Die Fraktionschefin der Grünen wehrte sich gegen den Vorwurf, es Extremisten zu leicht zu machen: "Wir werden und wollen mit Gefährdern hart umgehen", sagte Göring-Eckardt. Zuerst müsse aber genau definiert werden, was ein Gefährder sei. Im Fall des Attentäters von Berlin habe es Defizite gegeben. Die müssten zunächst genau ausgewertet werden. Die Bundesregierung suche aber nicht nach wirksamen Maßnahmen, sondern versuche mit Symbolattacken, die Menschen zu beruhigen.
Einschränkung von Grundrechten möglich
Die Grünen-Politikerin sagte, wenn jemand eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstelle, könne er auch inhaftiert werden. Dann seien auch lückenlose Überwachung, Einschränkungen beim Telekommunikationsrecht und eine Meldepflicht möglich. Man könne aber nicht jemanden, nur weil er einen Spruch gemacht habe, hinter Gitter setzen. Göring-Eckardt verwies auch auf ihre Kindheits-Erfahrungen in der DDR: "Da konnte man wegen Gesinnung eingesperrt werden. Das wollen wir nicht in der Demokratie."
Göring-Eckardt erneuerte die Forderung der Grünen nach mehr und besser ausgestatteten Polizisten, um eine umfassende Überwachung mutmaßlicher Extremisten zu gewährleisten. Außerdem warf sie der Bundesregierung vor, sich zu wenig um Rücknahmeabkommen mit den Herkunftsländern von Asylbewerbern zu kümmern. So habe die Bundeskanzlerin erst nach dem Anschlag in Berlin mit ihrem Kollegen in Tunesien telefoniert.
Das Interview in voller Länge:
Christoph Heinemann: Wie können die Behörden die Bevölkerung vor Gefährdern schützen, vor ausländischen und vor solchen mit deutschen Papieren? Darüber haben Thomas de Maizière (CDU) und Heiko Maas (SPD) gestern beraten, der Bundesinnen- und der Justizminister. Nebenbei fragen sich viele Menschen hierzulande außerdem, welche Folgen es haben muss, dass sich auch in der letzten Silvesternacht wieder Hunderte Nordafrikaner auf den Weg nach Köln begeben haben. Mutmaßlich führten diese Leute nichts Gutes im Schilde. Dank der Polizei konnten in diesem Jahr Straftaten verhindert werden. Simone Peter, die Co-Vorsitzende der Grünen, hatte diesen Einsatz kritisiert und hat dafür sehr viel Unverständnis geerntet, auch Hassmails. Am Telefon ist Katrin Göring-Eckardt, Co-Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Guten Morgen.
Katrin Göring-Eckardt: Schönen guten Morgen, Herr Heinemann.
Heinemann: Frau Göring-Eckardt, wird Deutschland so sicherer?
Göring-Eckardt: Na ja. Wenn man sich die Regelungen anschaut, dann sind das zum Teil welche, die schon lange im Gespräch sind. Das sind zum Teil welche beziehungsweise insgesamt welche, wo wir noch nicht auf dem Papier wissen, wie es eigentlich gehen soll. Ob Deutschland damit sicherer wird, das kann man bestimmt nicht grundsätzlich beantworten. Wir sind gerne bereit, über alles zu diskutieren, was das Ganze effektiver macht, was das Ganze aber auch rechtsstaatlich lässt. Das ist ja immer die Frage bei solchen neuen Sicherheitsgesetzen. Wenn man den Rechtsstaat aufgibt, dann macht man ja genau das, was die Terroristen wollen. Was ich mir sehr gewünscht hätte wäre, dass man mal genau analysiert, was ist eigentlich gerade im Fall Amri passiert und welche Vollzugsdefizite hat es gegeben. Ich habe den Eindruck, das was die beiden jetzt machen ist auch ein Ablenkungsmanöver davon, dass sehr viele Defizite bei der Umsetzung der bestehenden Gesetze bestehen, und das macht mich, ehrlich gesagt, unruhig, weil das nämlich nicht heißt, dass man was Effektives und was Wirksames machen will, sondern weiterhin versucht, mit Symbolattacken Leute zu beruhigen.
"Wir werden und wollen mit den Gefährdern hart umgehen"
Heinemann: Was heißt Symbolattacken? Frank Capellan hat es ja gerade gesagt: Dort wo die Grünen mitregieren, kommt es kaum zu Abschiebehaft. Können sich Gefährder auf die deutschen Grünen verlassen?
