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Insolvente Fluggesellschaft
"Air Berlin hatte ein Ertrags- und Kostenproblem"

Ein hochwertiges Produkt zu günstigen Preise: Dass diese Hybridstrategie nicht richtig funktioniere, könne man sich eigentlich vorstellen, sagte die Professorin für Betriebswirtschaftslehre Yvonne Ziegler im Dlf über Air Berlin. Am Ende hätten die Erträge nicht mehr die Kosten gedeckt.

Yvonne Ziegler im Gespräch mit Christoph Heinemann |
    Schokoladenherze mit dem Logo der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin liegen am 25.09.2017 in Berlin in einem Hotel in einem Korb. In dem Gebäude informierte der Vorstand von Air Berlin Journalisten über die nächsten Schritte im Verkaufsverfahren der insolventen Fluggesellschaft Air Berlin. Foto: Paul Zinken/dpa | Verwendung weltweit
    "Ich denke, diese roten Schokoladenherzen werden in den Herzen vieler Passagiere immer eine große Bedeutung haben", sagte die Yvonne Ziegler, Professorin für Betriebswirtschaftslehre im Dlf (dpa/Paul Zinken)
    Christoph Heinemann: Dass es bei einer Fluggesellschaft aufwärts geht, klingt nach einem Kalauer. Auf Air Berlin trifft das trotzdem zu. Das Unternehmen wuchs und wuchs:
    O-Ton Werbespot Air Berlin:
    Heinemann: Heute die letzte Bewegung. Am Abend wird um 21:35 Uhr ein Airbus 320 in München starten und eine gute Stunde später in Berlin ankommen. Und das wird nach 38 Jahren die letzte Landung einer Maschine von Air Berlin gewesen sein. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wissen nicht, wie es für sie weitergeht. Kein schöner Zustand vor Weihnachten.
    Was kann man aus diesem unternehmerischen Desaster lernen? – Am Telefon ist Yvonne Ziegler. Sie ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit dem Spezialgebiet Luftverkehrsmanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences. Guten Morgen!
    Yvonne Ziegler: Guten Morgen, Herr Heinemann.
    Heinemann: Frau Ziegler, woran ist Air Berlin gescheitert?
    Ziegler: Sie haben es in Ihrem Beitrag ja schon gesagt. Air Berlin ist eigentlich sehr erfolgreich als Charter-Airline an den Markt gegangen, mit einem Fokus auf den europäischen Markt. In dem Zusammenhang ist ja auch der Mallorca-Shuttle zum Beispiel entstanden. Und beflügelt durch diesen Erfolg ist man dann auf eine große Einkaufstour gegangen ab 2004 und hat viele ganz verschiedene Airlines dazugekauft, unter anderem eine Deutsche British Airways und eine LTU. Die Deutsche British Airways ist eher eine Low Cost Airline und die LTU war eine ganz klassische Charter-Airline, aber auch mit Langstreckenflügen.
    Ziegler: Firmen zusammengekauft, die eigentlich nicht zusammepassten haben
    Heinemann: Wachstum an sich ist doch nicht schlecht.
    Ziegler: Das ist richtig. Aber hier hat man ganz unterschiedliche Firmen zusammengekauft, die eigentlich nicht zusammengepasst haben, und man hat es dann nicht geschafft, sich ganz klar strategisch auszurichten.
    Heinemann: Was heißt das genau? Wie unterschied sich das Air Berliner Geschäftsmodell von dem der Konkurrenz zum Beispiel?
    Ziegler: Air Berlin hat sehr lange gesagt, sie selber verfolgen eine sogenannte Hybridstrategie. Das heißt, sie verkaufen ein sehr hochwertiges gutes Produkt für günstige Preise. Und das kann man sich ja eigentlich vorstellen, dass das nicht richtig funktioniert, weil am Ende dann die Erträge die Kosten nicht decken. Einer der vielen Geschäftsführer, Stefan Pichler, hat auch einmal zugegeben, dass die Air Berlin eigentlich Kosten von einer Netz-Airline, einer großen Airline wie Lufthansa hat, aber Erträge nur von einer Low Cost Airline wie vergleichsweise Ryanair. Von daher hatte Air Berlin ein Ertrags- und ein Kostenproblem.
    Heinemann: Heißt im Umkehrschluss: Mit welchem Geschäftsmodell hätte es Air Berlin dauerhaft schaffen können?
    Ziegler: Sie haben viele Geschäftsmodelle versucht. Nachdem sie dann gesagt haben, das Hybridmodell funktioniert nicht so richtig, haben sie dann gesagt, wir sind eine Low Cost Airline. Dann bekamen sie aber Konkurrenz von echten Low Cost Airlines wie EasyJet und Ryanair oder auch der Germanwings, der Low Cost Tochter von der Lufthansa. Und zuletzt, als sie dann unter dem Dach von der Etihad waren, haben sie wieder gesagt, nein, jetzt sind wir eine Full Service Hub Airline mit unseren Hubs in Düsseldorf und Berlin. Sie haben wirklich immer nach der richtigen Strategie für sich gesucht und dabei aber wirklich die Ausrichtung verloren.
    Heinemann: Hubs sind Standorte?
    Ziegler: Hubs sind Standorte, genau. Man muss sich das vorstellen wie so ein Rad. Man fliegt in einen Hub hinein und da steigen Passagiere um und werden dann weitertransportiert.
