Dirk-Oliver Heckmann: Philipp Rösler hat es also geschafft. Bevor der Bundesparteitag der Liberalen in Rostock am Freitag beginnt, ist die Blockade in der personellen Neuaufstellung aufgelöst. Rainer Brüderle macht den Chefsessel frei im Wirtschaftsministerium für den kommenden FDP-Chef Rösler und übernimmt dafür die Führung der Fraktion im Bundestag. Die derzeitige Amtsinhaberin Birgit Homburger darf in Rostock für das Amt der stellvertretenden Parteichefin kandidieren, mit ungewissem Ausgang allerdings.
Sieht so eine personelle Neuausrichtung aus, oder muss man nicht davon sprechen, dass hier alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert wurde? Am Telefon jetzt Gerhart Rudolf Baum, ehemals FDP-Innenminister. Schönen guten Morgen!
Gerhart Rudolf Baum: Guten Morgen! – Sie haben eben Hildegard Hamm-Brücher erwähnt. Ich stehe in Respekt vor ihrer Lebensleistung. Und wenn man sich an ihr stärker orientieren würde in der FDP, wäre man schon einen Schritt weiter im Prozess der Erneuerung. - Aber nun zu Ihrer Frage.
Heckmann: Ich habe ja noch gar keine Frage gestellt, aber sie würde jetzt kommen, Herr Baum.
Baum: Ja, gut.
Heckmann: Guido Westerwelle bleibt ja Außenminister, Rainer Brüderle wird für sein Wahldebakel in Rheinland-Pfalz mit dem Fraktionsvorsitz belohnt und Birgit Homburger, die die Hauptverantwortung ja trägt für das katastrophale Ergebnis in Baden-Württemberg, wird mit einem Stellvertreterposten in der Parteiführung entschädigt. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagt, die FDP habe Humor. Finden Sie das auch so lustig?
Baum: Nein. Ich finde, man muss es auch zunächst mal positiv sehen. Man hat Herrn Rösler unterstellt, er habe keine Entscheidungskraft; er hat sie. Er hat das Postengerangel beendet, es findet ein Generationenwechsel statt, die Personen, die jetzt auf Posten kommen, können diese ausfüllen, sowohl Herr Bahr als Gesundheitsminister wie Herr Rösler als Wirtschaftsminister, und Brüderle ist ein erfahrener Mann an der Spitze der Fraktion. Also insgesamt wird die FDP handlungsfähiger.
Man sollte das Team der jungen Leute nicht unterschätzen, die FDP hat ein Potenzial an Nachwuchskräften wie kaum eine andere Partei. Aber es fehlt einiges, und das ist von Ihnen angedeutet. Ich kann immer noch nicht verstehen, dass Westerwelle Außenminister bleibt, denn der Vertrauensverlust, den die Partei in massiver Weise erlitten hat, bezieht sich auch auf ihn als Außenminister. Die Partei muss im Grunde entscheiden, die neuen Führungskräfte müssen entscheiden, mit wem gehen sie eigentlich in die Bundestagswahl 2013, mit Westerwelle, mit Niebel oder mit neuen Leuten.
Dann wird der Vorstand neu gewählt, das Präsidium. Da habe ich auch meine Zweifel, ob das richtig ist, farblose oder gescheiterte Vizevorsitzende zu wählen.
Heckmann: Sie meinen Birgit Homburger?
Baum: Ja. Ich meine auch Herrn Zastrow und andere, die da genannt werden. Für mich ist die Messlatte, was trägt jemand heute zum liberalen Aufbruch, zur liberalen Erneuerung bei. Die FDP ist in einer Existenzkrise wie noch nie in ihrer Geschichte. Also hier sind größte Anstrengungen notwendig.
Heckmann: In weiten Teilen, Herr Baum, muss man doch davon sprechen, dass es wirklich nur zu einer Personalrochade gereicht hat und eben nicht zu einem auch wirklich personellen Neuanfang. Jedenfalls ist das der Eindruck vieler politischer Beobachter. Das alte Personal also ein Klotz am Bein der FDP?
Baum: Nein, das würde ich so nicht sagen. Sie unterschätzen das, was jetzt die neuen Führungskräfte oder das neue Team will. Sie wollen die FDP aus dem Tief herausholen und sie haben auch gute Ansätze, sie haben programmatische Ansätze, denn mit den Personen ist es ja nicht getan. Die FDP muss sich nicht gänzlich neu erfinden, aber sie muss wieder Glaubwürdigkeit bekommen auf wichtigen Feldern: Auf dem Feld der Sozialpolitik, der Ökologie, sie muss die Wirtschaftskompetenz zusammenbringen mit der Bürgersouveränität. Das war ja mal eine Zeit lang der Fall und das ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Also bitte unterschätzen Sie das nicht bei aller Kritik, die ich auch habe. Die FDP ist einen Schritt weiter gekommen, aber noch nicht weit genug.
