Susanne Kuhlmann: Der Raubbau an der Natur geht ungebremst weiter, allen Artenschutz- und Klimakonferenzen zum Trotz. Heute Mittag stellt der Weltbiodiversitätsrat (IPBeS) in Paris seine globale wissenschaftliche Studie über den Zustand der Natur und der Ökosysteme vor. Voran ging die 7. Vollversammlung des Rates. Mit dabei in der französischen Hauptstadt ist Günter Mitlacher, zuständig für Biodiversität beim World Wide Fund For Nature (WWF). Guten Tag, Herr Mitlacher.
Günter Mitlacher: Guten Tag aus Paris.
Kuhlmann: Die Vielfalt der Ökosysteme, der Arten und der Gene, all das macht Biodiversität aus. Dass sie nicht nur ein Wert an sich ist, sondern unser Leben in engem Zusammenhang mit Artenvielfalt steht, das lässt sich am Beispiel der Insekten klarmachen. Knapp drei Viertel aller Tierarten in Deutschland sind Insekten. Welche Aufgaben, Herr Mitlacher, haben sie im ökologischen Gefüge?
Mitlacher: Na ja. Insekten sind eigentlich eine Tiergruppe, die für diese Ökosysteme und die Funktionen, die wir von den Ökosystemen bekommen, sehr, sehr wichtig. Nennen Sie die Bestäuber: Jeder kennt Bienen, Hummeln, die Äpfel bestäuben, Blüten bestäuben, Kirschen, Birnen, Erdbeeren, alles das, was wir gerne essen im Frühjahr und im Sommer. Ohne die Insekten wäre das alles nicht da.
Mitlacher: Menge an Insekten in Deutschland hat dramatisch abgenommen
Kuhlmann: Wir hören ja seit längerem vom Insektensterben. Augenfällig für viele zum Beispiel nach längeren Autofahrten im Sommer: Auf der Windschutzscheibe kleben kaum tote Fliegen und Mücken. Welches Ausmaß hat das Verschwinden der Insekten mittlerweile?
Mitlacher: Hier in diesem Bericht wird unter anderem das für ganz verschiedene Tiergruppen ausgemacht, auch für Säugetiere und für Amphibien. Was die Insekten betrifft, da haben wir auch in Deutschland jetzt ein paar Studien bekommen, die uns zeigen, dass die Biomasse, die Menge an Tieren, die es gibt, dramatisch abgenommen hat in den letzten Jahrzehnten. Ich kann mich auch als Kind erinnern, dass ich immer von der Windschutzscheibe die Insekten abgekratzt habe. Das ist heute nicht mehr so und das liegt einfach daran, dass unsere Landschaft total vergiftet wurde, durch Pestizide, Glyphosat und andere Insektizide, die natürlich diesen Tieren den Garaus machen.
Kuhlmann: Das Bundesumweltministerium hat nun das "Aktionsprogramm Insektenschutz" ins Leben gerufen. Halten Sie das für ein nützliches Instrument?
Mitlacher: Ja, natürlich! Das ist unbedingt notwendig und das ist eigentlich schon seit langem überfällig, dass das Bundesumweltministerium das tut. Das Wichtige ist jetzt, dass eigentlich alle Ressorts, die davon betroffen sind, insbesondere das Landwirtschaftsressort hier mitzieht. Das ist schon lange eine Forderung des WWF. Umweltpolitik kann nicht nur von der Umweltministerin gemacht werden. Umweltpolitik ist eine Politik, die auch von anderen Ressorts, insbesondere von der Landwirtschaft gemacht werden muss, und bei Insekten ist es ja ganz offenkundig.
Blumen und Sträucher zur Förderung der Insektenvielfalt
Kuhlmann: Was können Sie und ich als einzelne tun, um die Insektenvielfalt zu fördern?
Mitlacher: Das ist eine schöne Frage. Sollten Sie einen Garten haben, dann können Sie natürlich viele insektenfreundliche Blumen und Sträucher anpflanzen. Sollten Sie keinen Garten haben, dann können Sie vielleicht auf Ihrem Balkon ein paar Blumen setzen. Und Sie werden sehen und erstaunlicherweise auch beobachten, wer da alles kommt. Sie können auch ein kleines Insektenhotel aufbauen, um zu beobachten, wie die Tiere das annehmen.
Das ist natürlich etwas, was nur begrenzt Wirkung zeigt, weil in der Landschaft draußen, wo die Flächen sind, wo die Blühstreifen an den Äckern wieder entstehen müssen, oder wo ganz viele Flächen einfach mit insektenfreundlichen Pflanzen eingesät werden müssen, das sind eigentlich die Flächen, die wir brauchen. Es ist gut, wenn der Verbraucher auf seinem Balkon, in seinem Garten was tut, aber die Landwirtschaft ist eigentlich der große Verursacher.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.