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Innovative Lehrmethoden
Pädagogische Einzelkämpfer haben es schwerer

Das Schulsystem ist in Bewegung gekommen, neue Lehrformen werden ausprobiert. Wer aber ungewöhnliche oder grenzüberschreitende Formen und Inhalte einsetzen möchte, scheitert oft an bestehenden Strukturen. Ein Workshop erklärt, was innovativen Unterricht ausmacht.

Von Philipp Banse |
Ein Junge sitzt in einem Klassenraum und arbeitet mit einem Tablet.
Lehrkräfte brauchen oft einen langen Atmen, wenn sie innovative Lehrmethoden einführen wollen. (imago stock&people/ZUMA press)
Im Seminarraum einer Galerie in Berlin Mitte. Rund 20 Männer und Frauen sitzen um einen Tisch mit Zeichenmaterial. Die meisten von ihnen unterrichten – an Hochschulen, in Museen, an Grundschulen oder Gymnasien. Oder sie werden bald unterrichten, so wie Maria Leng. Sie studiert seit 5 Jahren auf Grundschullehramt an der Uni Potsdam. Jetzt 2 Tage Workshop über "Rebellious Teaching", rebellisches Unterrichten - warum?
"Weil ich im nächsten Jahr plane, mein Referendariat zu starten und im Moment - auch durch die praktischen Erfahrungen im Studium – auch merke, dass ich auch doch, wenn ich Regelschulen besuche, frustriert bin, dass man sich doch schnell erwischt dabei, sich nur im Schulsystem anzupassen und deshalb wollte ich mir mal Inspirationen holen."
Reden, klare Ziele, Unterstützung suchen
Frustrierte Lehramtsstudierende wie Maria Leng haben die Kunsthistorikerin Nausikaä El-Mecky, die selber viele zukünftige Lehrende ausbildet, dazu bewegt, in einem Workshop mal darüber nachzudenken, wie neue Ideen, Inhalte und Methoden in der oft starren Praxis überleben und gedeihen können. Sie nennt drei Faktoren:
"Erstens geht es darum, sich zu trauen, Sachen anzusprechen, die vielleicht ungern besprochen werden, die gegen ungeschriebene Gesetze verstoßen. Zweitens geht es darum: Man muss ein ganz, ganz klares Ziel haben. Es geht nicht um Rebellion der Rebellion willen, sondern die Rebellion ist Mittel, um Sachen anzusprechen, um Sachen auszuprobieren. Und man braucht Unterstützung. Wir sind gestern im Gruppengespräch drauf gekommen: Man braucht seine Crew, seine Posse, die einen unterstützen."
Mit der Klasse auch mal über Pornos reden
"Ich bin Madita Oeming, ich unterrichte Pornografie-Seminare und möchte da meine Erfahrungen hier teilen, die Herausforderungen, die das mit sich bringt, aber auch warum ich es für wertvoll halte, das zu machen." Madita Oeming schreibt an der Uni Paderborn ihre Doktorarbeit zum Thema Pornografie und gibt an der FU Berlin Amerikanistik-Seminare mit dem Titel "Porn in the USA".
"Natürlich sind wir nicht mehr in 1950, aber gerade wenn es zum Beispiel auch um Sexualaufklärung geht, kriege ich immer wieder mit aus verschiedenen Bundesländern, dass da immer noch wenig gesprochen wird über Themen wie Homosexualität, Lust, Masturbation, Pornografie, Sexarbeit. Es gibt immer noch viele Tabuthemen. Wir hängen da immer noch sehr im Biologischen fest: Wie werde ich nicht schwanger und wie kriege ich keine Krankheit. Das ist das, was wir unseren Schülerinnen und Schülern zur Sexualität mitgeben. Und das ist zu wenig."
Lehrende könnten - so ihre Empfehlung - auch mit Minderjährigen Making-of-Filme von Pornos schauen – ohne explizite Szenen. So könnte ein Gespräch entstehen über Gefühle, Rollenbilder und Macht von Medien.
Im Bild vorne Nausikaä El-Mecky (links), Christian Stein (rechts), im Hintergrund ein Klassenzimmer mit Jugendlichen
Nausikaä El-Mecky und Christian Stein haben einen Workshop zum Thema "Rebellious Teaching" an der Jungen Akademie, einem Ableger der Akademie der Wissenschaften, durchgeführt (Deutschlandfunk / Philipp Banse)
Grenzen erweitern ist nichts für Einzelkämpfer
"Wasser für Kenia VR" ist ein Koffer mit 20 Virtual Reality-Brillen, die sich Schüler aufsetzen können. Sie haben dann das Gefühl, in einer kenianischen Schule zu stehen und lernen in diesem 15-minütigen Video, in dem sie sich umschauen können, was Wasser für die Kinder bedeutet. Das unbekannte Gefühl, wirklich vor Ort zu sein, steigere das Interesse der Kinder, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, sagt Christian Stein, der den Koffer am Game Lab der HU Berlin mitentwickelt hat. Wie ist so ein Video in den Unterricht zu integrieren? Das sei nicht die einzige Hürde.
"Der Lernprozess ist aber vor allem ein Lernprozess auch bei den Lehrern, die sich darauf einlassen müssen, mit neuen Techniken zu arbeiten, bei denen die Schülerinnen und Schüler unter Umständen mehr Kompetenz haben, als sie selber."
Rollenwechsel, Pornos, neue Techniken – um inhaltliche und didaktische Grenzen an Unis und Schulen zu erweitern, sei Kommunikation zentral, sagt Organisatorin Nausikaä El-Mecky. Rebellisches Lehren sei nichts für harte Einzelkämpfer: "Man muss, um das manchmal auszuhalten, die Offenheit haben und die Emotionalität, um zu sagen: Das fällt mir schwer, ich brauche Hilfe, ich brauche Unterstützung. Also Rebellion ist nicht etwas Knallhartes."