Heckmann: Woran liegt das, dass die FDP eben nicht weit genug gekommen ist? Reicht die Kraft, der Mumm von Philipp Rösler nicht aus?
Baum: Philipp Rösler hat eben jetzt doch ein Stück Entscheidungsstärke gezeigt, und der Parteitag am Wochenende wird zeigen, wohin er die Partei führen will, welche Signale er gibt, welche Zeichen er setzt. Also ich erwarte zum Beispiel mal eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der verheerenden Enthaltung zu Libyen im Sicherheitsrat. Das ist bisher kritiklos mitgetragen worden von der Partei. Die Partei hat übrigens jahrelang die Politik von Westerwelle kritiklos mitgetragen. Das muss sich jetzt ändern. Es wird eine heftige Debatte geben über Europa. Folgt die FDP den Appellen von Genscher in der Version eines starken, solidarischen Europa, oder folgt sie den kleinmütigen Verweigerern, die eher von nationalstaatlichem Egoismus ausgehen? Hier gibt es wichtige Entscheidungen. Es gibt Zukunftsthemen, zum Beispiel die digitale Revolution ist ein solches Zukunftsthema, ein Freiheitsthema ersten Ranges. Es ist viel zu tun für eine liberale Partei!
Heckmann: Rainer Brüderle gilt als Exponent der alten FDP, er war nun ja auch Jahrzehnte in der Politik aktiv und er steht für die FDP, für den Westerwelle-Kurs auch. Haben Sie die Befürchtung, dass er als Chef der Fraktion, der Bundestagsfraktion sozusagen als Bremser fungieren könnte bei der Erneuerung und Neuausrichtung der Partei?
Baum: Das möchte ich nicht sagen. Er war immer ein unabhängiger Kopf, immer auch in einer gewissen Distanz zu Westerwelle, und er hat ja eine Fraktion mit sehr vielen tüchtigen und ehrgeizigen Mitgliedern, und die müssen jetzt praktisch zur Geltung kommen. Es ist ja hinter Westerwelle alles verschwunden, was die FDP an Potenzial hat, und ich meine, die FDP hat die Gefahr gesehen jetzt, dass sie marginalisiert werden kann, dass sie aus dem Parteiensystem herausgedrängt werden kann. Ich gehöre ihr 60 Jahre an, ich meine, ich bin überzeugt, wir müssen eine liberale Partei in Deutschland haben, aber nicht so, wie sie in der letzten Zeit war mit dieser Verengung auf Steuerpolitik, die muss sich erneuern und dann hat sie wieder eine Existenzberechtigung. Aber noch sind wir nicht am Ziel!
Heckmann: Rösler hat ja auch eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei angekündigt. Haben Sie eine Ahnung, was ihm da wirklich vorschwebt?
Baum: Ja. Er hat es ja geschrieben. Es ist ja gar nicht beachtet worden. Rösler und Bahr und Lindner, der ja ein überzeugender, in meinen Augen überzeugender Pragmatiker ist, die haben ja schon eigentlich jahrelang gesagt, wohin sie den Kurs bringen wollen. Leider haben sie nicht gehandelt, sie haben immer erst abgewartet. Es gibt einen Neujahrsappell, wo ganz deutlich drinsteht, dass sie die Traditionslinien eines Wirtschaftsliberalismus mit dem sozialen Liberalismus und dem Bürgerrechtsliberalismus zusammenführen wollen. Das ist in Konturen schon sichtbar, nur darf es nicht beim Programm bleiben, es muss umgesetzt werden, es muss in der Bundestagsfraktion umgesetzt werden und auch gegenüber dem Koalitionspartner.
Heckmann: Und wie groß sind dafür die Chancen aus Ihrer Sicht?
Baum: Ich würde denen, die jetzt die Führung übernommen haben, die Chance erst mal geben. Ich glaube, dass sie das Potenzial haben, es zu schaffen. Ob sie es schaffen, wird man sehen. Aber es gibt keine andere Option. Es muss ein harter Schnitt gemacht werden zur Ära Westerwelle, sie ist zu Ende, und das müssen sie eben jetzt deutlich machen.
