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Insel Santorin
Die Perle der Ägäis leidet unter dem Tourismus

Steigender Wasser- und Stromverbrauch, hohes Müllaufkommen, mangelnder Wohnraum für Einheimische: Wegen ihres raschen Wachstums bahnt sich auf der Insel Santorin eine ökologische und soziale Katastrophe an. Nur weniger Tourismus würde helfen, ein letztes Stück Idylle zu bewahren.

Von Milona Marianthi |
Stiegenabgang und griechische weiße Kirche mit blauer Kuppel und Glockenturm bei Sonnenuntergang, Firostefani, Santorin, Santorini, Kykladen, Griechenland, Europa | imageBROKER / picture alliance | Verwendung weltweit, Keine Weitergabe an Wiederverkäufer.
Griechenlands Reiseziele, hier Firostefani auf Santorin, werden bei Touristen aus aller Welt immer beliebter (imageBROKER / picture alliance)
Um es gleich zu sagen: Die Kykladen-Insel Santorin gehört zu meinen Lieblingsinseln in Griechenland. Gerade deshalb fahre ich nur noch im Winter dorthin. Nur dann, wenn Wind und Regen heftig an den Vulkankrater peitschen und die Wolken die Insel mit einem nebulösen Mantel umhüllen. Wenn die meisten Geschäfte und Restaurants in den Touristenmeilen geschlossen sind und ich endlich wieder Bilder von idyllischen und einsam anmutenden Gassen schießen kann. Ja, nur dann möchte ich auf diese Perle der Ägäis, wie Santorin auch gerne genannt wird.
Der Grund: In der übrigen Zeit hat Santorin nicht mehr viel Genüssliches zu bieten. Es ist zu einem überreizten, überteuerten, unnatürlichen Lebensraum geworden. Würde diese alte Insel sprechen können, ginge ihr Protestaufschrei über die gesamte Welt. Deshalb glaube ich, dass eigentlich niemand mehr im Sommer nach Santorin fahren dürfte. Vielleicht müsste man sogar für einige Jahre eine Sperrzone rund um sie anlegen, damit sie wieder zu Atem kommt. Aber ich denke nicht, dass irgendjemand auf Santorin meinen Vorschlag ernstnehmen wird. Wo gibt es auch sonst auf der Welt ein so unmittelbares Wohnerlebnis am Rande eines Vulkankraters? Und warum sollte die Insel auf diese profitable touristische Einnahmequelle überhaupt verzichten?
Ökologische Probleme durch wachsenden Tourismus
Ich besuche den Bürgermeister Santorins Nikos Sorsos in seinem Büro im Gemeindehaus der Hauptstadt Fira und bin überrascht, dass er meinen Vorschlag, Santorin zu schließen, gar nicht einmal so schlecht fände. Auch für ihn wäre es an der Zeit, der sich anbahnenden ökologischen Katastrophe entgegenzuwirken. Doch leider trifft der liberale und zukunftsorientierte Bürgermeister Santorins seit seiner Amtsübernahme 2011 bei den Einheimischen auf taube Ohren. Und selbst seine eigenen politischen Mitstreiter kehren ihm dabei den Rücken. Doch der Mann beharrt auf seinem Standpunkt.
"Wir können dem raschen Wachstumsprozess der Insel kaum noch folgen. Von 2012 bis 2017 verbrauchten wir über 100 Prozent mehr Wasser als in den Jahren zuvor. 2013 erlebten wir einen Blackout, was unsere Stromversorgung anbetraf. Wir brauchten 52 Tage lang 32,5 Megawatt, im vergangenen Jahr waren es schon 56 Megawatt. Das ist eine große Veränderung, die mit Spitzengeschwindigkeit voranschreitet. Und nicht zu vergessen unser größtes Problem: die Müllbeseitigung. Die Mitglieder im Stadtrat können sich seit Jahrzehnten einfach nicht einigen, wo eine vernünftige und effiziente Müllverbrennungsanlage auf der Insel entstehen kann. Obwohl die Finanzierung gesichert ist. Unser Haushalt ist solide. Aber niemand möchte sie in seiner Nähe haben. So wird eine Entscheidung ständig hinausgeschoben. Obwohl ich meine, dass die Insel dafür durchaus geeignete Orte besitzt."
Ein weiteres Problem Santorins ist ihre hohe Bauaktivität. Die attraktive Insel ist bei Privatinvestoren in den vergangenen Jahren immer beliebter geworden. Die ruhige Winterzeit wird zur Instandsetzung der Häuser genutzt.
Tourist riding a donkey up the steps leading from the old port to the village of Fira on the Greek island of Santorini. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright: xEricxNathan/LOOPxIMAGESx ENT7614WT041

