Um ein bis zwei Prozent gehen die Bestände von Insekten jedes Jahr zurück, zumindest nach Daten aus Europa und Nordamerika. Das sei der aktuelle Stand, wie er sich aus den vorliegenden Langzeitstudien ergebe, sagt David Wagner, Professor für Ökologie an der Universität Connecticut in den USA und einer der Leitautoren der neuen Fachartikel im Wissenschaftsmagazin PNAS.
"Ein Prozent pro Jahr – das klingt nicht nach besonders viel. Aber das ist ein Verlust von zehn Prozent aller Insekten in jedem Jahrzehnt! Jeder weiß: Wir könnten uns so etwas mit den eigenen Finanzen nicht erlauben. Und wir können es auch nicht mit der Natur."
Zu schaffen machen Insekten unter anderem Ackergifte, andere Umweltschadstoffe und die Lichtverschmutzung. Am schlimmsten seien aber Verstädterung und Siedlungsbau. Dadurch gingen viele geeignete Lebensräume für Schmetterlinge, Hummeln und Käfer verloren, schreiben Wagner und seine Kollegen:
"Jedes Mal, wenn Häuser oder Äcker neuentstehen, verlieren wir Bestände. Das ist eine der größten Bedrohungen in dichtbesiedelten Ländern wie Deutschland, wo mehr als 200 Menschen pro Quadratkilometer leben und rund die Hälfte des Landes Agrarfläche ist. Man drängt die Natur in kleine, verstreute Ecken zurück."
Unklare Lage in den Tropen
Rund 80 Prozent aller Insektenarten leben in den Tropen, wie man vermutet. Doch von dort gebe es bis heute nur wenig Daten, beklagt der britische Ökologe Richard Fox:
"Es gibt so wenige Daten von der Südhalbkugel und aus den Tropen, dass wir uns zur Entwicklung der Insekten dort am besten gar nicht äußern sollten. In unseren Fachartikeln veröffentlichen wir jetzt die Ergebnisse neuer Zählungen von Schmetterlingsraupen in Ecuador und Costa Rica. Manche zeigen einen Rückgang und manche keinerlei Veränderung über die Jahrzehnte."
Natürlich seien die Trends in den Studien aus Europa und Nordamerika ein Grund zur Besorgnis, sagt Fox. Aber man müsse stärker differenzieren, so der Brite. Von einem generellen Insektensterben könne sicher nicht die Rede sein. Es gebe sogar Gegenden auf der Erde mit zunehmenden Scharen von Insekten. Das habe mit der globalen Erwärmung zu tun:
"Das Bild ist viel ausgewogener, als man glauben könnte, wenn man in den Medien von einer Insekten-Apokalypse liest. Schauen wir uns Motten-Arten in Großbritannien an, dann sehen wir: Ein Drittel von ihnen ist heute weiterverbreitet als vor 40 oder 50 Jahren. Insekten sind wechselwarme Tiere. Der Klimawandel ermöglicht ihnen, sich nach Norden auszubreiten."
Trockenphasen bedrohen Insekten
Auf der anderen Seite sind Wetterextreme eine zunehmende Gefahr für Käfer & Co. Das werde inzwischen immer deutlicher, sagt David Wagner:
"Das ist meine größte Sorge! Viele feuchte Ökosysteme wie die tropischen Nebelwälder könnten vermehrt Trockenphasen erleben. Die Tiere dort sind darauf nicht eingestellt. Gerade Insekten haben eine verhältnismäßig große Körperoberfläche und trocknen sehr schnell aus."
Die Biologen starten jetzt ein neues Projekt, wie sie schreiben. Es gebe über einhundert Langzeitbeobachtungen über Insekten aus anderen Anwendungsfeldern wie der Landwirtschaft und auch aus anderen Weltregionen. Diese Datensätze wolle man nun auswerten - um ein besseres Bild vom Zustand der globalen Insektenfauna zu bekommen.