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Insel der Steine

Sollten Sie demnächst auf einer Insel am Strand entlanggehen, achten Sie noch stärker als bisher auf das, was am Boden liegt. Der Stein dort, sieht der nicht aus wie…? Ja, tut er - wenn Sie es so sehen wollen Wenn nicht, gibt Jutta Hahn auf Fehmarn Nachhilfe in Sachen Stein-Sensibilität.

Von Franz Lerchenmüller |
    Wer mit Jutta Hahn auf Fehmarn unterwegs ist, für den wird der Strand zur Wunderwelt.

    "Guck mal, alles was so braun ist, und das ist jede Menge hier oben, sind verrostete Steine. Das hier ist ein Feuerstein und da sind Moostierchen drin. Das kleine Gemüse da, das sind Moostierchen, die gibts heute noch.."

    Dutzende von Überraschungen sind in Geröll und Kies verborgen.

    "Mein Mann hat das gerade gefunden. Darf ich Ihnen das noch zeigen? - Oh. Das ist ein ganz großer Feuerstein und tatsächlich ist da auch ein Schwamm drin, aber leider, leider klappert der nicht, aber hier sehen Sie auch noch Schwammstruktur, also den würde ich, obschon er das Maß übersteigt, den würde ich trotzdem mitnehmen, der ist schön..."

    Man kennt das ja. Fast jeder, der am Strand unterwegs ist, senkt irgendwann unwillkürlich den Kopf, bückt sich und steckt unter den Millionen und Abermillionen von Steinen genau den ein, der ihn besonders anspricht: weil er rund ist wie ein Murmel, rosa wie die Morgenröte oder so bizarr wie ein versteinerter Schafskopf - jeder hat da seine persönlichen Vorlieben.
    Den meisten genügt es, dass ihr Fund ihnen gefällt. Manche aber möchten mehr wissen. Und die sind bei der Hobbygeologin an der richtigen Adresse.

    "Das hier ist ein Porphyr. Ein vulkanischer Stein. Das ist Feuerstein. Und die Feuersteine, die braunen oder gelben, das ist eine Sekundärfarbe, die haben jahrelang auf dem Acker gelegen und nehmen dann die Farbe an""

    Seit zehn Jahren bietet die gelernte Krankenschwester geologische Wanderungen an. Steine und Fossilien waren von klein auf ihre Leidenschaft.

    "Unsere Mutter hatte eine Zigarrenkiste und da war ein versteinerter Seeigel in einer Menge Knöpfe. Und dann hab ich gefragt, was das sei, und dann wurde gesagt, ja ein versteinerter Seeigel, aber das war eigentlich alles, was ich darüber gehört habe, und ich war so ein ziemlich introvertiertes Kind und hab mir gedacht, wenn du groß bist, dann lernst du das."

    Begonnen hatte der Spaziergang am Morgen mit einem Vortrag: wie sich während der letzten Eiszeit ein Gletscher von eineinhalb Kilometer Dicke von Skandinavien her über Fehmarn weggeschoben hatte und dabei all die Steine aus Schweden und Norwegen zurückließ. Wie Steine überhaupt entstanden sind, und aus was sie bestehen. Ein wenig geologisches Grundlagenwissen - und ein bisschen was bleibt immer hängen. Woraus zum Beispiel setzen sich Granite zusammen?

    "Feldspat, Quarz und Glimmer - die drei vergess ich nimmer."

    Um die 200 verschiedene Arten von Steinen gibt es auf Fehmarn.

    "Aber ich weiß nicht alle. Ich kenn sie nicht alle, ich kann sie nicht alle benennen. Es gibt auch alle Zwischenstufen. Es ist nicht so, dass sie eindeutig immer nur zu bestimmen sind... Der Granit ist eindeutig, aber es gibt mindestens 20, 30 verschiedene Granite allein schon."

    Exakte Wissenschaft ist auch gar nicht so gefragt heute Morgen. Steinesammeln ist vor allem eine faszinierende Beschäftigung:

    "Weil es einfach wunderschön ist, diese Vielfalt der Steine und sie anzufassen und zu schauen, wie sehen die aus, wie man in Wolken manchmal Elefanten sieht, so kann man in den Steinen auch ganz viel erkennen. Das ist einfach ne tolle Aufgabe auch für Kinder, am Strand oder am Wasser entlangzugehen und zu gucken, überhaupt die Sensibilisierung zu schaffen, dass man nicht nur darüber läuft und das gar nicht wahrnimmt."

    "Ich sammel sonst auch Steine, ich habe schon viele gefunden, da entwickelt man einen Blick für. Das fasziniert einfach, die Ruhe am Meer, das Meeresrauschen auch, einfach mal was in der Hand zu haben, das ist wie so ein Handschmeichler, einfach mal spazieren gehen, die Seele baumeln lassen, ein paar schöne Steine finden, was nach Hause zu bringen."

    Fast jeder Stein ist so etwas wie ein Rätsel.

