Fahrradfahrer, e-Roller, Autos: Sie alle sind potentielle Gefahren für Fußgänger, so diese Stimmen aus einer Fußgängerzone in Bodenseenähe. Doch eigentlich liege das Problem in einer schlecht durchdachten Fußgänger-Infrastruktur, findet Winfried Hermann, grüner Verkehrsminister in Baden-Württemberg, auf dem 3. Deutschen Fußverkehrskongress in Stuttgart: "Es muss zum Beispiel die Zuführung, zum Bahnhof, zur Haltestelle – die müssen halt gut gestaltet sein. Wir können oft beobachten, dass die Fußwege nicht direkt sind, sondern indirekt geführt werden, umwegig sind. Vor allem wenn eine große Straße dazwischen ist, dann haben sie als Fußgänger große Nachteile. Da werden Sie schier verrückt, weil sie immer nur zur Hälfte rüberkommen, dann ist wieder rot. Und es kommen wieder Autos. Da hat man als Fußgänger bald keine Lust mehr!"
Anteil des Fußverkehrs soll steigen
Probleme, die in vielen bundesdeutschen Großstädten zutage treten, so der baden-württembergische Verkehrsminister, der daher fordert: "Ich möchte daher, dass wir eine nationale Strategie für Fußverkehr entwickeln. Das hat es ja so bisher auch noch nicht gegeben."
Das soll es aber in Zukunft geben. Hermann verwies in Stuttgart auf einen aktuellen einstimmigen Beschluss der Verkehrsminister aller Bundesländer. Inhalt: Kommunen, Länder und Bund sollen gemeinsam einen solchen nationalen Fußverkehrsplan in Angriff nehmen. Das Ziel bis im Jahr 2030: Der Anteil des Fußverkehrs am innerstädtischen Gesamtverkehr, der derzeit bei etwa 20 Prozent liegt, soll bis in zehn Jahren auf 30 Prozent steigen.
"Wir brauchen natürlich einigermaßen ambitionierte Ziele, wenn wir wirklich die Verkehrswende schaffen wollen, wenn wir wirklich das Klimaschutzziel erreichen wollen und auch die Lebensqualität verbessern wollen."
Als erstes müssten im Rahmen eines nationalen Fußverkehrsplans die gesetzlichen Rahmenbedingungen geändert werden, meint Ute Bauer vom Deutschen Institut für Urbanistik in Berlin. Als Grundlage dafür gilt bis heute die Straßenverkehrsordnung, die in wesentlichen Zügen aus den 30er Jahren stammt – mit einem Rechtsrahmen "der ja eigentlich bislang davon ausgeht, den fließenden Verkehr so wenig wie möglich zu stören. Fußgänger werden an den Rand gedrängt, müssen die Fahrbahn an den rechten Winkel auf dem schnellsten Wege und nur an den vorgesehenen Stellen überqueren und sollen so wenig wie möglich stören. Das ist alles nicht mehr zeitgemäß."
Deshalb werde ein neues Bundesmobilitätsgesetz benötigt, dass die einzelnen Verkehrsarten gleichberechtigt behandelt. Zudem müsse die Standardgeschwindigkeit für den Autoverkehr von bislang 50 auf zukünftig 30 Stundenkilometer in geschlossenen Ortschaften herabgesetzt werden. Daneben sieht Ute Bauer Bund und Bundesländer in der Pflicht, eigene Zuschussprogramme für den Fußverkehr aufzulegen. Aber was könnte damit konkret finanziert werden?
Vorbild Leipzig
"Ich möchte auf ein Modell eingehen, was die strategische Dimension von Fußverkehrsförderung ganz gut demonstriert: Nämlich das Modell der Flaniermeilen in Leipzig."
Friedemann Goerl arbeitet als kommunaler Fußverkehrsverantwortlicher der Stadt Leipzig. Beim Projekt "Flaniermeilen" wird durch sechs Meter breite Fußgänger-Wege durch die Altstadt nicht nur der Spaß am Flanieren gesteigert. Wichtig sei auch eine Vernetzung des kompletten Stadtgebietes durch solche breiten Wege.
"Die Idee ist, das Stadtzentrum, was in Leipzig sehr isoliert ist, mit den äußeren Stadtvierteln zu verzahnen. Damit mehr Fußverkehr auch attraktiv auch durch die Stadt flanieren kann."
Eine Idee, die auch für andere Städte attraktiv sein könnte. Mehr Fußgänger, weniger Autos: Um die im Pariser Klimaabkommen vereinbarten Ziele zu erreichen, sei ein nationaler Fußverkehrsplan unabdingbar, glaubt Christoph Erdmenger vom baden-württembergischen Verkehrsministerium. Die Vorgabe: In wenigen Jahren müsse der innerstädtische Autoverkehr um etwa ein Drittel reduziert werden.
"Und für den Fußverkehr ist das eine riesige Verheißung. Denn wenn sie ein Drittel weniger Autos in den Städten haben, dann können sie ausrechnen, wie viele Stellplätze dann wegfallen. Wir werden anderen Verkehr in den Städten haben. Und das wird toll!"