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Insulinom
Einer Unterzuckerung auf der Spur

Eine sportliche Mitte 60-Jährige bemerkt Symptome wie zittrige Hände. Mit Traubenzucker lässt sich dieses Schwächegefühl zunächst bekämpfen. Doch irgendwann geht sie doch zum Arzt. Bevor jedoch die Ursache - ein sogenanntes Insulinom - gefunden wird, erlebt sie einen Hungertest.

    "Bei Belastungen oder beim Sport merkte ich plötzlich ein Schwächegefühl. Zwischendurch, dass ich zittrige Hände bekam. Aber es ist auch manchmal so gewesen, dass ich aus dem Wald kam und das Gefühl hatte, ich könnte nicht mehr nach Hause fahren."
    Doris Dreier-Loh ist Mitte 60, eine sportliche und sehr aktive Frau. Krankheiten kannte sie bisher nicht. Und sie will, dass das auch so bleibt.
    "Ich habe gedacht, was kommt, das geht auch wieder von alleine und das ist nur vorübergehend und habe dann immer Traubenzucker mitgenommen."
    Sie hat eher durch Zufall festgestellt: Ein Bonbon und etwas Traubenzucker helfen gegen die merkwürdigen Symptome. Dabei belässt sie es, doch die Schwächeanfälle häufen sich. Sie schiebt es auf harmlose Probleme mit dem Kreislauf. Doch irgendwann wird sie unsicher und sucht einen Hausarzt auf. Der hat einen ganz anderen Verdacht: Ihr Zuckerstoffwechsel könnte entgleist sein. Er gibt ihr ein Blutzuckermessgerät mit nach Hause.
    "Der niedrigste Wert war bei mir 39 und der Hausarzt hat mich dann zum Diabetologen überwiesen."
    Blutzuckerspiegel über 70 ist normal
    Normalerweise dürfte der Blutzuckerspiegel nicht unter einen Wert von 70 fallen. 39 ist eine deutliche Unterzuckerung. Der Diabetologe rät dringend zu einem Klinikbesuch. Sie geht in das benachbarte Krankenhaus.
    "Es müsse ein Fastentest gemacht werden, ein Hungerversuch. Das haben wir dann auch gemacht."
    In der Klinik untersuchen die Ärzte sie zunächst gründlich. Ein MRT ihres Bauchraums wird gemacht, ebenso ein Ultraschall. Ohne Befund. Dann beginnt der Hungerversuch. Mit ihm wollen die Ärzte feststellen, wie gut der Körper den Blutzucker überhaupt noch regulieren kann.
    "Ich bekam erst Glukose, dann schnellt der Blutzuckerspiegel schnell hoch und dann bekam ich, auch nichts mehr zu essen und es wurden in Kurzabständen Blutuntersuchungen gemacht."
    Zwischen den Untersuchungen überlässt man sie sich selbst. Es wird ein schlimme Erfahrung für Doris Dreier-Loh.
    "Ich war nicht mehr Herr meiner Sinne. Ich konnte nicht mehr nachdenken. Mein Mann war da und er sagt, ich habe hinterher immer nur geweint, ich konnte nichts mehr verstehen, mein Hirn war fast wie ausgeschaltet."
    Brennstoff für das Gehirn
    Der Blutzuckerspiegel sinkt dramatisch ab. Doch Zucker ist lebenswichtiger Brennstoff für das Gehirn. Dieses setzt daher regelrecht aus, Doris Dreier-Loh fällt fast ins Koma. Ihre Tochter, die hinzukommt, um den Vater am Krankenbett abzulösen, schlägt Alarm; die Ärzte brechen den Test ab. Doris Dreier-Loh verlässt die Klinik ohne Befund, dafür aber bepackt mit einem fast traumatischen Erlebnis.
    "So ein Hungerversuch muss auf einer Überwachungsstation mindestens stattfinden, alles andere geht gar nicht. Da hätte durchaus schief gehen können", kritisiert Prof. Wolfgang Schmidt, Internist vom St. Josef Hospital der Universität Bochum das Vorgehen der Kollegen.
