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Innerhalb des Gefrierpunktes

Nachdem in den cineastischen Zeitreisen aus Hollywood der Blick ins Innere des Körpers zum guten Ton gehört – denn auch die Matrix hält den Lauf einer Kugel durchs Fleisch nicht auf - war es nur eine Frage der Zeit, bis auch Theaterautoren ihre Selbstvergewisserungsbemühungen als Stimmencollage ins Innere eines Organismus verlegen. Die Düsseldorfer Bühne jedenfalls sieht aus, wie der Normalsterbliche sich seinen Dickdarm vorstellt, wenn dort keine schmutzigen Geschäfte verrichtet werden: ein weißer, lappiger Schaumstofftunnel, den Bühnenbildner Franz Lehr mit Ausklumpungen von allen Seiten, leuchtenden Tentakeln und Riesenstalagmiten versehen hat, alles schön 70er-jahremäßig ausgesägt und ebenso kuschelig beleuchtet, ein schöner Raum für die Introspektion. Dass, was dann kommt, in nichts den "aus dem Bauch raus"-Gefühligkeiten der jüngeren Dichtergeneration ähnelt, kann mit dem Alter des Autors zusammenhängen – er ist Jahrgang 1952 - und mit seiner Profession. Denn Anselm Glück hat sein Stück für das Grazer Kulturhauptstadtprojekt "sprachmusik" geschrieben, und ganz offensichtlich ist er ein Nachfahr der Sprachkünstler der "Wiener Gruppe" ebenso wie der Surrealisten oder Samuel Becketts. Mit Hilfe des Regisseurs Philipp Tiedemann, der den Text auf fünf Figuren aufgeteilt hat, wird hier nämlich höchst-durchdacht Sinnsuche im Nichts betrieben.

Karin Fischer berichtet |
    Die Gestalten, die sich in dem belebten Körper eingenistet haben, sind fremde Wesen in einer Art Raumschiff-Enterprise-Version von Anstaltskleidung, weiß, mit rotgeränderten blicklosen Augen. Das Parasitentreffen im ICH gleicht streckenweise einer Salonunterhaltung über den Sinn des Lebens, ist desillusionierende Alltagsanalyse ebenso wie musikalisch unterstützte Reise durch das Eigen-Sein im Eigen-Heim. Nicht zuletzt stellt es die ernsteste Frage der Welt, die nach dem Sitz des Ichs, nach seinem Wesen, seinen Möglichkeiten, nach dem Ort der Macht. Doch mit dieser 'musikalischen Dehydrierung’ der Sprache in den menschlichen Eingeweiden, mit Wechselsprechgesang und rhythmischer Verdoppelung werden nicht nur Textbausteine verhackstückt, sondern eine neue Ebene eingezogen: nicht des Sinns, sondern des höheren Schwachsinns, der die Rede von Mimikry, von Es und Ich zur unterhaltsamen Dada-Veranstaltung mutieren lässt. Deshalb tut der einzig ziemlich aus der Wirklichkeit gegriffene Trennungsdialog ebenso wenig weh wie die halsbrecherischen Klettereien an der Darmwand oder die Reduzierung der Sätze auf Neandertal-Niveau oder Indianer-Latein.

    So wird ein experimenteller Sprach-Raum über den Umweg des Kitsch-Labyrinths zum Labor für angewandte Bewältigungsstrategien. Sehr unterhaltsam ist das, und am Ende doch ein bisschen zu harmlos. Aber wie sagte einer jener fünf, die immer ICH sagen: "Ich hatte immerhin eine Methode!".

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