"Eine typische Geschichte versuchen wir immer adäquat auf den einzelnen Kanälen auszuspielen. Aber was bei uns vielleicht anders ist, dass die Redaktion, die die interaktiven Elemente entwickelt, selbstständig die jeweilige Geschichte auswählt. Neulich beispielsweise hatten wir einen virtuellen Flug durch eines der größten Immobilienprojekte in New York, die Hudson Yards. Da haben sie beschlossen, das zu visualisieren, da arbeiten sie völlig unabhängig als eigenständige Redaktion."
Erklärt Nick Rockwell, der seit 2015 sogenannter "Chief Technology Officer" der "New York Times" ist. Rockwell hält sehr viel vom klassischen Journalismus, der das Herzstück der Zeitung sei, wie er es formuliert – man möchte sich so wenig wie möglich abhängig machen von der Werbung, vom Clickbaiting, von irgendwelchen reißerischen Fotos oder Artikeln, nur um Klicks und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Daher, so Rockwell, seien die zahlenden Abonnenten so wichtig: Sie finanzieren die Zeitung, die eben nicht zu einer beliebigen Nachrichtenquelle werden soll, sondern mit ihrer Reputation und ihren guten Geschichten Geld verdient.
"Wir versuchen, nicht auf die Klicks zu schauen"
"Unsere Website wird zum Beispiel komplett von Hand kuratiert. Sie repräsentiert das, von dem wir glauben, das müssen Sie wissen. Wir haben zwar auch eine personalisierte Website, aber das ist eine andere Sektion. Wir versuchen wirklich, nicht auf die Klicks zu schauen. Anfangs hatten wir Angst, dass mit den genauen Zahlen, die jeder Redakteur einsehen kann, genau dieses Clickbaiting passieren würde, aber das hat es nicht. Wir haben da eine starke journalistische Kultur in der Redaktion – die Redakteure können die Zahlen zwar einsehen, aber das beeinflusst nicht unbedingt die Auswahl der Themen, eben das, was wichtig ist."
Und doch: Auch die "New York Times" musste sich verändern. Nur zögerlich hat die Redaktion eine personalisierte Sektion eingeführt. Nun hat man sich darauf verständigt, dass die Titelseite der "Times" für alle Leser weitgehend gleich aussieht. Nick Rockwell sagt: Personalisierung ja, aber nur in kleinen Dosierungen. Solch eine Aussage würde man nicht von allen Zeitungsmachern hören. Vor allem nicht in Deutschland: In vielen Redaktionen setzt man, mangels ausreichend zahlender Digital-Abonnenten, noch immer meist auf Klickzahlen und hofft, so über die Runden zu kommen.
Von 1100 auf 1600 Mitarbeiter gewachsen
Die Redaktion der "New York Times" hat sich in den letzten Jahren stark verändert. Ältere Journalistinnen und Journalisten haben sich verabschiedet, dafür sind jüngere Kollegen nachgekommen. Die Redaktion ist in den letzten Jahren um die Hälfte, von 1100 auf 1600 Mitarbeiter, angewachsen, von denen viele neue Kompetenzen mitbringen, sagt Nick Rockwell:
"Es gibt heute mehr Kollegen in der Redaktion, die zum Beispiel Internetdesign beherrschen, Datenjournalisten, Programmierer, die auch interaktive Elemente entwickeln können. Es ist eine Mischung aus Leuten, aber die Redaktion legt Wert darauf, guten Journalismus zu machen, und das sollte auch so bleiben."
Technisches Wissen unverzichtbar
Nick Rockwell meint, dass die neuen Kompetenzen der jüngeren Kollegen eher eine Erweiterung des journalistischen Profils darstellen denn eine Verengung:
"Oft ist es schon so, dass man technische Kenntnisse benötigt, oder zumindest darüber nachdenken muss, etwa wenn es darum geht die Panama Papers auszuwerten oder große Datenmengen. Das ist schon eine Herausforderung. Das verändert auch ein bisschen die Art, wie Journalismus heute funktioniert."
Die "New York Times" setzt längst nicht mehr nur auf Texte und Fotos. Teil der Website sind heute viele Videos, Podcasts wie "The Daily", sogar Buch- und Musikapps und manchmal hochaufwändige interaktive Features, wie etwa vor sechs Jahren "Snowfall", die Geschichte eines Ski-Unglücks, bei dem drei bekannte Skifahrer durch eine Lawine umkamen. Alleine dieses Projekt kostete über eine Million Dollar.
Zahl der Digital-Abos verdoppelt
In den letzten Jahren ist das Bedürfnis nach gutem Journalismus in den USA stark gestiegen. Allein die "New York Times" hat in den letzten zwei Jahren die Zahl ihrer Digital-Abonnenten von 1,2 auf 2,4 Millionen verdoppelt. Ziel für die nächsten Jahre ist es, zehn Millionen zahlende Abonnenten zu bekommen. Da müsse man noch mehr in die Redaktion investieren, meint Rockwell, und vielleicht auch noch das eine oder andere zusätzliche Produkt auf den Markt bringen. Doch was könnte das sein?
"Da gibt es immer etwas Neues. Wir entwickeln zum Beispiel gerade eine wöchentliche lange Fernsehsendung namens 'The Weekly', zusammen mit dem Sender FX und der Plattform Hulu, die im Juni herauskommen wird. Wir werden sehen, wie das wird, ob das eine neue Kohorte von Lesern bringen wird, aber klar ist, wir werden noch viele neue Dinge ausprobieren müssen."