vollverschleierten Frau kürzlich in Österreich begegnet. Sie kaufte ein in Kitzbühel, es gibt sie in Zell am See ganz vereinzelt, sie machen dort Urlaub, sind dort eine ganz begrenzte Zeit und fahren dann mit ihrer Familie wieder zurück, woher sie gekommen sind, aus einem arabischen Land. Also diese Debatte um die Vollverschleierung und ihr Verbot, die soll in meinen Augen wirklich zu Wahlkampfzwecken genützt werden, denn die Zahl derjenigen, die mit einer Burka oder einem Niqab rumlaufen in Deutschland ist sehr, sehr überschaubar. Das spielt da keine Rolle. Das mag einem gefallen oder nicht, aber damit zu meinen, man würde sein Profil als Partei der inneren Sicherheit, Law and Order, wie das ja auch die CSU immer so gerne sagt, fördern können, schärfen können, das geht wirklich an der Realität vorbei. Das ist so schade, dass man doch hier meint, mit solchen wiederum Symboldebatten, mit Signalen, die man setzen will, zu meinen, etwas für die innere Sicherheit zu tun, stattdessen werden eigentlich nur Debatten befördert, die wiederum auch Ängste schüren können.
    "Natürlich muss man Ängste ernst nehmen"
    Zerback: Das sehen ja die CDU-Innenminister Henkel und Caffier zum Beispiel aus Berlin und Mecklenburg-Vorpommern ganz anders. Ist es nicht richtig, die Ängste vieler Bürger ernst zu nehmen und zu reagieren, auch wenn es nur mit Signalen ist?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Natürlich muss man Ängste ernst nehmen. Man muss auch Gefährdungssituationen, man muss auch ganz konkrete Gefahren für die innere Sicherheit ernst nehmen. Das ist überhaupt keine Frage, das ist eine Aufgabe, der sich alle, nicht nur politischen Parteien, sondern Interessierte in unserer Gesellschaft widmen müssen, erst recht die Politik. Umso mehr ist die Politik gefordert, eben sich mit solchen Vorschlägen oder möglichen Lösungskonzepten zu befassen, die dann auch umgesetzt dazu führen, vielleicht Ängste zu nehmen, aber reine Symboldebatten, Signale setzen, wie es ja auch im Zusammenhang mit der Diskussion um die doppelte Staatsangehörigkeit und ihrer Einschränkung das Ziel ist, das erreicht gerade das nicht. Da muss ich den Bürgern auch offen sagen, was bringt es, Vollverschleierung zu verbieten für mehr Sicherheit? Was bringt es, die doppelte Staatsangehörigkeit wieder zurückzuführen? Die Union wollte sie wirklich nie haben, deshalb hatten wir ja auch so lange elendige Debatten. Was bringt es für die innere Sicherheit? Ich weiß ja noch nicht mal, wie viele Doppelstaater in Deutschland insgesamt leben. Also dann sollte man sich auf das konzentrieren, was man seit Jahren weiß, was gemacht werden muss, und deshalb ist natürlich diese Forderung mit mehr oder und besser ausgerüsteter Polizei vom Kern richtig, aber sie wird von denen gefordert, die jahrelang dafür auch nichts getan haben.
    Zerback: Ja gut, die FDP hat da in den letzten Jahren, als sie noch an der Regierung beziehungsweise in der Opposition war, ja auch im öffentlichen Dienst Personal abgebaut. Sie sagen, ein starker Staat, mehr Polizei, besser ausgestattet, da sind sich alle einig, da zieht auch die FDP mit. Brauchen wir da also in dieser Debatte doch einen starken Staat?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Wir brauchen in jedem Fall immer dann einen starken Staat, wenn es um die Kernaufgaben geht, die ein Staat wahrzunehmen hat, und das ist natürlich die Durchsetzung des Gewaltmonopols und die Aufgabenwahrnehmung mit Blick auf innere Sicherheit. Dann geht es natürlich darum, was bringt auch tatsächlich mehr innere Sicherheit. Was kann auch tatsächlich so zielführend eingesetzt werden, dass Anschläge verhindert werden, dass Gefährdungssituationen erkannt werden. Ich denke, man muss auch einmal ganz klar sagen, Polizei, die Sicherheitsbehörden, die sind doch gerade, wenn man sich die letzten Wochen und Monate vor Augen führt, viel besser, als man durch diese Debatten, auch durch diese Berliner Erklärung, jetzt meint. Sie haben viel verhindert, sie haben reagiert, aber wir wissen natürlich, gerade bei Einzeltätern, aus welcher Motivation heraus sie auch zu einem Messer, zu einer Waffe greifen, ja, da werden viele dieser ganzen jetzt diskutierten Maßnahmen leider auch nicht zielführend etwas bringen können.