Tourist Riding a Donkey up The Steps Leading from The Old Port to The Village of Fira ON The Greek Iceland of Santorini PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLY Copyright xEricxNathan LOOPxIMAGESx ENT7614WT041
Im Sommer lassen sich Touristen auf Eseln über die Insel tragen (imago stock&people)
Auf den Gassen der Hauptstadt von Fira, dort wo keine großen Transporter Maschinen und Material liefern können sind noch immer ganz wie zu alten Zeiten große Eselskarawanen unterwegs. Im Sommer tragen sie geduldig abenteuerlustige Gäste. Im Winter sind sie vollbeladen mit Stein, Zement und diversem Baumaschinenwerk. Dann bildet der Klang ihrer Hufen auf dem steinigen Boden neben dem Sägen und Hämmern die einzige Geräuschkulisse der Caldera.
Die Insel als Hochzeitshochburg
Santorin ist in den letzten Jahren immer mehr auch bei jungen ausländischen Paaren beliebt, die ihr Hochzeitsfest auf dem Vulkan ausrichten wollen, erfahre ich. Die Wohlhabenden unter ihnen erwerben bei dieser Gelegenheit auch gleich eine Ferienunterkunft. Ich treffe einen Santoriner Architekten, um mehr darüber zu erfahren. An diesem Tag sitzt Nikos Delengas in einer Taverne außerhalb der Hauptstadt mit anderen Einheimischen zu Tisch. Auch er gehört zu den wenigen auf Santorin, die darüber unglücklich sind, wie die Entwicklung seiner Heimatinsel voranschreitet. Und würde sich mehr Restriktionen für die Inselgäste wünschen.

"Alles ist doch eine Frage der Genehmigungsverfahren. Ab dem Moment, wo es erlaubt ist, auf der Insel zu heiraten, nehmen viele das Angebot an. Die katholische Kirche unserer Insel hat bereits vor sieben Jahren entschieden, niemanden zu trauen, der nicht selbst von der Insel kommt. Die Hochzeit ist für sie kein touristisches Produkt. Das ist eine klare Haltung. Auch die orthodoxe Kirche sollte dieser Entwicklung entgegen wirken und es ihren Priestern verbieten, Trauungen vorzunehmen."
Klagende Winzer und Wohnengpässe für Inselbewohner
Zum Glück erfahre ich, dass jetzt doch immer mehr Santoriner inzwischen die Gefahr erkennen, von der Architekt Nikos Delengas spricht.
"In den letzten Jahren wird uns allen immer bewusster, dass der Zuwachs an Bauprojekten und Bauvorhaben nicht gut für die Entwicklung unserer Insel sein kann. Im Augenblick konzentrieren sich die Investoren bereits auf den Ausbau des Binnenlands. Mit dem Resultat, dass die Anbauflächen immer weniger werden. Das wird auch für die lokalen Winzer zum Problem, die einen einzigartigen Wein keltern, der nur hier entsteht. Diese fordern schon längst, dass die Region mehr geschützt werden muss."

