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Insel Samos
Flüchtlinge protestieren gegen unmenschliche Zustände

Das Registrierlager für Flüchtlinge auf der griechischen Insel Samos hat eine Aufnahmekapazität für 648 Menschen. Derzeit leben dort nach Angaben der Regierung in Athen mehrere Tausend Personen. Gegen ihre verheerende Lage sind sie erneut auf die Straße gegangen.

Von Michael Lehmann |
    Blick auf ein Zelt, in dem auf der griechischen Insel Samos Flüchtlinge untergebracht sind.
    "Wenn es hier heftig regnet, können wir nicht schlafen", sagt eine Mutter von zwei Söhnen aus dem Kongo. Sie hausen in durchnässten Zelten. (Deutschlandfunk / Michael Lehmann)
    Tänze, Gesang und afrikanische Trommeln vor den Büros der Hafenpolizei in Samos-Stadt – es ist ein bunter, friedlicher Protest. Einige Hundert Flüchtlinge, vor allem Afrikaner, sind die wenigen hundert Meter aus ihrem Zeltcamp hoch über der Stadt runter ans Wasser gekommen. "Wir können nicht mehr" lautet ihre Botschaft nach langen, heftigen Regenfällen. Viele tragen nur dünne Kleidung und Badelatschen.
    "Wir leben unter wirklich unmenschlichen Bedingungen – das kann so nicht weitergehen. Wir hören, dass es sich auf Lesbos langsam bessert, aber hier nicht. Schauen Sie sich im Camp um – wir bekommen extrem schlechtes Essen, manche haben Angst, dass sie sterben – nur durchnässte Zelte für mehrere tausend Menschen – es geht uns wirklich sehr, sehr schlecht."
    Einige Hundert Flüchtlinge, vor allem Familien, sind von Samos aufs Festland gebracht worden. Doch immer wieder kommen neue Boote aus der Türkei mit neuen Migranten. So wie eine Mutter aus dem Kongo mit ihren zwei Söhnen. Seit Anfang Dezember ist sie auf Samos, bräuchte dringend Medizin und einen Doktor für einen der Söhne:
    "Wenn es hier heftig regnet, können wir nicht schlafen. Wir haben Angst, dass der Wind uns das Zelt wegfegt. Und dann schlafen wir alle in der Mitte in einem Bett. Medizinische Hilfe gab es für mich bisher nicht – ich habe nur kurz mal einen Doktor gesehen, bin dann zur Klinik runter in den Ort. Aber die hatten keine Zeit und keine Medikamente für mich, gaben mir nur was Anzuziehen für meinen Sohn – ich solle am nächsten Tag noch mal kommen. Andere haben sie nicht weggeschickt."
    Viele Freiwillige wollen die Not lindern
    4.000 bis 5.000 Flüchtlinge leben zurzeit in Samos-Stadt – etwa genauso groß ist die Zahl der Einheimischen. Die sehen mal frustriert, mal gleichgültig zu, wenn Afrikaner in Badelatschen mit ihren 90 Euro monatlichem Taschengeld einkaufen gehen. Maria, eine Lehrerin, hat großes Verständnis für die Demonstranten am Hafen:
    "Die sollten hier täglich protestieren – denn so wie sie leben müssen, ist das wirklich unmenschlich. Sie sollten dringend an Orte geschickt werden, wo sie gut leben können. Und davon gibt es genug auf der Erde. Orte, die nicht überfüllt sind, und wo es Arbeit für sie gibt – aber das organisiert niemand."
    Warum hat die EU keine Pläne, warum machen die allermeisten Länder immer mehr dicht? Fragen, die manche Flüchtlinge und viele Helfer auf Samos immer wieder stellen. Bogdan Andrei von der Hilfsorganisation Samos Volunteers versucht seit gut zwei Jahren, das Unmögliche irgendwie doch zu schaffen. Er ist einer von vielen Dutzend Freiwilligen, die die Not ein wenig lindern wollen. Mit heißem Tee, trockenen, warmen Räumen, einer kleinen Bibliothek und einem Waschsalon. Da viele Flüchtlinge Hautkrankheiten bekommen haben im Camp, müssen sie wenigstens regelmäßig saubere Kleider anziehen können:
    "Wir arbeiten in der Wäscherei hier jeden Tag zwölf Stunden lang. Aber die Zahl der Bewohner im Camp ist zu groß, um für alle ausreichend waschen zu können. Deshalb gibt es ein System, nach dem wir von Zelt zu Zelt ziehen und den Bedarf abwägen. Priorität haben zum Beispiel die Fälle, die medizinisch wichtig sind."
    Flüchtlinge in der Warteschleife
    Bodgan hat Organisationstalent – die Samos Volunteers schaffen viel. Doch jeden Tag bleiben Hunderte Flüchtlinge alleine im Zelt oder wandeln mit starrem Blick durch die Straßen von Samos-Stadt. "Es sind zu viele, denen wir helfen sollten", sagt der Flüchtlingshelfer, "unmöglich, dass Familien mit Kindern so erbärmlich leben müssen hier."
    Die Forderung nach mehr Umsiedlungen aufs Festland hört die griechische Regierung seit langem. Der Migrationsminister hat reagiert – aber noch nicht umfassend genug, sagen die Helfer auf Samos.
    An einem weiteren trüben Tag dieser Woche hat die Polizei auf Samos verhindert, dass Flüchtlinge aus dem Camp wieder runter an den Hafen gehen konnten, um zu protestieren. Wenn die Tourismussaison wieder losgeht, sind um Hilfe bittende Flüchtlinge am Meer ohnehin ganz unerwünscht. Doch es werden auch im Sommer Tausende Flüchtlinge sein, die auf Samos in einer für sie sehr unübersichtlichen Warteschleife verharren müssen. Luisa, eine junge Frau aus dem Kongo, erzählt von 4.000 Euro, die sie gebraucht habe, um aus ihrer Heimat nach Europa zu flüchten:
    "Ich bin hier hergekommen, um internationalen Schutz zu erhalten – von der griechischen Regierung und den Vereinten Nationen. Das ist der Grund, warum wir hier sind."
    Ein Wunder eigentlich, dass bei all dem Frust, der auf Samos zu spüren ist, die Proteste auf der Straße so bunt und friedlich bleiben in diesen kalten Januartagen.