    Zerback: Aber dann schauen wir doch mal, was Ihrer Meinung nach etwas bringen könnte. Wenn die Polizei dann also künftig so gut ausgestattet ist, könnte sie ja zum Beispiel gemeinsam mit der Bundeswehr auch für Sicherheit sorgen. Diese Debatte gibt es ja zur Abwehr terroristischer Gefahren, und da hat der Vorsitzende der Innenministerkonferenz, Klaus Bouillon, jetzt erwartet, dass das sogar im November schon dazu kommen kann, dass da die ersten Übungen stattfinden. Da gibt es ja besonders hohe rechtliche Hürden. Wird es dafür grünes Licht geben Ihrer Meinung nach?
    "Das wird verfassungsrechtlich nicht gehen, und es ist auch richtig so"
    Leutheusser-Schnarrenberger: Alles, was unterhalb dessen passieren kann, was mit einer grundlegenden Verfassungsänderung nur geboten wäre, da denke ich, da wird natürlich es wahrscheinlich eher eine Verständigung geben, nämlich da, wo im Rahmen dessen, was das Bundesverfassungsgericht für möglich hält, und dazu gibt es ja Entscheidungen aus den letzten Jahren, da wird es auch die Hilfe, die Amtshilfe geben können in schwierigen Situationen, aber was es eben nicht geben kann, ist, zu sagen, die Polizei, die wird nicht weiter ausgestattet, stattdessen greifen wir auf alles zurück, was die Bundeswehr hat, auch wenn dafür die Anforderungen nicht vorliegen. Deshalb ja gerade die Forderung, da, wo es notwendig ist, die Polizisten und die Sicherheitsbehörden besser auszurüsten, auszustatten, auch technisch auszustatten, das dort zu tun. Also da gibt es einen gewissen Handlungsspielraum im Rahmen dessen, was heute verfassungsrechtlich möglich ist, und ich denke, es muss immer das …
    Zerback: Aber verstehe ich Sie da richtig, beides gleichzeitig, das würden Sie unterstreichen, also sowohl die Polizei besser ausstatten als aber auch die Zusammenarbeit mit der Bundeswehr im Inneren zur terroristischen Abwehr?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Eine Zusammenarbeit mit der Bundeswehr in diesem Sinne wird es verfassungsrechtlich nicht geben können. Es kann in bestimmten Situationen bei ganz konkreten Gefährdungssituationen, wenn wir Katastrophen auch mit Blick auf Gefährdung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung haben, dann darf auch auf Ausrüstung der Bundeswehr zurückgegriffen werden, aber es darf nicht bei der generellen Polizeiaufgabe, bei Wahrnehmung der Aufgaben, der täglichen Aufgaben der Polizei auf die Bundeswehr zurückgegriffen werden. Das wird verfassungsrechtlich nicht gehen, und es ist auch richtig so.
    Zerback: Aber es ist ja eine Lösung, für die auch die Bundesverteidigungsministerin kämpft, und wenn wir da mal ins Nachbarland Frankreich schauen oder in die USA etwa, da gibt es ja ähnliche Konstrukte – warum sollen wir da nicht von, ja, man muss es sagen, terrorerfahrenen Ländern lernen?
