Wer Radio hört, kennt diese Situation: "Dass ich sagen kann zu meinen Freunden: Hey, guckt mal her, da kommt gerade ein ganz cooler Beitrag. Oder habt ihr das Lied schon gehört? Und das kannst du denen per WhatsApp schicken, oder per Threema - egal was. Und dann können die genau den Song im Timeshift-Buffer anhören und zusammen Radio hören."
Alexander Erk ist in Fahrt. Er sitzt auf dem Sofa im Wohnzimmer-Labor des Instituts für Rundfunktechnik, kurz IRT - und präsentiert den Prototypen einer App, die er in einem Projekt der Europäischen Kommission entwickelt hat.
"Da geht es darum, die Verbindung zwischen einer Nutzung von Streaming-Diensten wie Spotify oder Apple Music oder Deezer auf eine klassische Radionutzung zu übertragen. Weg vom reinen linearen Abspielen eines Programms hin zu mehr Auswahl, zu mehr Personalisierung und mehr Freiheiten, sich als Radionutzer in seinem Programm zu bewegen."
ZDF kündigt überraschend Vertrag mit IRT
Mit dieser App wäre auch erstmalig das Zurückspulen im Live-Radio möglich. Doch ob sie über die Testphase hinauskommt, steht in den Sternen. Denn die gemeinsame Technologieschmiede der öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland, Österreich und der Schweiz in München - sie könnte am 31. Dezember dieses Jahres Geschichte sein.
Das ZDF hat den Gesellschaftervertrag gekündigt und wird damit seinen Anteil an der Finanzierung nach 65 Jahren einstellen. Der Zeitpunkt, kurz vor Ende vergangenen Jahres, habe ihn überrascht, sagt der Geschäftsführer des IRT, Michael Hagemeyer.
"Also nicht nur für uns, sondern auch für die restlichen Gesellschafter. Denn die übrigen Gesellschafter hätten die Zuschüsse des ZDF mit übernehmen müssen. Und dazu sehen sie sich nicht in der Lage. Insofern blieb den anderen Gesellschaftern im Prinzip nichts anderes übrig, als der Kündigung zu folgen. Obwohl sie vielleicht inhaltlich gar nicht davon überzeugt sind, aber das war nun mal der nächste logische Schritt."
Denn die 2,5 Millionen Euro des ZDF und zusätzlich Pensionsansprüche der IRT-Mitarbeiter hätten sich die restlichen Rundfunkanstalten nicht leisten können, heißt es bei ARD-Anstalten.
Frust über IRT-Management
Auf eine Interviewanfrage des Deutschlandfunks antwortet das ZDF schriftlich. Der Sender habe nach einer Kosten-Nutzen-Abwägung gekündigt. Künftige technische Fragen spielten sich mehr im IT-Bereich ab - und weniger in spezifischen Rundfunktechnologien.
Michael Hagemeyer vom IRT gibt sich enttäuscht. Bis jetzt arbeite man mit den Technikern des ZDF gut zusammen. Die Mainzer hätten wie alle anderen mitbestimmt, was das IRT entwickle.
"Wir positionieren die Themen jedes Jahr neu. Und an dieser Neuausrichtung sind alle Gesellschafter beteiligt. Also auch das ZDF."
Doch es gab auch Frust bei den Gesellschaftern über das IRT-Management, vor allem wegen eines millionenschweren Betrugsfalls. Ein Patentanwalt soll über Jahre hinweg Lizenzgebühren in die eigene Tasche gewirtschaftet haben. Der Fall landete vor Gericht - und endete in einem Vergleich.
Statt der ursprünglich verlangten 200 Millionen bekam das IRT 60 Millionen Euro. Immerhin, findet Michael Hagemeyer. "Ich bin da sehr zufrieden mit dem Vergleich, der übrigens dazu führt, dass das IRT derzeit finanziell so gut dasteht wie nie zuvor."
Außerhalb von Rundfunkkreisen kennen wenige die Tüftler aus München, die gerade unter anderem am Internet-Fernsehen über 5G-Technologie arbeiten. Gerade weil sich in einer Rundfunklandschaft alle Anbieter auf einen Standard einigen sollten, mache das gemeinsame Zentrum Sinn. Würde jede Anstalt für sich alleine arbeiten, bestünde die Gefahr von Kleinstaaterei, so Michael Hagemeyer.
Wichtige gemeinsame Projekte vor dem Aus
"Im Idealfall würde es funktionieren, aber die Gefahr, dass die Kommunikation und der Austausch darunter leidet, ist einfach gegeben."
In den Sendern befürchtet man nun, dass wichtige gemeinsame Projekte wie ein Computerprogramm für den Austausch von Ton- und Filmdateien zwischen einzelnen Sendern ohne das IRT erst so richtig teuer werden könnten. Andere bemängeln am Münchner Institut, dass im IRT Expertinnen und Experten für wichtige Fragen fehlten - wie etwa für soziale Medien oder Personalisierungstechniken, wie sie zum Beispiel Netflix auf seiner Plattform anwendet. Für Michael Hagemeyer ist das IRT eine Chance, unabhängig zu bleiben gegenüber Google und Co., aber auch eine Frage des Budgets.
"Wir würden uns schon wünschen, wenn man sich an den großen Playern orientiert, dass sogar mehr Geld ausgegeben werden könnte im Bereich der Forschung und Entwicklung, um eben auch ansatzweise Paroli bieten zu können."
Das Deutschlandradio bestätigt auf Anfrage, weitere Gespräche mit den Gesellschaftern führen zu wollen, um die Form einer zukünftigen Zusammenarbeit bei Technologiethemen zu klären. Michael Hagemeyer hat die Gesellschafter für Ende Februar zu einem Werkstattgespräch eingeladen. Da will er diskutieren, wie die Zukunft des IRT und seiner 120 Mitarbeitenden aussehen könnte. Stand jetzt wären sie nach Silvester ihren Job los.