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Innovative Weltraumnutzung
Goldgräberstimmung im All

Stören, zerreißen oder kräftig durcheinanderbringen: Unter dem Motto "Disrupt Space Gipfel" treffen sich 300 Experten aus aller Welt in Berlin. Die Ingenieure, Geschäftsleute und Investoren entwickeln und diskutieren neue Raumfahrtrends, deren technische und wirtschaftliche Herausforderungen. Start-ups hoffen auf das große Geschäft.

Dirk Lorenzen im Gespräch mit Uli Blumenthal | 14.03.2017
    Bringen Falcon-Raketen bald Tausende von Satelliten ins All?
    Bringen Falcon-Raketen bald Tausende von Satelliten ins All? (SpaceX)
    Uli Blumenthal: Warum muss man den Weltraum stören oder kräftig durcheinanderbringen?
    Dirk Lorenzen: Bisher ist Raumfahrt vor allem Sache staatlicher Agenturen gewesen. NASA, ESA und Co. haben eine Raumstation gebaut, Raumsonden gestartet und Satelliten betrieben. Das ist vielen Raumfahrtenthusiasten zu behäbig. Bisher würden Raumfahrtprojekte zu lange dauern und sie seien viel zu teuer. Das soll anders werden und daher müsse man die alten Raumfahrtstrukturen aufbrechen. Es stehe, so meinen manche, mit dem "Neuen Weltraum" nicht weniger als eine Raumfahrtrevolution ins All bevor.
    Blumenthal: Geht es dabei um neue Raketen, etwa die Falcon-Raketen des privaten US-Unternehmens SpaceX?
    Lorenzen: Mit Raketen beschäftigt sich hier nur eine Minderheit. Denn Raketen zu entwickeln und zu bauen, dauert oft fünf bis zehn Jahre. Das erfordert sehr großen Aufwand, viel Kapital und Ausdauer. Das ist eher etwas für die Agenturen oder die von ihnen beauftragten Unternehmen, wie eben SpaceX. Beim "neuen Weltraum" denken die meisten an viele neue Satelliten – aber auf ganz unterschiedliche Weise.
    Die einen, wie etwa SpaceX und Google, denken an Netze von vielen tausend Satelliten, die etwa an jedem Punkt auf der Erde eine Internetverbindung ermöglichen sollen. Die anderen, viele kleine Firmen, knapp 50 Start-ups sind hier vertreten, denken an spezielle Kleinstsatelliten, oft kaum so groß wie ein Schuhkarton, sehr einfach und preiswert.
    Die lassen sich im Baukastenprinzip binnen weniger Monate bauen und - je nach Anwendung - ausstatten, also etwa mit einer Kamera, Antennen oder Ähnlichem. Das geschieht in Deutschland ebenso wie in China, in Indien wie in den USA. Die meisten Unternehmen jedoch wollen einfach Daten nutzen, die bestehende Satelliten liefern.
    Die Grafik der NASA zeigt den Weltraumschrott im Orbit der Erde
    Es ist schon ziemlich voll "da oben": Die Grafik der NASA zeigt den Weltraumschrott im Orbit der Erde. (NASA)
    Blumenthal: Was für Daten sind das und bei welchen Projekten könnten die zum Einsatz kommen?
    Lorenzen: Schon heute gibt es viele Anwendungen auf Basis von Navigationsdaten, also GPS oder bald Europas Galileo-System. Aber auch viele Erdbeobachtungsdaten sind frei verfügbar. Ein Unternehmen identifiziert auf solchen Bildern mögliches Bauland und liefert das an Kunden, ein anderes erstellt praktisch in Echtzeit präzise Eiskarten für Schiffe in den Polarmeeren. Ein anderes bearbeitet Satellitenaufnahmen künstlerisch zu großen Bildern oder Tapeten.
    Wieder andere wollen Landwirte mit Daten versorgen, wie viel Bewässerung und Dünger notwendig sind. Bei der Nutzung der Daten erwarten die meisten einen boomenden Markt. Es geht nicht um Infrastruktur, sondern um Anwendung. Das soll so ähnlich werden wie bei Internetkonzernen wie Amazon und Google – die bauen keine Computer, sie nutzen sie nur.
    Blumenthal: Wie sehen das die staatlichen Agenturen? Werden die bald überflüssig?
    Lorenzen: Es gab eine Videobotschaft von Jan Wörner, dem Generaldirektor der Europäischen Weltraumagentur ESA. Auch die Europäische Kommission ist vertreten. Mein Eindruck ist, dass die staatlichen Agenturen sich etwas verwundert die Augen reiben, was da plötzlich an Raumfahrtbegeisterung bei kleineren Unternehmen besteht.
    Anderseits ist auch klar, dass die staatlichen Agenturen weiter gebraucht werden. Rein kommerziell wird sich kaum eine große Rakete bauen lassen – auch rein wissenschaftliche Projekte werden kaum zum Geldverdienen geeignet sein. Zudem liefern sie mit den Positionen oder Bildern und Messdaten der Erde die Daten, die viele Unternehmen nutzen..
    Satellitenbodenstation Leuk im Rhonetal in der Schweiz.
    Offshore-Plattformen, aber auch Armeen gehören zu den Kunden. Die Ergebnisse von Satelliten sind vielfältig einsetzbar. Hier die Bodenstation Leuk im Rhonetal. (imago/blickwinkel)
    Blumenthal: Das alles klingt nach einer großen Goldgräberstimmung...
    Lorenzen: Die Begeisterung ist groß. Aber hier werden auch die großen Probleme diskutiert, vor denen viele kleine Firmen stehen. Eine gute Idee allein reicht nicht. Man muss wissen, wo Kunden sind und wie man sie erreicht. Zum Teil gibt es auch mehr Begeisterung als Kompetenz.
    So hatte eine Firma mal ein großes Netz einfacher Erdbeobachtungssatelliten geplant, bei denen allerdings nicht nur die Kameras zur Erde gerichtet waren, sondern auch die Solarzellen. Die liefern aber nur Strom, wenn sie zur Sonne weisen. Das war den Planern ganz neu. So etwas gibt es auch.
    Selbst milliardenschwere Firmen sind vor solchen Fehlern nicht gefeit: Vor rund zwanzig Jahren sorgten die Iridium-Satellitenhandys für Aufsehen. Das Projekt wurde für die Firma zum Milliardengrab. Auch jetzt werden die Bäume nicht in den Himmel wachsen – beim "Zerreißen" des bestehenden Weltraums wird es sicher viele selbst zerreißen.