    "Dazu ist die Verfassung zu schade"
    Leutheusser-Schnarrenberger: Weil viele anderen europäische Länder ein anderes Verständnis haben von der Aufgabe des jeweiligen Militärs, auch im eigenen Land, und in Deutschland gibt es eben aus sehr, sehr guten Gründen dort eine Zurückhaltung, nicht das generelle Nein, auch die Bundeswehr einzusetzen, aber nur in ganz konkreten Gefährdungssituationen, und ich denke, es ist auch absolut richtig, es so zu handhaben. Ich habe keine Forderung der Verteidigungsministerin gehört, hier das Grundgesetz zu ändern, und auch das wäre eine reine Symboldebatte. Ich denke, da geht viel, und deshalb sollte man das, was geht, auch machen, aber nicht immer Forderungen in den Raum stellen, die nur Absolutforderungen sind und die immer damit verbunden sind, Symbole oder Signale zu setzen. Dazu ist die Verfassung zu schade, dazu ist sie nicht da, denn auch sie ist konstitutiv für unser Zusammenleben.
    Zerback: Dann schauen wir doch mal, was sonst noch so gehen könnte. Da soll ja auch zum Beispiel an digitalen Befugnissen sich vieles ändern, also die Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen soll ausgebaut werden, die Frist für die Vorratsdatenspeicherung soll ausgeweitet werden, auch Anbieter von E-Mail-Diensten, von sozialen Medien sollen verpflichtet werden, Kommunikation zu speichern, wo man doch weiß, dass sich viele Gefährder, viele Terroristen über die sozialen Netzwerke online austauschen. Die FDP hat da immer gebremst, wenn es um Lauschangriff oder Einschränkungen beim Datenschutz ging. Ist sie da zu weit gegangen, hätte man das machen müssen?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Die FDP, denke ich, hat dort insofern eine wirklich notwendige richtige, klare Haltung gehabt, weil sie immer darauf gedrängt hat, dass natürlich auf der einen Seite auch in gewissem Umfang Videoüberwachung zulässig ist, auch erlaubt ist, auch dazu brauche ich keinerlei Gesetz zu ändern. Wenn ich sage, an gewissen Gefährdungspunkten will ich jetzt mehr Videoüberwachung haben, das kann man machen. In vielen Bereichen sind die Länder dafür zuständig. Das können die Länder tun. Da brauche ich nicht ein Papier zu verabschieden, in dem drinsteht, Videoüberwachung soll ausgebaut werden. Wenn sie das meinen, sie können identifizieren, die Orte, wo das wirklich geboten ist und auch machbar ist, dann ist das heute schon aufgrund der Polizeigesetze ein Einfaches, es zu tun, da muss ich nicht einfach hier wieder so eine Erklärung verabschieden. Sie sollen es machen. Sie sollen nicht nur die Polizisten mit ihren Stellen besser ausstatten, die Polizei, sondern sie sollen eben Leute einstellen. Die FPD hat es – da war ich damals an verantwortlicher Stelle – wirklich auch in Bayern überhaupt erst erreicht, dass es eine Kehrtwende gab von Kürzung bei der Polizei hin endlich mal wieder zu mehr Stellen.
    Zerback: Frau Leutheusser-Schnarrenberger, ich muss Sie ganz kurz unterbrechen, weil wir auf die Nachrichten zulaufen. Noch ganz kurz zum Schluss: Sind wir dabei, jetzt vor lauter Terrorangst die Freiheit in Deutschland zu opfern?
    Leutheusser-Schnarrenberger: Nein, bin ich natürlich nicht dabei, weil dann gibt man beides auf: Man hat nicht nur mehr Sicherheit, sondern man gibt auch die notwendigen Freiheitsrechte auf, und deshalb ist Augenmaß, Abwägung, und deshalb ist auch eben der Weg richtig, nicht zu sagen, die Vorratsdatenspeicherung, die überhaupt nicht diese Erkenntnisse bringt, die man braucht, weiter auszudehnen – das wird wieder nur … (Abbruch)
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.