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Inszenierung der Supermenschen

Britische Fernsehsender und Zeitungen stilisieren die Londoner Paralympics zu einem historischen Ereignis. Spiegelt ihre Berichterstattung die Integration von Menschen mit Behinderung wieder? Oder überdeckt sie gesellschaftliche Probleme?

Von Ronny Blaschke |
    Die Brust nach vorn geschoben, die Körperhaltung kerzengerade, kein Lächeln, nur pure Entschlossenheit. Im schummrigen Neonlicht posieren die britischen Paralympics-Sportler mit ihren verformten Körpern, mit ihren Prothesen und Rollstühlen. Wie Helden im Kampf gegen das Böse inszeniert der Privatsender Channel 4 die behinderten Athleten. Der Titel der Anzeigen- und Werbespot-Kampagne: "Meet the Superhumans".

    "Und das ist eine ganz spezielle Kampagne, die ich so noch nicht gesehen habe, und die zum ersten Mal die Rolle der Menschen mit Behinderung aus dieser etwas gedeckelten, unterschätzten Position herausholt und sie zu etwas ganz anderem macht, nämlich zu einem Menschenideal."

    Thomas Hahn ist Sportredakteur der Süddeutschen Zeitung, seit 2002 berichtet er von den Paralympics. Die Berichterstattung in London erinnert ihn immer mehr an die Unterhaltungsindustrie der Olympischen Spiele. Erstmals hatte es für Paralympics einen Bieterstreit um die Fernsehrechte gegeben: Channel 4 überbot die BBC, zahlte neun Millionen britische Pfund und sendet nun mehr als 150 Stunden. Von der Frühstücksendung über Live-Reportagen bis zur Late-Night-Comedy. Der Sender hat behinderte Menschen zu Reportern und Redakteuren ausbilden lassen. Der Lohn: Bis zu elf Millionen Menschen haben ihr Programm in den ersten Tagen verfolgt. Channel 4 vermarktet sich als sozialpolitisch, dass der Sender einen Komiker namens Frankie Boyle beschäftigt, der Witze über behinderte Kinder erzählt, interessiert da kaum.

    Laut dem Internationalen Paralympischen Komitee, dem IPC, werden vier Milliarden Menschen Bilder der Paralympics sehen. 6000 Journalisten sind in London akkreditiert, aus Deutschland erstmals auch Bild-Zeitung und Gala. Sportler wie der südafrikanische Prothesenläufer Oscar Pistorius werden zu Helden stilisiert. Die britischen Zeitungen drucken seitenweise Fotos, Grafiken, Interviews. Die Times titelte: "Das ganze Universum ist die Bühne bei dieser großen Feier der menschlichen Anstrengung." Wird diese Berichterstattung von Dauer sein? Die querschnittsgelähmte Sportlerin Tanja Gröpper aus Dortmund:

    "Wenn man in diesem Land hier ankommt und dann plötzlich dieses Medieninteresse kennenlernt, dann ist man erstmal überwältigt und geschockt, weil man dann auch sehen muss, wie es leider in Deutschland ist. Das ist so schade, dass vor und nach den Paralympics sich wirklich niemand für uns wesentlich interessiert."

    Nur an wenigen Stellen diskutieren britische Medien über Integrationsdefizite: 90 Prozent der Briten haben keinen regelmäßigen Kontakt zu behinderten Menschen. Öffentliche Einrichtungen sind noch lange nicht barrierefrei. Nur 50 Prozent der Menschen mit einer körperlichen und zwölf Prozent der Menschen mit einer geistigen Behinderung haben einen Job. Und diejenigen, die einer Arbeit nachgehen, werden schlechter bezahlt als nichtbehinderte Kollegen mit gleicher Qualifikation. Im Sport sind nur 20 Prozent der Menschen mit Behinderung aktiv. Der Medienforscher Christoph Bertling von der Sporthochschule Köln:

    "Es bedeutet letztendlich, dass ein ganz kurzer Medienhype gesetzt wird mit den Superhumans und danach wird es wieder vergessen. Wir müssen aber stärker auf Nachhaltigkeit setzen. Wir müssen darauf setzen, dass es zu Integration kommt. Wir haben auch Reha-Sport, und im Reha-Sport: Wie wirkt das auf Leute, die gerade Akut-Verletzungen haben, die versuchen, wieder reinzukommen ins Leben? Und das tun sie nicht, wenn wir sie hochjubeln, wenn wir sie zu Übermenschen machen und wenn wir sie danach einfach wieder fallen lassen."

    In einer Studie kam der ehemalige Sportjournalist Bertling zu der Schlussfolgerung, dass in Zeitungen gezielt Fotos gedruckt wurden, auf denen Behinderungen nicht zu stark ins Auge fielen, meistens wurden Rollstühle abgebildet. In einer Erfassung des Blickverhaltens stellte die Sporthochschule fest, dass sich Leser aber keineswegs von Behinderungen abwenden würden. So steht zunehmend der Sport im Mittelpunkt der Berichterstattung und nicht mehr die Schicksalsbeschreibung. Thomas Hahn von der Süddeutschen Zeitung:

    "Aus einer Unbeholfenheit heraus war vielleicht am Anfang mehr dieser Mitleidsgedanke und eine unterschwellige Diskriminierung: Man berichtet zwar, aber man lässt sich herab im Prinzip zu berichten. Dass man eigentlich inklusive Berichterstattung machen sollte und dass bedeutet eben nicht die ganze Zeit, über Inklusion zu berichten, sondern halt über das Ereignis hier. Vielleicht muss man auch einfach mal den Mut haben - man redet da schon von Mut, das ist ja auch irgendwie Unsinn - und zu sagen: Man macht jetzt einfach mal einen klassischen Sportbericht über die Perspektive der Rollstuhlnationalmannschaft."


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