    "Ich habe heute diesen Stein gefunden (..) es ist irgend so ein geschmolzener Granit, der dann diese Ringe aufweist und jetzt muss ich nur noch mal fragen, wie das dann heißt... Ich habe hier diesen Granitstein gefunden, mit diesen Ringen... Ja?...Dann ist das.. ein Gneis. Alles, was geschichtet ist, ist Gneis, und da glitzert der Glimmer wunderbar."

    Nicht alle freilich, die heute mitgekommen sind, haben ihr Herz an die Steine verloren:

    "Ich finde, es ist eine Fortbewegung, die sehr, sehr langsam ist am Strand, aber für meine Frau mache ich das sehr gern. - Ich habe einen Seeigel gefunden und der Tag ist gerettet. - Und mein Tag dann auch, natürlich."

    Die meisten aber stochern doch hochkonzentriert im Geröll herum. Auf der Suche nach den Spezialitäten von Fehmarn:

    "Wir gucken natürlich immer nach Donnerkeilen und nach Hühnergöttern."

    Hühnergötter - das sind Feuersteine mit einem oder mehreren Löchern. Und natürlich haben sie eine eigene Geschichte:

    "Ich kenn die so, dass man die an Hühnerstalltüren hängt, und wenn dann de Fuchs kommt, stoßen sie sich den Kopf daran. Es gibt auch die, dass dann der Hund anschlägt und der Bauer wach wird und seine Hühner rettet, da gibts x verschiedene Versionen. Es soll einfach die Hühner schützen."

    Auch Klappersteine sind heiß begehrt:

    "Die Klappersteine, das sind Bildungen aus den Kreidemeeren, und zwar sind das Schwämme gewesen, die im Feuerstein sich gebildet haben - der Schwamm ist abgestorben, der Feuerstein hat sich drumrum gelegt, und wenn dann durch kleine Öffnungen Säure eintritt, vergeht die Kreide, also die wird aufgelöst und zurück bleibt ein Hohlraum. Und auch mit diesem Rest Kreide und Rest Schwamm so eine Mischung, die kann sich verfestigen, manchmal löst es sich vom Rand und durch die Brandung wird aus diesem runden Stein ein Klapperstein."

    Klammheimlich aber hoffen die meisten darauf, irgendwann im Tang auf ein honigfarbenes, leichtes, fast plastikartiges Stückchen Etwas zu stoßen. Vergebens meist, auf Fehmarn.

    "Leider gibt es hier wenig Bernstein. Es kommt manchmal im Winter Bernstein an, wenn die Ostsee so vier Grad plus hat, dann durch den Salzgehalt hat sie die höchste Tragkraft sozusagen, die höchste Dichte, und da wir ja wissen, dass Bernstein sehr leicht ist, kommt dann tatsächlich manchmal was an. Aber das sind sehr kleine Stücke, es ist nicht bemerkenswert."

    Und nicht alles, was so ähnlich aussieht, hat auch tatsächlich ein paar Millionen Jahre auf dem Buckel.

    "Das ist Ostseeglas. Das war wahrscheinlich mal ne Bierflasche. Hat abgenommen, seitdem wir nur noch Plastikflaschen haben, gibt es ganz wenig Ostseeglas."

    Natürlich dürfen die Teilnehmer auch Fundstücke mitbringen, die sie früher einmal gefunden haben. Der schwarze Brocken mit den scharfen Zügen - ob sich daran wohl einst ein Steinzeit-Steinmetz versucht hat?

    "Also das hier ist ja ein tolles Gesicht. Auge, Nase, der pfeift hier zur Ordnung, mit einem runden Mund, toll ...manchmal ist er ganz böse, rrrgh, - da hat er viel Ärger gehabt. Und da hat keiner mitgeholfen, hier und hier und ein bisschen gehämmert. Das weiß ich nicht. Wenn, hat der da oben das gemacht. Aber das ist genau das, was ich sage, der Feuerstein ist unglaublich."

    Zwei Stunden dauert die Wanderung, unermüdlich schleppen die Sammler neue Schätze an. Doch manchmal kommt auch Jutta Hahn an ihre Grenzen.

    "Was haben wir hier? Das ist so ein 'Weiß-ich-nicht-Stein'. Schwer zu sagen. Ich weiß es nicht. Sorry."

    Wer ein Stück gefunden hat, das ihm ganz besonders am Herzen liegt, kann es bei einer Steineschleiferin in Petersdorf durchbohren oder sogar in Silber fassen lassen. Andere fangen irgendwann ernsthaft an, eine Mineralien- oder Fossiliensammlung aufzubauen.
    Für die meisten aber sind die Steine von Ostseestrand eine schöne Urlaubserinnerung - mehr nicht. Ist auch gut so, findet Jutta Hahn. Sie hat jahrzehntelang Stein um Stein zusammengetragen. Und sieht den Sinn allen Sammelns heute doch ganz woanders:

    "An sich ist das Finden das Schöne, das Haben gar nicht mal."

    Und diesen Reiz: herumzustöbern, in den Steinen zu wühlen und plötzlich auf ein ganz ungewöhnliches Stück zu stoßen - dieses Glück des Findens haben heute morgen ganz sicher wieder ein paar Menschen mehr für sich entdeckt.