Mit dem Band "Braucht unsere Gesellschaft Religion?" hat sich der bundesdeutsche Innenminister und ehemalige CDU-Vorsitzende Wolfgang Schäuble daran gewagt, den Wert des Glaubens für die Politik zu definieren. Das ist in doppelter Hinsicht spannend. Zum einen, weil die Religion in der Politik auch in der CDU seit Jahren überhaupt keine Rolle mehr spielt. Zum anderen, weil sich auch viele renommierte Gesellschaftswissenschaftler mit ihren Antworten zu diesem Thema gehörig blamiert haben. Entweder, weil die Ausführungen bis zur Bedeutungslosigkeit vage und unbestimmt blieben, oder aber, weil sie von einer trotzig-regressiven "Back to the roots"-Haltung gekennzeichnet waren, mit welcher Aufklärung und Rationalismus grundsätzlich verdammt wurden.
Dem promovierten Juristen gelingt es indes mit einer scheinbar unangestrengten intellektuellen Souveränität, diese beiden Klippen zu umschiffen. Mit Verweisen auf Niccolò Machiavelli, Papst Alexander VI., Friedrich den Großen und viele andere steckt Schäuble den Rahmen seines Gegenstandes millimetergenau ab und behauptet nie mehr als er auch überzeugend belegen kann. Geschult im dialektischen Denken, berücksichtigt der Autor zudem mögliche Gegenargumente – wodurch die eigene Argumentation noch schlüssiger und überzeugender wird. Gleich zu Beginn wird eine entscheidende Frage aufgegriffen: Wie kann man Menschen durch Religion miteinander verbinden und gleichzeitig vermeiden, dass auf der Grundlage unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse neue Gräben aufgerissen werden?
Ich meine, wir finden da einiges von großer politischer und gesellschaftlicher Relevanz. Nehmen wir den zumindest für die monotheistischen Religionen zentralen Bezug auf Gott. Bei allen im Einzelnen großen Unterschieden kommt es im Grundsatz aus meiner Sicht darauf an, dass Menschen wissen, dass sie mit ihrem eigenen Leben und Tun in der Verantwortung vor einer Autorität stehen, die sie nicht selbst eingesetzt haben. Dass sie sich auf etwas beziehen, was größer ist als sie selbst. Dass da etwas ist, das von ihnen nicht gemacht, aber von ihnen zu respektieren ist. Schon das hat weitreichende Folgen für politisches und gesellschaftliches Handeln. Wissen um Unverfügbares ist eine Vorkehrung gegen totalitäre Macht und Machtmissbrauch.
Freilich könnte man monieren, dass auch der Glaube an Gott falsch verstanden werden könnte und die Menschen nicht immer automatisch mit Demut erfüllt, sondern immer wieder auch in hitzköpfige Fanatiker verwandelt. Doch muss man sich zunächst einmal klar machen, auf was für einem schmalen Grat man sich bewegt, wenn man die Rolle der Religion in einer aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaft definiert. Schäuble hat diesen schmalen Grat gefunden und er hat ihn begrifflich festgehalten. Es mag nicht viel erscheinen, was er in dieser Hinsicht zusammengetragen hat; aber es ist mehr, als die meisten Autoren zu diesem Thema überhaupt vorbringen.
In dem Band "Braucht unsere Gesellschaf Religion?" geht Wolfgang Schäuble auch auf den Islam in Deutschland ein. Dabei verzichtet er auf das Schreckgespenst der "Parallelgesellschaft" und verfällt auch nicht in hysterischen Alarmismus. Er verweist darauf, dass es Jahrhunderte gedauert hat, das Verhältnis von Staat und christlicher Religion zu regeln, und man angesichts dessen nicht erwarten darf, dass sich die Probleme zwischen Staat und Islam in Europa über Nacht oder ohne Konflikte in den Griff bekommen ließen. Innerhalb der kurzen Zeit sei schon viel erreicht worden. Und zur Integration des Islams in Deutschland gebe es keine Alternative, so Schäuble. Denn ein Nebeneinander sei nicht nur wenig wünschenswert, sondern faktisch auch gar nicht mehr möglich.