Und nicht nur die Winzer klagen. Die gigantischen Touristenzahlen in den Sommermonaten führen zu immer größeren Wohnengpässen. Das kriegt vor allem das Personal der Insel zu spüren. In einem der wenigen Hotels, die auch im Winter auf haben, arbeitet Giorgos Kotzidis als Rezeptionist. Von ihm erfahre ich, wie schwierig es geworden ist, auf Santorin überhaupt eine finanzierbare Bleibe zu finden.
"Wir werden gut bezahlt, aber wir müssen mit diesem Gehalt hohe Kosten für Essen und Benzin ausgeben. Und die meisten müssen mit dem Auto zur Arbeit anreisen, weil es keine Möglichkeit gibt, in der Nähe des Arbeitsplatzes zu übernachten. Alles ist zu Airbnb umgewandelt worden. Hier kostet ein Zimmer bis zu 500 Euro. Ich zahle für mein Zimmer 350 Euro, aber ich wohne unten am Hafen in einem kleinen Loch. Auch ich muss mit dem Auto zum Hotel anreisen. Und viel Geld für Benzin ausgeben."
Je mehr ich von der Lebensverhältnissen Santorins erfahre, umso klarer ist mir, dass ich solche Entwicklungen nicht mehr als Gast unterstützen kann. Ich denke dabei an die vielen Einheimischen, die sich auf ihrer Insel ein letztes Stück Idylle bewahrt haben und ihren Lebensraum schützen wollen.
Weinkellerei Canava Roussos auf der griechischen Insel Santorin
Den Winzern fehlt bei zunehmender Bebauung die Anbaufläche für ihre Reben (picture-alliance / Hackenberg-Photo-Koeln)
Anbau traditioneller Produkte
An der Außenseite des Vulkans existieren noch viele kleine Landparzellen, auf denen die bäuerliche Bevölkerung, traditionelle Produkte, die die fruchtbare vulkanische Erde hervorbringt, anbauen. Das sind wie eh und je Wein, Tomaten, gelbe Linsen (Fava), weiße Auberginen, Pistazien und Kapern.
Um mehr über Kapern zu lernen, fahre ich in die Nähe des kleinen Ortes Vóthonas im Binnenland, nur wenige Kilometer von der Hauptstadt Fira entfernt. Dort treffe ich den Kapernexperten Jiannis Nomikos auf seinem kleinen ordentlich geführten Gutshof. Seine beiden Hunde schauen mich ganz aufgeregt an und bellen. Gemischt mit dem Gegacker der freilaufenden Hühner ergibt das ein perfektes dissonantes Ständchen der Begrüßung. Der freundlich blickende Landsmann mittleren Alters ist früher Restaurantbesitzer in der Inselhauptstadt gewesen. Nach dem Tod des Vaters im Jahr 2005 erlebte er einen Sinneswandel und kehrte auf das Familiengrundstück zurück, um das zu machen, was er vom Großvater und Vater einst gelernt und nun in ihrem Gedenken weiter fortführen wollte: den Anbau traditioneller santorinischer Produkte. Die Pistazienbäume auf dem Hof liebt er ganz besonders. Die waren bei seiner Geburt gepflanzt worden.
Santorins besondere Kapern
Von Nikos höre ich zum ersten Mal, dass die Kapern Santorins einzigartig sind.
"Ich hab unsere Kapern mal auf den Messen im Ausland vorgestellt und bemerkte dabei immer wieder, dass die Menschen positiv auf ihren Geschmack und ihrer Konsistenz reagierten. Sie schmunzelten und ich fragte mich, warum wohl. Was sie probierten, schien ihnen sehr gut zu gefallen. Es handelt sich ja auch um eine typische, nur uns bekannte Kapernsorte. Sie ist fest und knackig. Für mich war das nie etwas Außergewöhnliches. Ich bin auf Santorin damit aufgewachsen. Und hab irgendwann damit angefangen, sie in Gläser so abzufüllen, wie ich es bei meiner Großmutter gesehen hatte."
Auf seinem Grundstück zeigt mir Jiannis einen Kapernstrauch. Er erklärt mir, er habe diese Pflanze von einem Parkplatz gerettet, weil die Autos ständig darüber fuhren. Es gibt keine organisierte und angebaute Kapernkolonie auf Santorin. Das macht die kleine Frucht besonders wertvoll. Sie wachsen überall. In Gärten, am Straßenrand, an Steinmauern. Sie wachsen mit der Feuchtigkeit der Insel und der warmen Sonne.
"Meine Kapern stammen von den trockenen Steinwänden der Caldera. Die meisten meiner Mitarbeiter sind Rentner, die ihr geringes Einkommen durch diesen Nebenjob etwas aufbessern wollen. Sie fahren mit dem Boot zur Caldera und pflücken so viele Kapern, wie sie nur können. Die Jüngeren steigen sogar auf die Felsen, um an diesen kleinen grünen Schatz zu kommen."
Mit den Jahren hat Jiannis Nomikos festgestellt, dass es verschiedene Kapernpflanzen auf Santorin gibt, die sich durch Härtegrad und Farbe voneinander unterschieden. Ihre Verbreitung vollzieht sich ebenfalls auf ganz natürliche Art, mit Hilfe der Ameisen. Sie können es kaum erwarten, wenn die Kapernsamen springen. Emsig sammeln sie die Samen auf und tragen sie in ihre Nester. Was sie unterwegs verlieren, setzt sich im Boden fest. Bei regenstarken Wintern, wenn die Steine feucht sind, sieht man, wie plötzlich überall neue Kapernpflanzen zu wachsen beginnen. Die Höhe der Ernte ist nicht kalkulierbar. In einem schlechten Jahr sind es höchstens eine Tonne Kapern, die Jiannis Nomikos weiterverarbeiten kann. Und jedes Bauernjahr ist anders.
Kein baldiger Vulkanausbruch zu befürchten
An diesem verregneten Winterabend treffe ich viele Einheimische bei einem Vortrag im Kongressaal der Hauptverwaltung wieder. Der Bürgermeister hat einen Vulkanexperten eingeladen, der über die jüngsten Aktivitäten des Vulkans tief unter dem Meer informiert. Er beruhigt die Santoriner Bürger. Weil er ihnen erklärt, dass der nächste große Vulkanausbruch die Insel voraussichtlich erst in siebzehntausend Jahren erfassen wird. Ich schmunzle und denke mir: vorausgesetzt, sie wird nicht schon viel früher durch das Gewicht der Menschenmassen untergehen.