    "Es ging ihnen ja damals schon nicht gut"
    Heinemann: 2011 wurde Etihad größter Aktionär. Sie haben das gerade gesagt. Was bedeutete das Geld aus Abu Dhabi für Air Berlin?
    Ziegler: Das Geld aus Abu Dhabi hat Air Berlin erst mal eine Verschnaufpause gegeben, von daher erst mal kurzfristig ein Glücksfall, weil sie sich länger im Markt halten konnten. Es ging ihnen ja damals schon nicht gut. Aber auch das hat dann wahrscheinlich Air Berlin selbst gar nicht so viel genutzt, weil Etihad natürlich auch eine klare Intention hatte. Sie wollten das Netzwerk von Air Berlin nutzen, um Passagiere in ihr eigenes Netz zu füttern. Das bedeutet natürlich dann aber für Air Berlin, wenn eine andere Airline auch noch beteiligt ist und man für das verkaufte Ticket vielleicht noch einen Teil abgeben muss, bleibt dann auch bei Air Berlin weniger hängen. Außerdem hat Etihad auch noch das letzte Tafelsilber von Air Berlin übernommen. Das waren zum Beispiel Kundendaten aus dem Meilenprogramm. Am Ende blieb bei Air Berlin immer weniger auch an eigenen Werten.
    Heinemann: Klingt relativ kompliziert. – Sie haben den Markt eben ein bisschen aufgeschlüsselt in unten und oben. Wieso bekam Air Berlin bei den hochpreisigen Geschäftsreisen keinen Fuß in die Tür?
    Ziegler: Das lag daran, dass Air Berlin ja eigentlich eine touristische Airline war, sich eher auf Ferien-Destinationen konzentriert hat. Zu Ferien-Destinationen wie zum Beispiel Mallorca fliegen natürlich generell viel weniger Geschäftsreisende. Dann gab es auf dem europäischen Markt Anfang der 2000er auch noch mal den Umstand, dass ja da diese Internetblase geplatzt ist, viele Firmen sparen mussten und generell diese Business Class im Europaverkehr an Bedeutung verloren hat. Alle Airlines haben da ihre Business Class nach unten geschrumpft und das war der Grund, warum Air Berlin da gar nicht in den Markt reinkam.
    Heinemann: Frau Ziegler, was würden Sie einer Unternehmerin oder einem Unternehmer raten, auch mit Blick auf die Geschichte und das traurige Scheitern von Air Berlin, die eine oder der eine Fluggesellschaft gründen möchten? Worauf muss man dort auf jeden Fall achten?
    Ziegler: Es gibt in dem Zusammenhang ja einen sehr netten Spruch von Richard Branson, dem Gründer der Airline Virgin Atlantic. Der sagte: Wenn man Millionär werden möchte, dann muss man eine Milliarde nehmen und eine Airline kaufen. Man erkennt, das ist ein sehr, sehr riskantes Geschäft. Man startet vielleicht als Milliardär und endet dann aber als Millionär. Es ist ein sehr riskantes Geschäft, ein schwieriges Geschäft. Bei dem kann man nur mit einer ganz klaren Strategie vorankommen. Aber es gibt immer wieder ganz interessante Beispiele für neue Airline-Geschäftsmodelle, zum Beispiel die isländische Airline WOW, die zwei Mittelstrecken-Strecken verbindet über den Hub in Island. Oder Air France versucht auch, im Low Cost Segment jetzt eine neue Airline zu starten, die sehr stark stylisch ist. Nicht immer Low Cost ist billig und schäbig, sondern Low Cost kann auch stylisch sein.
    "Das Produkt von Air Berlin, denke ich, war ein sehr schönes"
    Heinemann: Das wäre ja die zentrale Frage. Worauf achten eigentlich Kunden vor allem, auf den Preis – Low Cost haben Sie angesprochen -, oder auf den Service?
    Ziegler: Beide Aspekte spielen natürlich eine Rolle. Die meisten Passagiere werden wahrscheinlich erst mal starten, Preise zu vergleichen. Wenn es einen großen Preisabstand gibt, dann ist natürlich da der Preis dann oft ausschlaggebend. Wenn man preislich beieinander liegt, dann spielt mit Sicherheit auch der Service eine große Rolle. Aber man entscheidet sich natürlich dann für die Airline, die einen besseren Service bietet.
    Heinemann: Ich weiß nicht, Frau Ziegler, ob die Antwort auf meine letzte Frage zu Ihrem Fachgebiet Luftverkehrsmanagement gehört. Aber: Was wird aus den roten Schokoladenherzen?
    Ziegler: Ich denke, diese roten Schokoladenherzen werden in den Herzen vieler Passagiere immer eine große Bedeutung haben. Das Produkt von Air Berlin, denke ich, war ein sehr schönes. Das hat man auch in Ihrem Beitrag wieder gehört. Die Passagiere erinnern sich daran, auch an die Herzlichkeit und das Engagement der Mitarbeiter. Und vielleicht war das auch ein Grund, warum es Air Berlin am Ende so schwer gefallen ist, auf so eine Low Cost Strategie einzuschwenken. Dann hätte man vermutlich schon viel früher diese Schokoladenherzen aufgeben müssen.
    Heinemann: Das wäre schade gewesen. – Yvonne Ziegler, Professorin für Betriebswirtschaft mit besonderem Schwerpunkt Luftverkehrsmanagement an der Frankfurt University of Applied Sciences. Danke schön für das Gespräch und auf Wiederhören!
    Ziegler: Danke schön, Herr Heinemann.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.