Heckmann: Über die Personalrochade bei der FDP haben wir gesprochen mit Gerhart Rudolf Baum, dem ehemaligen FDP-Innenminister. Herr Baum, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Baum: Guten Morgen!
Sieht so eine personelle Neuausrichtung aus, oder muss man nicht davon sprechen, dass hier alter Wein in neuen Schläuchen präsentiert wurde? Am Telefon jetzt Gerhart Rudolf Baum, ehemals FDP-Innenminister. Schönen guten Morgen!
Gerhart Rudolf Baum: Guten Morgen! – Sie haben eben Hildegard Hamm-Brücher erwähnt. Ich stehe in Respekt vor ihrer Lebensleistung. Und wenn man sich an ihr stärker orientieren würde in der FDP, wäre man schon einen Schritt weiter im Prozess der Erneuerung. - Aber nun zu Ihrer Frage.
Heckmann: Ich habe ja noch gar keine Frage gestellt, aber sie würde jetzt kommen, Herr Baum.
Baum: Ja, gut.
Heckmann: Guido Westerwelle bleibt ja Außenminister, Rainer Brüderle wird für sein Wahldebakel in Rheinland-Pfalz mit dem Fraktionsvorsitz belohnt und Birgit Homburger, die die Hauptverantwortung ja trägt für das katastrophale Ergebnis in Baden-Württemberg, wird mit einem Stellvertreterposten in der Parteiführung entschädigt. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagt, die FDP habe Humor. Finden Sie das auch so lustig?
Baum: Nein. Ich finde, man muss es auch zunächst mal positiv sehen. Man hat Herrn Rösler unterstellt, er habe keine Entscheidungskraft; er hat sie. Er hat das Postengerangel beendet, es findet ein Generationenwechsel statt, die Personen, die jetzt auf Posten kommen, können diese ausfüllen, sowohl Herr Bahr als Gesundheitsminister wie Herr Rösler als Wirtschaftsminister, und Brüderle ist ein erfahrener Mann an der Spitze der Fraktion. Also insgesamt wird die FDP handlungsfähiger.
Man sollte das Team der jungen Leute nicht unterschätzen, die FDP hat ein Potenzial an Nachwuchskräften wie kaum eine andere Partei. Aber es fehlt einiges, und das ist von Ihnen angedeutet. Ich kann immer noch nicht verstehen, dass Westerwelle Außenminister bleibt, denn der Vertrauensverlust, den die Partei in massiver Weise erlitten hat, bezieht sich auch auf ihn als Außenminister. Die Partei muss im Grunde entscheiden, die neuen Führungskräfte müssen entscheiden, mit wem gehen sie eigentlich in die Bundestagswahl 2013, mit Westerwelle, mit Niebel oder mit neuen Leuten.
Dann wird der Vorstand neu gewählt, das Präsidium. Da habe ich auch meine Zweifel, ob das richtig ist, farblose oder gescheiterte Vizevorsitzende zu wählen.
Heckmann: Sie meinen Birgit Homburger?
Baum: Ja. Ich meine auch Herrn Zastrow und andere, die da genannt werden. Für mich ist die Messlatte, was trägt jemand heute zum liberalen Aufbruch, zur liberalen Erneuerung bei. Die FDP ist in einer Existenzkrise wie noch nie in ihrer Geschichte. Also hier sind größte Anstrengungen notwendig.
Heckmann: In weiten Teilen, Herr Baum, muss man doch davon sprechen, dass es wirklich nur zu einer Personalrochade gereicht hat und eben nicht zu einem auch wirklich personellen Neuanfang. Jedenfalls ist das der Eindruck vieler politischer Beobachter. Das alte Personal also ein Klotz am Bein der FDP?
Baum: Nein, das würde ich so nicht sagen. Sie unterschätzen das, was jetzt die neuen Führungskräfte oder das neue Team will. Sie wollen die FDP aus dem Tief herausholen und sie haben auch gute Ansätze, sie haben programmatische Ansätze, denn mit den Personen ist es ja nicht getan. Die FDP muss sich nicht gänzlich neu erfinden, aber sie muss wieder Glaubwürdigkeit bekommen auf wichtigen Feldern: Auf dem Feld der Sozialpolitik, der Ökologie, sie muss die Wirtschaftskompetenz zusammenbringen mit der Bürgersouveränität. Das war ja mal eine Zeit lang der Fall und das ist ihr Alleinstellungsmerkmal. Also bitte unterschätzen Sie das nicht bei aller Kritik, die ich auch habe. Die FDP ist einen Schritt weiter gekommen, aber noch nicht weit genug.