Deswegen muss es gelingen, dass auch und gerade Muslime, die als Zuwanderer zu uns gekommen sind oder die schon in der zweiten, dritten, vielleicht sogar vierten Generation hier leben, sich hier sicher, zu Hause, daheim fühlen. In einem Europa, in dem sie sich nicht zu Hause oder gar ausgegrenzt fühlen, werden sich Muslime niemals integrieren wollen.
Die Unsicherheit, die die Debatte um den Islam so schwierig macht, die Verunsicherung gerade auf Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft, gibt es bei Schäuble jedoch nicht. Er macht deutlich, dass bestimmte Grundwerte aus seiner Sicht nicht verhandelbar sind.
Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein zweiseitiger Prozess. Sie setzt voraus, dass die Zuwanderer hier heimisch werden wollen. Wer das partout nicht will, wer beispielsweise nicht will, dass seine Kinder – im Besonderen seine Töchter – in einer offenen westlichen Gesellschaft aufwachsen, weil ihn vieles daran stört, der trifft eine falsche Entscheidung, wenn er auf Dauer in Mitteleuropa lebt. Man muss die Bedingungen des neuen Heimatlandes akzeptieren, denn wir sind nicht bereit, die Regeln von Toleranz, Vielfalt und Pluralismus zur Disposition zu stellen.
Deswegen ist dieses Buch so wertvoll: Es zeigt, dass das Land nicht vor der Alternative steht, entweder von einer, in Anführungszeichen, "fremden" Kultur überrannt zu werden, oder alle Zugewanderten in einer chauvinistischen deutschen Leitkultur zu unterwerfen. Im Gegenteil: Schäuble zeigt, dass der Königsweg nicht über die Extreme führt, sondern genau durch die Mitte. "Menschen zu integrieren, ihnen zu helfen, sich zugehörig zu fühlen, ist auch das, was das Zusammenwachsen unseres Kontinents insgesamt vorangebracht hat", schreibt er und erinnert daran, dass genau das uns bei allen Irrungen und Schwierigkeiten eine der längsten Friedensperioden unserer Geschichte eingebracht hat. Deswegen ist dieser kleine Band ein so großer Wurf: In einer Zeit der kulturellen Verunsicherung macht er deutlich, aus welchem Stoff die wahren europäischen Werte gemacht sind, wie kraftvoll sie sind und welche Zukunft sie haben.
Wolfgang Schäuble: "Braucht unsere Gesellschaft Religion? Vom Wert des Glaubens". Erschienen bei Berlin University Press, 76 Seiten für 17 Euro 90. Lewis Gropp war unser Rezensent.
Dem promovierten Juristen gelingt es indes mit einer scheinbar unangestrengten intellektuellen Souveränität, diese beiden Klippen zu umschiffen. Mit Verweisen auf Niccolò Machiavelli, Papst Alexander VI., Friedrich den Großen und viele andere steckt Schäuble den Rahmen seines Gegenstandes millimetergenau ab und behauptet nie mehr als er auch überzeugend belegen kann. Geschult im dialektischen Denken, berücksichtigt der Autor zudem mögliche Gegenargumente – wodurch die eigene Argumentation noch schlüssiger und überzeugender wird. Gleich zu Beginn wird eine entscheidende Frage aufgegriffen: Wie kann man Menschen durch Religion miteinander verbinden und gleichzeitig vermeiden, dass auf der Grundlage unterschiedlicher religiöser Bekenntnisse neue Gräben aufgerissen werden?
Ich meine, wir finden da einiges von großer politischer und gesellschaftlicher Relevanz. Nehmen wir den zumindest für die monotheistischen Religionen zentralen Bezug auf Gott. Bei allen im Einzelnen großen Unterschieden kommt es im Grundsatz aus meiner Sicht darauf an, dass Menschen wissen, dass sie mit ihrem eigenen Leben und Tun in der Verantwortung vor einer Autorität stehen, die sie nicht selbst eingesetzt haben. Dass sie sich auf etwas beziehen, was größer ist als sie selbst. Dass da etwas ist, das von ihnen nicht gemacht, aber von ihnen zu respektieren ist. Schon das hat weitreichende Folgen für politisches und gesellschaftliches Handeln. Wissen um Unverfügbares ist eine Vorkehrung gegen totalitäre Macht und Machtmissbrauch.