Göring-Eckardt: Nein, ganz bestimmt nicht. Wir werden und wollen mit den Gefährdern hart umgehen. Wir waren diejenigen übrigens, die gefordert haben, dass diejenigen, die im Land sind - von den 550 sind das ja nicht alle -, tatsächlich überwacht werden. Ich finde, das ist eines der Armutszeugnisse, von denen man jetzt eindeutig reden muss, dass diese Gefährder …
Heinemann: Ganz konkret gefragt. Gehören Gefährder hinter Gitter?
Göring-Eckardt: Ganz konkret geantwortet, finde ich: Erstens den Rechtsstaat beachten. Wenn diese Gefährder eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit sind, so war die Formulierung, dann kann man auch das machen. Aber man kann natürlich nicht jemanden, nur weil er einen harten Spruch gemacht hat, schon hinter Gitter setzen. Deswegen geht es schon damit los, dass wir eine klare Definition für diese Gefährder brauchen und wissen müssen, wer ist das eigentlich. Dann ist Überwachung, und zwar lückenlose Überwachung, gerne auch Einschränkungen, beispielsweise Einschränkung beim Telekommunikationsrecht, gerne auch die klare Ansage, wo muss sich jemand aufhalten, und Meldepflichten gehören dazu. Und übrigens eine Sache, die die beiden überhaupt nicht besprochen haben: eine Verschärfung des Waffenrechtes. Dass die Waffenlobby es immer noch hinbekommt, dass darüber nicht gesprochen wird, auch Herr Amri hatte ja offensichtlich wieder eine illegale Waffe, ist ein weiteres Armutszeugnis.
Heinemann: Aber noch mal ganz konkret. Bleiben wir doch noch mal bei der Gefährdersituation. Die Lage ist, dass es dort, wo die Grünen mitregieren, nicht dazu kommt, dass Gefährder hinter Gitter kommen, dort, wie Sie gerade gesagt haben, wo sie hingehören. Was heißt das jetzt für die etwa 550 Gefährder? Sollte man die in Zukunft möglichst schnell hinter Gitter bekommen?
Göring-Eckardt: Wenn es Gefährder sind, bei denen man davon ausgehen muss, dass sie eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit unmittelbar sind, dann kann man das tun. Dann kann man verschiedene Varianten der Überwachung anwenden. Das ist mal das Erste. Weil wir müssen dafür sorgen, dass genügend Polizei da ist, dass diese Leute überwacht werden, und wir können im Rechtsstaat niemanden hinter Gitter bringen, nur weil er einen Satz gesagt hat, sondern wenn er wirklich eine Gefahr ist, dann kann man das machen. Aber das ist eine der Fragen, die wir im Rechtsstaat in aller Ruhe miteinander diskutieren müssen, was unsere Verfassung angeht. Ich bin in der DDR groß geworden, da konnte man schon mal wegen Gesinnung eingesperrt werden. Das wollen wir ja ganz bestimmt nicht in der Demokratie und deswegen muss man sich die Frage stellen, deswegen will ich auch sehen, was da aufgeschrieben wird, wann ist ein Gefährder ein Gefährder und was bedeutet das auch tatsächlich für unser Strafrecht, geht das. Man kann heute schon in Abschiebehaft nehmen, das muss man umsetzen in der Tat. Übrigens das, was Herr Capellan gesagt hat, dass es gar keine Abschiebung gäbe in bestimmten Ländern, das stimmt natürlich nicht, weil es Verträge gibt dann mit anderen Ländern, die das machen.
"Rücknahme-Abkommen wirklich mit Nachdruck betreiben"
Heinemann: Er hat gesagt, schwieriger sei das dort. - Kann man Maghrebiner noch ins Land lassen, wenn man weiß, dass man sie schwer wieder los wird, oder überhaupt nicht?
Göring-Eckardt: Unser Asylrecht ist ja so, dass man jemanden nicht reinlässt, weil er aus irgendeinem Land kommt, sondern wir haben Grundrechte auf Asyl. Aber was ich erwarte und was ich von der Bundesregierung dringend erwarte ist, dass sie diese Rücknahme-Abkommen wirklich mit Nachdruck betreiben, und das erlebe ich eben nicht.
Heinemann: Mit welchem Druckmittel?