Heckmann: Woran liegt das, dass die FDP eben nicht weit genug gekommen ist? Reicht die Kraft, der Mumm von Philipp Rösler nicht aus?
Baum: Philipp Rösler hat eben jetzt doch ein Stück Entscheidungsstärke gezeigt, und der Parteitag am Wochenende wird zeigen, wohin er die Partei führen will, welche Signale er gibt, welche Zeichen er setzt. Also ich erwarte zum Beispiel mal eine selbstkritische Auseinandersetzung mit der verheerenden Enthaltung zu Libyen im Sicherheitsrat. Das ist bisher kritiklos mitgetragen worden von der Partei. Die Partei hat übrigens jahrelang die Politik von Westerwelle kritiklos mitgetragen. Das muss sich jetzt ändern. Es wird eine heftige Debatte geben über Europa. Folgt die FDP den Appellen von Genscher in der Version eines starken, solidarischen Europa, oder folgt sie den kleinmütigen Verweigerern, die eher von nationalstaatlichem Egoismus ausgehen? Hier gibt es wichtige Entscheidungen. Es gibt Zukunftsthemen, zum Beispiel die digitale Revolution ist ein solches Zukunftsthema, ein Freiheitsthema ersten Ranges. Es ist viel zu tun für eine liberale Partei!
Heckmann: Rainer Brüderle gilt als Exponent der alten FDP, er war nun ja auch Jahrzehnte in der Politik aktiv und er steht für die FDP, für den Westerwelle-Kurs auch. Haben Sie die Befürchtung, dass er als Chef der Fraktion, der Bundestagsfraktion sozusagen als Bremser fungieren könnte bei der Erneuerung und Neuausrichtung der Partei?
Baum: Das möchte ich nicht sagen. Er war immer ein unabhängiger Kopf, immer auch in einer gewissen Distanz zu Westerwelle, und er hat ja eine Fraktion mit sehr vielen tüchtigen und ehrgeizigen Mitgliedern, und die müssen jetzt praktisch zur Geltung kommen. Es ist ja hinter Westerwelle alles verschwunden, was die FDP an Potenzial hat, und ich meine, die FDP hat die Gefahr gesehen jetzt, dass sie marginalisiert werden kann, dass sie aus dem Parteiensystem herausgedrängt werden kann. Ich gehöre ihr 60 Jahre an, ich meine, ich bin überzeugt, wir müssen eine liberale Partei in Deutschland haben, aber nicht so, wie sie in der letzten Zeit war mit dieser Verengung auf Steuerpolitik, die muss sich erneuern und dann hat sie wieder eine Existenzberechtigung. Aber noch sind wir nicht am Ziel!
Heckmann: Rösler hat ja auch eine inhaltliche Neuausrichtung der Partei angekündigt. Haben Sie eine Ahnung, was ihm da wirklich vorschwebt?
Baum: Ja. Er hat es ja geschrieben. Es ist ja gar nicht beachtet worden. Rösler und Bahr und Lindner, der ja ein überzeugender, in meinen Augen überzeugender Pragmatiker ist, die haben ja schon eigentlich jahrelang gesagt, wohin sie den Kurs bringen wollen. Leider haben sie nicht gehandelt, sie haben immer erst abgewartet. Es gibt einen Neujahrsappell, wo ganz deutlich drinsteht, dass sie die Traditionslinien eines Wirtschaftsliberalismus mit dem sozialen Liberalismus und dem Bürgerrechtsliberalismus zusammenführen wollen. Das ist in Konturen schon sichtbar, nur darf es nicht beim Programm bleiben, es muss umgesetzt werden, es muss in der Bundestagsfraktion umgesetzt werden und auch gegenüber dem Koalitionspartner.
Heckmann: Und wie groß sind dafür die Chancen aus Ihrer Sicht?
Baum: Ich würde denen, die jetzt die Führung übernommen haben, die Chance erst mal geben. Ich glaube, dass sie das Potenzial haben, es zu schaffen. Ob sie es schaffen, wird man sehen. Aber es gibt keine andere Option. Es muss ein harter Schnitt gemacht werden zur Ära Westerwelle, sie ist zu Ende, und das müssen sie eben jetzt deutlich machen.
Heckmann: Über die Personalrochade bei der FDP haben wir gesprochen mit Gerhart Rudolf Baum, dem ehemaligen FDP-Innenminister. Herr Baum, danke für das Gespräch und auf Wiederhören.
Baum: Guten Morgen!