Freilich könnte man monieren, dass auch der Glaube an Gott falsch verstanden werden könnte und die Menschen nicht immer automatisch mit Demut erfüllt, sondern immer wieder auch in hitzköpfige Fanatiker verwandelt. Doch muss man sich zunächst einmal klar machen, auf was für einem schmalen Grat man sich bewegt, wenn man die Rolle der Religion in einer aufgeklärten, pluralistischen Gesellschaft definiert. Schäuble hat diesen schmalen Grat gefunden und er hat ihn begrifflich festgehalten. Es mag nicht viel erscheinen, was er in dieser Hinsicht zusammengetragen hat; aber es ist mehr, als die meisten Autoren zu diesem Thema überhaupt vorbringen.
In dem Band "Braucht unsere Gesellschaf Religion?" geht Wolfgang Schäuble auch auf den Islam in Deutschland ein. Dabei verzichtet er auf das Schreckgespenst der "Parallelgesellschaft" und verfällt auch nicht in hysterischen Alarmismus. Er verweist darauf, dass es Jahrhunderte gedauert hat, das Verhältnis von Staat und christlicher Religion zu regeln, und man angesichts dessen nicht erwarten darf, dass sich die Probleme zwischen Staat und Islam in Europa über Nacht oder ohne Konflikte in den Griff bekommen ließen. Innerhalb der kurzen Zeit sei schon viel erreicht worden. Und zur Integration des Islams in Deutschland gebe es keine Alternative, so Schäuble. Denn ein Nebeneinander sei nicht nur wenig wünschenswert, sondern faktisch auch gar nicht mehr möglich.
Deswegen muss es gelingen, dass auch und gerade Muslime, die als Zuwanderer zu uns gekommen sind oder die schon in der zweiten, dritten, vielleicht sogar vierten Generation hier leben, sich hier sicher, zu Hause, daheim fühlen. In einem Europa, in dem sie sich nicht zu Hause oder gar ausgegrenzt fühlen, werden sich Muslime niemals integrieren wollen.
Die Unsicherheit, die die Debatte um den Islam so schwierig macht, die Verunsicherung gerade auf Seiten der deutschen Mehrheitsgesellschaft, gibt es bei Schäuble jedoch nicht. Er macht deutlich, dass bestimmte Grundwerte aus seiner Sicht nicht verhandelbar sind.
Integration ist keine Einbahnstraße, sondern ein zweiseitiger Prozess. Sie setzt voraus, dass die Zuwanderer hier heimisch werden wollen. Wer das partout nicht will, wer beispielsweise nicht will, dass seine Kinder – im Besonderen seine Töchter – in einer offenen westlichen Gesellschaft aufwachsen, weil ihn vieles daran stört, der trifft eine falsche Entscheidung, wenn er auf Dauer in Mitteleuropa lebt. Man muss die Bedingungen des neuen Heimatlandes akzeptieren, denn wir sind nicht bereit, die Regeln von Toleranz, Vielfalt und Pluralismus zur Disposition zu stellen.
Deswegen ist dieses Buch so wertvoll: Es zeigt, dass das Land nicht vor der Alternative steht, entweder von einer, in Anführungszeichen, "fremden" Kultur überrannt zu werden, oder alle Zugewanderten in einer chauvinistischen deutschen Leitkultur zu unterwerfen. Im Gegenteil: Schäuble zeigt, dass der Königsweg nicht über die Extreme führt, sondern genau durch die Mitte. "Menschen zu integrieren, ihnen zu helfen, sich zugehörig zu fühlen, ist auch das, was das Zusammenwachsen unseres Kontinents insgesamt vorangebracht hat", schreibt er und erinnert daran, dass genau das uns bei allen Irrungen und Schwierigkeiten eine der längsten Friedensperioden unserer Geschichte eingebracht hat. Deswegen ist dieser kleine Band ein so großer Wurf: In einer Zeit der kulturellen Verunsicherung macht er deutlich, aus welchem Stoff die wahren europäischen Werte gemacht sind, wie kraftvoll sie sind und welche Zukunft sie haben.
Wolfgang Schäuble: "Braucht unsere Gesellschaft Religion? Vom Wert des Glaubens". Erschienen bei Berlin University Press, 76 Seiten für 17 Euro 90. Lewis Gropp war unser Rezensent.