    Er wird später Doris Dreier-Loh betreuen. Dennoch: Der Hungertest an sich ist eine übliche Methode, um den Ursachen einer Unterzuckerung auf die Spur zu kommen. Diabetes kann es nicht sein, denn dann wäre vor allem ein zu hoher Blutzuckerspiegel das Hauptproblem. Ein ständig zu niedriger Spiegel ist dagegen extrem selten.
    Und es gibt medizinisch nur zwei mögliche Erklärungen dafür. Erstens: Doris Dreier Loh spritzt sich heimlich Insulin, um eine Krankheit nur vorzutäuschen. Klingt bizarr, kommt aber bei Menschen mit psychischen Problemen vor. Oder zweitens: Sie hat ein sogenanntes Insulinom. Das ist ein Tumor der Bauchspeicheldrüse. Der produziert unkontrolliert Insulin, das Hormon der Bauchspeicheldrüse und drückt dadurch den Blutzuckerspiegel in den Keller.
    "Es ist eine Art von Krebs, wenn man so will, der Tumor wächst, die Beschwerden werden schlimmer und die Patienten mit einem echten Insulinom werden definitiv nicht ohne Behandlung von diesen Beschwerden befreit werden."
    Diagnose Insulinom
    Prof. Juris Meier, St. Josef Hospital Bochum. Von alldem ahnt Doris Dreier-Loh nichts. Die 65-Jährige will erst mal einen Bogen um Ärzte machen. So etwas wie in der Klinik möchte sie nicht noch einmal erleben. Das allerdings hat seinen Preis.
    "Die Symptome verschlimmerten sich. Ich merkte schon zu Beginn dieser Symptome: Meine Zunge, meine Lippen wurden taub. Oder wenn ich schwimmen war, hatte ich sogar das Gefühl, meine Haut einen meinen Beinen wurde taub."
    Fast neun Monate lang geht sie nicht wieder zum Arzt.
    "Irgendwann kam der Punkt, dass ich mit meinem Mann darüber gesprochen habe und habe gesagt: Es muss was geschehen, so möchte ich nicht mehr weiter leben."
    Sie holt sich einen Arzttermin, diesmal bei Juris Meier in Bochum. Er erklärt ihr, dass ein Insulinom hinter all ihren Problemen stecken könnte. Und dass unbedingt ein verwertbarer Hungertest gemacht werden müsse, trotz ihrer negativen Erfahrung. Doris Dreier-Loh willigt ein. Angenehm wird es auch diesmal nicht. Doch sie bleibt während des Versuchs ständig unter Bewachung. Juris Meier:
    "Wir haben also diesen Test durchgeführt, bis Frau Dreier-Loh wirklich eine so schwere Unterzuckerung hatte, wir haben ihn dann abgebrochen, das war in diesem Fall schon nach fünf Stunden der Fall. Wir konnten dann aus einem ganz einfachen Verhältnis von Insulinspiegel zu Blutzuckerspiegel berechnen, dass sie ein Insulinom haben muss."
    Entfernung des Insulinoms
    Es gibt nur eine Therapie: die Entfernung des Insulinoms. Wolfgang Schmidt untersucht die Bauchspeicheldrüse mit einem speziellen Ultraschall.
    "Wir fanden dann eine Region neben der Pfortader, die die Leber versorgt, die genau so aussah, wie man eigentlich ein Insulinomen erwarten würde. Wie so eine kleine Kugel mitten im Pankreas."
    Der Tumor ist acht Millimeter groß und so positioniert, dass er gut operiert werden kann. Kurz darauf entfernen die Ärzte das Insulinom aus Doris Dreier-Lohs Bauchraum.
    "Es war ja eine große Operation. Aber die Heilung ging zügig vonstatten und ich muss sagen: Ich führe heute ein ganz anderes Leben."
    Der glückliche Ausgang einer ungewöhnlichen Krankengeschichte. Die hätte allerdings auch ganz anders enden können, sagt Wolfgang Schmidt.
    "Diese acht, neun Monate, wo Frau Dreier-Loh noch mal überlegen wollte, dann richtig schöne Runden im Schwimmbad geschwommen ist, also wenn sie da mal plötzlich ihre Denkblockade mit Unterzuckerung bekommen hätte und einfach abgetaucht wäre, ich weiß nicht was dann passiert wäre."