Göring-Eckardt: Wir erleben ganz viele Reden darüber, was man alles machen müsste. Die Bundeskanzlerin hat erst nach dem Anschlag in Berlin mit ihrem Kollegen in Tunesien telefoniert und eben nicht vorher. Das wird - das haben Sie in Ihrem Beitrag ja auch deutlich gemacht - eine Aufgabe des Außenministers sein. Die Druckmittel oder die anderen Mittel, um die da die Rede ist, die muss man sich mal auf den Tisch legen. Wir haben europäische Verhandlungen zum Beispiel über die Frage, ob es eigentlich für Studierende oder für Geschäftsleute leichter sein soll, mit Visa-Erleichterungen hier zu arbeiten, um dann dafür zu sorgen, dass auf diese Weise die Maghreb-Staaten sagen, na klar, dann nehmen wir auch Leute wieder zurück. Ich glaube, hier ist noch längst nicht alles ausgereizt, was ausgereizt werden kann. Und wenn dann über Sanktionen geredet wird, dann habe ich auch den Eindruck, das ist eher eine Symboldebatte als etwas, was wirklich innerhalb der Bundesregierung auch nur abgesprochen wäre. Das haben wir gestern von Herrn Müller ja gehört.
Heinemann: Wenn weiterhin die Maghreb-Staaten nicht als sichere Herkunftsländer eingestuft werden, dann nimmt man billigend in Kauf, dass auch die mutmaßlichen Straftäter aus diesen Ländern weiterhin hier Asyl beantragen können und sich hier einrichten können.
Göring-Eckardt: Asyl beantragen kann man auch bei sicheren Herkunftsländern. Das ist überhaupt nicht die Frage. Die Frage ist, wie schnell sind die Verfahren.
Heinemann: Die Antragstellung ja, aber die werden natürlich dann nicht bewilligt.
Göring-Eckardt: Genau. Aber wir haben ja bei den Maghreb-Staaten hier vor allen Dingen Leute, deren Asylantrag nicht bewilligt worden ist, die nachvollziehbar ausweisepflichtig sind, die zum Beispiel im Land Nordrhein-Westfalen auch gar nicht mehr an Kommunen verteilt werden und sich, wie Sie sagen, einrichten können. Und die Frage ist, warum können sie nicht zurückgeführt werden und warum kann insbesondere jemand, der als Gefährder eingestuft worden ist, nicht zurückgeführt werden. Und noch mal: Wir haben im Fall Amri eine ganze Reihe nachvollziehbarer Defizite in der Umsetzung und ich finde, das gehört dazu, dass wir nicht jetzt Ablenkungsmanöver machen von jemandem, der mit seiner Partei zwölf Jahre die Sicherheitsorgane dieses Landes verantwortet, das Innenministerium stellt, den Verfassungsschutz beaufsichtigt und so weiter, und jetzt mit neuen Debatten kommt, was man gesetzlich macht, ohne ausgewertet zu haben, was ist eigentlich alles schiefgegangen nach den bestehenden Gesetzen. Das erwarte ich von einer Regierung und auch vom Bundesinnenminister. Alles andere macht nicht mehr Sicherheit.
"Wir fordern seit Jahren mehr Polizei"
Heinemann: Schauen wir uns noch die politischen Kollateralschäden an. Könnte sich Simone Peters Polizeischelte, die Kritik an dem Polizeieinsatz von Silvester im Bundestagswahlkampf für die Grünen zu etwas Ähnlichem entwickeln wie dem Veggieday von 2013?
Göring-Eckardt: Das ist ja nun sehr eindeutig, dass sich alle, auch Simone Peter ja bei der Polizei für ihren Einsatz bedankt haben. Es wird auch immer so bleiben und das ist auch völlig unabhängig von Silvester oder nicht Silvester, dass man über Polizeieinsätze hinterher redet und eine Analyse dessen macht, was ist gut gelaufen, was ist schlecht gelaufen. Das macht die Polizei selber. Wir fordern seit Jahren mehr Polizei, eine gut ausgestattete Polizei, und auch das muss man der Union vor allen Dingen ins Stammbuch schreiben, weil den Abbau von Polizeien im Bund wie in den Ländern hat die Union zu verantworten. Und ehrlich gesagt, das nun auf die Grünen zu schieben, ist ziemlich absurd. Wir wollen gerne regieren, aber wir tun es eben leider seit geraumer Zeit nicht, und die Verantwortung ist nicht bei uns.
Heinemann: Katrin Göring-Eckardt, die Co-Vorsitzende der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bundestag. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören.
Göring-Eckardt: Ich bedanke mich auch und wünsche einen schönen Tag.
Heinemann: Gleichfalls!
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